Mannheim. Aufgeheizte Stimmung und Übergriffe auf Einsatzkräfte beim Corona-Protest am Montag bereiten Polizeipräsident Siegfried Kollmar Sorgen. Warum er wenig Verständnis für Parolen gegen Diktatur hat und wie die Polizei künftige gegen sogenannte „Spaziergänge“ vorgehen will, erklärt Kollmar im Interview.
Herr Kollmar, die Innenstadt wurde regelrecht gestürmt, haben Sie die Lage falsch eingeschätzt?
Siegfried Kollmar: „Unterschätzt“ und „gestürmt“ würde ich nicht sagen. Aber ja, es sind mehr gekommen als erwartet. Wir hatten mit hunderten Teilnehmern, nicht mit 2000 gerechnet.
Wer sind die „Spaziergänger“? Haben wir es mit einer radikalen Querdenker-Bewegung zu tun?
Kollmar: Wer da mitläuft, ist schwer zu greifen, das ist eine merkwürdige Mischung. Ich war selbst vor Ort, habe mit einigen gesprochen. Da waren Jugendliche dabei, Querdenker, Impfgegner, manche mit rechter Gesinnung. Aber auch völlig normale Menschen. Einige sind einfach gegen alles, andere glauben, sie werden von der Weltgesundheitsorganisation vergiftet. Die wenigsten bemühen sich um fundierte Informationen über diese Themen. Da laufen einige mit, die nicht radikal sind und sich für diese Zwecke missbrauchen lassen. Ich habe wenig Verständnis für diejenigen, die durch die Straßen laufen und Diktatur anprangern.
Welche Konsequenzen hat diese Demo? Am Montag hieß es: Wer hier mitläuft, macht sich strafbar.
Kollmar: Fakt ist: Es war keine Versammlung angemeldet, nur ein Spaziergang angekündigt. Die Polizei hat mehrfach die Teilnehmer dazu aufgefordert, sich zu entfernen. Wer das nicht getan hat, dessen Personalien wurden aufgenommen, das war bei 115 Personen der Fall. Sie erhalten eine Anzeige, ihnen drohen Geldbußen. Im Vorfeld gab es viele Möglichkeiten, die Versammlung zu verlassen. Allein am Plankenkopf sind dieser Aufforderung später auch 300 Menschen gefolgt.
Ist ein „Spaziergang“, wie es die Protestler nennen, strafbar?
Kollmar: Hier versucht man, mit Worten das Versammlungsrecht zu umgehen. Das sind Pegida-Schwingungen, bei denen gegen Diktatur und für die Freiheit des Volkes demonstriert wird. Es geht um politische Aussagen und eine Zusammenkunft. Damit handelt es sich um eine Versammlung, die angemeldet werden muss. Jeder darf demonstrieren, wenn er das vorher korrekt anmeldet. Aber hier werden die Spielregeln der Demokratie nicht beachtet.
Siegfried Kollmar
- Seit 2021 ist Siegfried Kollmar Leiter des Polizeipräsidiums (PP) Mannheim.
- Mit rund 2650 Bediensteten ist das PP Mannheim das größte regionale Polizeipräsidium im Südwesten.
- 2018 wird Kollmar nach acht Jahren Leitung der Kriminalpolizei zusätzlich Vizepräsident des Polizeipräsidiums Mannheim. Kollmar ist seit 1979 bei der Polizei.
Polizisten wurden verletzt, die Proteste werden zunehmend gewalttätiger. Macht Ihnen das Sorgen?
Kollmar: Ja, das macht mir Sorgen. Die Menschen sind sehr hitzig unterwegs, verbal aggressiv. Da ist der Weg zur körperlichen Aggression nicht mehr weit. Polizisten wurden durch Fausthiebe und Pfefferspray verletzt, das auch gegen Demonstranten eingesetzt wurde. In Einzelfällen wurden Beamte auch weggestoßen. Das ist keine gute Situation.
Wurden Demonstranten verletzt?
Kollmar: Einige haben versucht, Polizeiketten zu durchbrechen. Um das zu verhindern, setzen die Beamten auch Pfefferspray ein. Verletzte Teilnehmer sind uns nicht bekannt.
Hätte man bei der Kontrolle der Ausgangssperre für Ungeimpfte härter durchgreifen müssen, damit so etwas nicht passiert?
Kollmar: Ich denke, es ist nach wie vor eine gute Linie der Polizei, zu versuchen, Menschen zu überzeugen statt direkt zu bestrafen. Nur bei den Uneinsichtigen gab es eine Anzeige. Wir führen pflichtermahnende Gespräche und sind keine knüppelnde Polizei. Es ist im Übrigen nur ein kleiner Teil in Mannheim, der sich nicht an die Regeln halten will, bei den Kontrollen waren größtenteils grundanständige Personen dabei.
Also gibt es in Mannheim keine radikale Querdenkerszene?
Kollmar: Die Szene mobilisiert sich sehr gut, gibt oft mehrere Aufenthaltsorte an, wo sie sich zusammenschließen, für den Spaziergang in der Innenstadt kamen einige auch von außerhalb. Der Vorfall am Montag war ein Katz-und-Maus-Spiel: Die Polizei hat Teilnehmer auf der einen Seite abgefangen, dann woanders wieder begleitet. Aber wir schauen nicht einfach nur zu, sondern setzten die Regeln durch, zeigen an, und es drohen Geldbußen.
Überwacht die Polizei Social Media und Kanäle wie Telegram, auf denen solche Zusammen- künfte geplant werden?
Kollmar: Selbstverständlich beobachten wir Social Media – aber nur das, was öffentlich zugänglich ist. Hier wird nichts heimlich abgehört. Eine Ankündigung auf solchen Plattformen ersetzt aber eine formelle Anmeldung zur Demonstration nicht. Auf Telegram verabredet man sich, um die Formalien strategisch zu umgehen.
Wie wappnen Sie sich für die nächsten „Spaziergänge?
Kollmar: Wir werden uns mit der Versammlungsbehörde absprechen und Versammlungen solcher Art zukünftig ablehnen. Und unsere Einsatzkräfte weiter aufstocken.
Straßensperrungen, die Teilnehmer hindern in die Stadt zukommen, wird es nicht geben?
Kollmar: Hier wird nichts mit Zäunen abgeschirmt, die Stadt bleibt selbstverständlich für alle frei zugänglich. Dass sich nicht alles unterbinden lässt, ist klar. Aber wir werden jedes Mal vor Ort sein, um Regelverstöße zu verhindern.
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