Mannheim. Ersetzen wir das Anpacken handfester Probleme durch moralisches Wohlverhalten? Sollten wir in Diskussionen und Auseinandersetzung öfter mal die Perspektive des jeweils anderen einnehmen? Kränken wir mit der bewussten oder unbewussten Verwendung von Stereotypen und Klischees vor allem Menschen aus Minderheiten, die sich nicht zur Wehr setzen können? Müssen wir viel mehr miteinander statt übereinander sprechen?
Mit diesen Fragen beschäftigte sich am Donnerstagnachmittag die lange angekündigte Gesprächsrunde zum umstrittenen Auftritt des Awo-Balletts aus dem Stadtteil Rheinau.
Unter dem Titel „Von Sombreros, Wokeness und kultureller Sensibilität“ suchten Michael Kötz, Direktor des Festivals des deutschen Films Ludwigshafen, Altstadträtin Marianne Bade (SPD), Vorsitzende des Awo-Ortsvereins Neckarau, Rheinau, Lindenhof, Florence Brokowski-Shekete (Schulamtsdirektorin und Autorin) und Fabian Burstein, Kultur- und Veranstaltungsleiter der Buga vor rund 50 Zuhörern nach Gemeinsamkeiten. Die Moderation übernahm – mit gut 15 Minuten Verspätung – Robert Montoto vom Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar.
Anzeige gegen Hassmail-Schreiber
Die Awo-Frauen wollten zunächst am 19. April, kurz nach der Buga-Eröffnung, unter anderem mit Sombreros, ägyptischen, japanischen und anderen Kostüm-Accesoires, auftreten. Dies wurde ihnen von einer Buga-Mitarbeiterin kurz vor dem geplanten Auftritt untersagt – zunächst ohne weitere Begründung, auf Nachfrage hatte es dann geheißen, es habe „der Eindruck entstehen können, es würden kulturelle und religiöse Stereotypen zur Unterhaltung ausgeschlachtet.“
Nachdem der Mannheimer Morgen berichtet und der Vorgang bundesweit und international für Aufsehen gesorgt hatte, gestattete Burstein drei von sechs zunächst beanstandeten Kostümen doch. Bei den Buga-Verantwortlichen wurden „E-Mail-Postfächer und Threads in sozialen Netzwerken in der Folge „von Hassmails und Drohungen geflutet“.
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Eine E-Mail-Flut hatte auch die Leiterin des Awo-Balletts, Erika Schmaltz, erlebt – zunächst viel Unterstützung, nach dem von vielen als „Einknicken“ empfunden Eingehen auf den Kompromiss der drei beanstandeten Kostüme-Teile, darunter den Sombrero, dann auch Drohungen und Hass. Die Buga-Gesellschaft, so bestätigte Sprecherin Corinna Brod am Rande der Veranstaltung, hat gegen Hassmail-Schreiber zwischenzeitlich Anzeige erstattet.
Klischees uns Strereotype
Michael Kötz machte klar, dass er in der Verwendung von Klischees und Stereoptypen, wie sie Sombreros und andere Kostüm-Elemente darstellen, keinerlei Problem sehe, im Gegenteil: „Die Kritik daran ist Bullshit, ist Unsinn, denn unser ganzes Leben besteht aus Klischees und Stereotypen.“ Dem hielt Florence Brokowski-Shekete entgegen: „Es steht Ihnen nicht zu, zu urteilen, ob sich Chinesen oder Schwarze Menschen angegriffen fühlen.“
Und genau darum ging es Buga-Kulturchef Burstein, der die Kostüme beanstandete, weil er für die überregional beachtete und international besetzte Buga nicht wollte, dass Menschen sich gekränkt fühlen könnten. Gegen die Rede vom Sombrero-Verbot wehrte er sich zudem: Man habe kein Verbot ausgesprochen, sondern Teile der Kostüme beanstandet und sei „entsetzt“ gewesen, dass das Gegenüber damit an die Öffentlichkeit gegangen sei.
Von dem Shitstorm sei man „überrollt“ und teilweise auch selbst gekränkt worden, so Burstein, der außerdem die Erstberichterstattung des Mannheimer Morgen über das Thema kritisierte. Marianne Bade nahm das Awo-Ballett gegen den Vorwurf in Schutz, den Gang durch alle Medien gesucht zu haben. Im Gegenteil: „Die Medien haben sich geradezu auf das Thema gestürzt“.
Sombrero-Kostüm
Sie habe die Seniorinnengruppe „noch nie unter dem Aspekt der verwendeten Kostüme“ wahrgenommen, sondern als eine Gruppe „aktiver Frauen, die etwas für ihre Fitness und gegen die Einsamkeit im Alter tut.“ Dem pflichtete auch Florence Brokowski-Shekete zu: „Ich habe den Frauen nie unterstellt, rassistisch zu sein oder wissentlich verletzen zu wollen.“
Kötz, der nach der Überwindung des autoritären Nachkriegsdeutschland im „Moraldiktat einer akademischen Oberschicht“ einen „neuen Autoritarismus“ sieht, wendete sich gegen Verbote: Dazu Burstein: „Egal ob Verbot oder nicht Verbot – warum verzichtet man nicht einfach darauf, bestimmte, möglicherweise verletzende Dinge zu sagen.“ Marianne Bade wies zusammenfassend darauf hin, dass die „Moralkeule“ in der Debatte gar nicht nötig sei: „Ein Blick ins Grundgesetz reicht aus, denn dort steht ’Die Würde des Menschen ist unantastbar’.“
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