Justiz

Autoattacke in Mannheim: Das sagt der wichtigste Zeuge

Kai Matt hat die Autoattacke in der Rhenaniastraße in Mannheim-Neckarau leicht verletzt überlebt. Ein Gespräch über den 12. Juni 2022 - und die Verbundenheit mit den anderen Betroffenen

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Agnes Polewka
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Vier Radfahrer sind am 12. Juni 2022 in der Rhenaniastraße brutal angefahren worden. Zwei Menschen starben, zwei Männer wurden verletzt, einer davon lebensgefährlich. © René Priebe

Mannheim. „Was wäre, wenn . . .?“ - diese Frage hat sich Kai Matt in den vergangenen Monaten unzählige Male gestellt. Er ist der vierte Radfahrer, der am 12. Juni 2022 in der Rhenaniastraße von einem Auto angefahren wurde. Wahrscheinlich absichtlich. Er ist der Einzige, der die Autoattacke mit leichten Verletzungen überlebt hat - und der wichtigste Zeuge der Tat.

„Ich hatte meine übliche Runde mit dem Rennrad gedreht, war schon zwei, drei Stunden unterwegs“, erinnert sich der 32-Jährige in seinem Wohnzimmer in Neckarau. Dann zwingt ihn ein platter Reifen zu einer unfreiwilligen Pause. „Ich habe einen neuen Schlauch aufgezogen und musste langsamer fahren.“ Normalerweise legt er auf der Rhenaniastraße seinen Endspurt hin, bevor es nach Hause geht. Tritt in die Pedale, mit 40 Stundenkilometern. Stattdessen schiebt er am 12. Juni 2022 im Baustellenbereich zwischen der Rheinau und Neckarau sein Rad.

Eine Baustelle könnte Matt das Leben gerettet haben

„Ich habe dann ein Auto in meine Richtung fahren sehen. Es hatte einen Platten, schlingerte hin und her. Außerdem war der Kotflügel beschädigt“, sagt Matt. Reflexartig schiebt er sich an den Rand der Baustellenabsperrung. „Ich dachte, so hat es genug Platz, um langsam an mir vorbei zu fahren.“ Doch dann gibt der Fahrer des Autos Gas, lenkt das Fahrzeug in seine Richtung, erinnert sich Matt. Und danach geht alles ganz schnell. Das Auto touchiert sein Rad - ein Pedal bricht ab. Und es streift seinen kleinen Finger. Der Knochen bricht, zersplittert.

„Hinter mir ragte ein Stahlpfeiler aus der Baustelle. Dadurch ist er nicht frontal auf mich zugefahren“, sagt Matt. „Das hat mir womöglich das Leben gerettet.“ Vielleicht auch seine Reifenpanne. Die Minuten, die vergingen, während er den Schlauch wechselte.

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Wie viel Glück im Unglück er hatte, begreift der 32-Jährige später an diesem Abend, als ihn Polizeibeamte aus dem Krankenhaus abholen. Kurz vor Mitternacht, knapp fünf Stunden nach der Autoattacke, nehmen ihn Ermittler mit auf die Wache, damit er seine Aussage macht. Sie berichten ihm, dass der Fahrer des Autos drei weitere Radfahrer gerammt haben soll, bevor er auf Kai Matt zufuhr.

Der einzige vernehmbare Zeuge

Eine Frau sei gestorben, sagen sie ihm. Zwei Männer wurden lebensgefährlich verletzt. Der mutmaßliche Täter zog sich laut Polizei aus, sprang in den Rhein. Wahrscheinlich, um sich selbst umzubringen. Die Wasserschutzpolizei habe ihn unterkühlt aus dem Wasser gezogen und in ein Krankenhaus gebracht.

Ich hatte meine übliche Runde mit dem Rennrad gedreht.

Die Beamten machen Kai Matt klar, wie wichtig seine Aussage noch an diesem Abend ist. Er ist der einzige Zeuge, den sie vernehmen können. Nur er kann etwas darüber sagen, ob der Fahrer mit Absicht auf ihn zufuhr.

Später werden die Ermittler Videoaufnahmen entlang der Strecke auswerten, die auch während des Prozesses gegen den mutmaßlichen Täter gezeigt werden sollen. Doch zu diesem Zeitpunkt brauchen sie Kai Matts Aussage. Dringend. Weil „die einstweilige Unterbringung des Tatverdächtigen in einem psychiatrischen Krankenhaus angestrebt wird“, heißt es einen Tag später in einer Mitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Öffentlichkeit darf nicht zuhören

Am 6. März hat vor dem Landgericht in Mannheim das Verfahren gegen Stefan G. begonnen, der am 12. Juni im vorderpfälzischen Ellerstadt zunächst seinen Vater erstochen haben soll. Anschließend fuhr der 37-Jährige laut Staatsanwaltschaft nach Mannheim, wo er die vier Radfahrer rammte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Totschlag und versuchten Totschlag vor. Sie fordert eine dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie - weil Stefan G. seit seinem 15. Lebensjahr an paranoider Schizophrenie leiden soll.

Da es im Prozess vorrangig um die Frage danach geht, ob G. schuldfähig war oder nicht, und das Gericht dafür seine Privatsphäre ausleuchtet, findet der Prozess nicht-öffentlich statt. Und so mussten die Prozessbeobachter den Gerichtssaal nach der Eröffnung des Verfahrens wieder verlassen. Erst zur Urteilsverkündung dürfen sie ihn wieder betreten.

Das Rennrad von Kai Matt nach der Autoattacke. © Privat

Dies gilt nicht für Kai Matt und die anderen Nebenkläger im Verfahren. Mehr als neun Monate nach der Tat kennt der 32-Jährige die anderen Betroffenen und ihre Geschichten. Er weiß von Michael Gangnus - der nach einem Tag im Garten nach Hause fuhr und lebensgefährlich verletzt wurde. Bis heute kämpft der 57-Jährige mit den Folgen der Tat. Er kann nicht mehr als Altenpfleger arbeiten, musste aus seiner Wohnung ausziehen und lebt heute in einem Pflegeheim. Im Sommer wird er zum 13. Mal operiert.

Und Kai Matt kennt inzwischen auch die Namen von Monika Lobert (71) und Peter Lobert (78), die am 12. Juni eine Runde in der Rhenaniastraße drehten, während der Rasensprenger im Garten ihrer Tochter lief, die in Spanien im Urlaub war. Monika Lobert starb noch an der Unfallstelle in der Rhenaniastraße, Peter Lobert erlag sieben Wochen später seinen Verletzungen.

Anfangs fiel es mir schwer, wieder aufs Rad zu steigen.

Am 6. März hat Kai Matt die Tochter des Paars, Stefanie Bauer, kennengelernt. Vier Tage später Michael Gangnus. Sie alle sind verbunden, durch das, was ihnen passiert ist. „Ich fühle mich manchmal komisch, weil ich so glimpflich davon gekommen bin“, sagt Matt. „Stefanie hat ihre Eltern verloren und Michael fast alles, was er hatte.“ Deshalb möchte Kai Matt auch nicht, dass zu diesem Text ein Bild von ihm veröffentlicht wird. Zum Urteil vielleicht, mit den anderen Betroffenen, sagt Matt. Aber jetzt, da möchte er sich nicht in den Vordergrund drängen.

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Der Bruch seines Fingers ist inzwischen verheilt. Doch auch bei ihm hat die Tat Spuren hinterlassen. „Anfangs fiel es mir schwer, wieder aufs Rad zu steigen“, sagt er. Doch er probierte es wieder und wieder. „Und letztlich hat der Sport mir sehr geholfen, mit der Sache klar zu kommen“, sagt Matt. Die Rhenaniastraße ist er seit dem 12. Juni nie wieder entlang fahren.

Opfer sollen nicht vergessen werden

Matt war zwölf Jahre lang bei der Bundeswehr und hat vor einigen Wochen seinen Technischen Betriebswirt gemacht. Den März über hat er sich eine Auszeit genommen. Um beim Prozess dabei zu sein. Gemeinsam mit den anderen Betroffenen der Auto-Attacke. Sie alle werden von einer Rechtsanwältin, von Sabrina Hausen aus Mannheim, vertreten. Und sie alle haben sich dazu entschlossen, mit dieser Redaktion zu sprechen. Um zu erzählen, was ihnen passiert ist.

Da der Prozess nicht-öffentlich stattfindet, liefen sie Gefahr, völlig unterzugehen. Immer wieder haben Michael Gangnus, Stefanie Bauer und Kai Matt das in Gesprächen betont. Und das tiefe Bedürfnis formuliert, nicht vergessen werden zu wollen.

Redaktion

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