Landgericht

Prozessbeginn nach Autoattacke in Mannheim: „Er weiß nicht, wie er damit leben soll“

Am 12. Juni 2022 rammt ein Auto vier Radfahrer im Mannheimer Stadtteil Neckarau. Zwei von ihnen sterben. Nun steht der mutmaßliche Täter vor Gericht. In der Verhandlung geht es vor allem auch um die Frage, ob der Beschuldigte schuldfähig war - oder dauerhaft in einer Psychiatrie untergebracht wird

Von 
Agnes Polewka
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Der Beschuldigte Stefan G. ist laut vorläufigem psychiatrischen Gutachten nicht schuldfähig, weil er an paranoider Schizophrenie leide. © Uwe Anspach/dpa

Mannheim. Stefan G. sitzt zusammengekauert auf der Anklagebank. Seit Montag muss sich der 37-Jährige vor dem Landgericht in Mannheim verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Totschlag und versuchten Totschlag vor. Sein Blick wandert unruhig durch den Gerichtssaal, während Oberstaatsanwältin Katja Schremb den 12. Juni 2022 rekonstruiert. Den Tag, an dem Stefan G.s Vater starb. Und an dem vier Fahrradfahrer im Mannheimer Stadtteil Neckarau in der Rhenaniastraße unterwegs waren. Heute sind zwei von ihnen tot. Für die beiden anderen ist seit dem 12. Juni vieles anderes. Vielleicht sogar alles.

Langjährige Diagnose

Oberstaatsanwältin Schremb beschreibt in der Anklageverlesung, wie G, bei dem mit 15 Jahren paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurde, an jenem Abend im Wohnzimmer seiner Eltern im vorderpfälzischen Ellerstadt gestanden habe. „Er fragte: Wisst ihr eigentlich, wie es mir geht?“, so die Oberstaatsanwältin. Dann habe er seinem Vater mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Wieder und wieder. Seine Mutter sei ihrem Mann zu Hilfe geeilt, mit einer Vase habe sie auf den Rücken des Sohnes eingeschlagen. Als dieser nicht von ihrem Mann abließ, sei die Frau auf die Terrasse gelaufen, habe um Hilfe geschrien. G. soll weiter zugeschlagen haben. Und zugestochen haben. Zunächst mit einem Zimmermannsnagel, dann mit einem Küchenmesser. Er soll seinen Vater so schwer verletzt haben, dass der 69-Jährige verblutete.

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Mehrere Nachbarn sollen versucht haben, Stefan G. aufzuhalten. Mit Besen und Stühlen. Vergeblich. Der heute 37-Jährige lief laut Anklage anschließend ins Freie und setzte einen Notruf ab, sagte, er habe seinen Vater getötet.

Anschließend soll er sich in das Auto der Familie gesetzt haben, um nach Mannheim zu fahren. Dort befuhr er laut Anklage die Rhenaniastraße und rammte - mutmaßlich absichtlich - vier Radfahrer. Zunächst soll er einen Mann erfasst haben. Frontal. Der Radfahrer wurde von seinem Fahrrad geschleudert. Die Liste seiner Verletzungen ist lang. Frakturen, innere Blutungen. Im Krankenhaus musste er später notoperiert und in ein künstliches Koma versetzt werden. Lange war nicht klar, ob er die Autoattacke überleben würde. Bis heute sind viele seiner körperlichen Beschwerden nicht ausgeheilt, weitere Operationen stehen an.

71-Jährige noch an Unfallstelle verstorben

Dann soll Stefan G. von hinten ein Ehepaar angefahren haben. Die 71-jährige Frau wurde so schwer verletzt, dass sie noch an der Unfallstelle starb. Wenige Wochen später erlag auch ihr 78 Jahre alter Ehemann seinen Verletzungen. Der vierte Radfahrer hörte G. laut Anklage bereits kommen. Alarmiert durch die lauten Geräusche des Fahrzeugs habe er sich hinter eine Baustellenabsperrung geflüchtet. Auch ihn soll Stefan G. erfasst und verletzt haben.

Anschließend soll Stefan G. sich ausgezogen und in den Rhein gestürzt haben. Beamte der Wasserschutzpolizei zogen ihn aus dem Wasser. „Er war nicht ansprechbar, befand sich in Lebensgefahr“, sagt die Oberstaatsanwältin. G. sei im Krankenhaus ins künstliche Koma versetzt worden.

„Später hat er erfahren, was passiert ist“, berichtet die Verteidigerin des Mannes, Ute Mannebach-Junge, am Rande der Verhandlung. Denn alles, was nach der Anklageverlesung folgt, ist nicht-öffentlich. Prozessbeobachter und Journalisten verlassen den Saal. Denn der Prozess gegen Stefan G. ist ein Unterbringungsverfahren. Anders als in Strafverfahren geht es darin nicht um den staatlichen Sühneanspruch, sondern um den Schutz der Gesellschaft vor einem mutmaßlichen Täter.

Die Staatsanwaltschaft geht von der Schuldunfähigkeit von Stefan G. aus, weil er an paranoider Schizophrenie leide - und fordert eine dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie. Und weil eine der zentralen Fragen des Verfahrens darum kreisen wird, ob Stefan G. tatsächlich schuldunfähig ist - wie es ihm das vorläufige psychiatrische Gutachten bescheinigt -, wird es um viele private Details gehen. Und diese werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Erst zur Urteilsverkündung in einigen Wochen sind wieder Prozessbeobachter zugelassen.

Seit 20 Jahren in Behandlung

„Er weiß nicht, wie er damit leben soll“, sagt Mannebach-Junge. „Mit dieser Last“. Die Beziehung zu seinem Vater sei eng gewesen. Sie hätten zusammen als Familie gelebt. Tischtennis gespielt, gemeinsam gegessen, Zeit miteinander verbracht. Seit 20 Jahren sei Stefan G. bereits wegen seiner paranoiden Schizophrenie in Behandlung, gewaltsame Zwischenfälle habe es bis zum Tattag nicht gegeben, so die Mannheimer Rechtsanwältin.

Der heute 37-Jährige befand sich laut Staatsanwaltschaft kurz vor dem Tatabend noch in psychiatrischer Behandlung, war stationär in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Eine Woche vor dem 12. Juni soll er das Krankenhaus verlassen haben. Dem 12. Juni 2022, der so viel verändert hat.

Redaktion

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