Stefanie Bauer kann sich gut an die letzte Begegnung mit ihrer Mutter erinnern. Am 5. Juni 2022, am Pfingstsonntag. „Wir waren im Haus meiner Eltern und haben uns verabschiedet, bevor es in den Urlaub ging“, erzählt sie an einem Nachmittag im März bei einem Spaziergang durch den Rheinauer Wald.
Damals ahnt sie nicht, dass sie ihre Mutter nie mehr lebend wieder sehen wird. Eine Woche später bekommt Bauer in einem spanischen Hotel einen Anruf von der Kriminalpolizei. Danach ist nichts mehr so, wie es war. Monika Lobert, ihre Mutter, ist tot. Ihr Vater, Peter Lobert, ringt um sein Leben. Ein Mann ist in eine Gruppe Radfahrer gerast, heißt es in den Medien. Ungebremst. Mutmaßlich absichtlich. Davor soll er in der Pfalz seinen Vater getötet haben.
Meine Eltern hatten noch viele gute Jahre vor sich
Bauer fliegt nach Hause. Dort versinkt das Leben der Grundschullehrerin im Chaos. Sie hetzt von der Kripo ins Krankenhaus. Sie bangt um das Leben ihres Vaters. Peter Lobert liegt im künstlichen Koma. Die Ärzte sprechen mit ihr über seine Hirnblutung, die vielen Frakturen und eine Amputation, die vielleicht nötig ist. Und sie erfährt, warum ihre Eltern am 12. Juni in der Rhenaniastraße unterwegs waren. „Sie wollten noch eine Runde mit den Rädern drehen, solange in meinem Garten der Rasensprenger lief.“
Bauer kümmert sich um die Bestattung ihrer Mutter. „In dieser Zeit ist uns aufgefallen, dass der Ehering meiner Mutter verschwunden ist - irgendwo auf dem Weg zwischen Gerichtsmedizin und Bestatter“, sagt sie. „Dieses wichtige Erinnerungsstück zu verlieren, das hat mir noch einmal den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Der Ring ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Währenddessen wird ihr Vater in ein anderes Krankenhaus verlegt. „Das hat ihm sehr zu schaffen gemacht“, sagt Stefanie Bauer. In dieser Zeit ist der 77-Jährige wieder bei Bewusstsein. Aber er ist verwirrt, erkennt seine Tochter nicht mehr. Meistens spricht Peter Lobert von früher, von seinen Brüdern und von der katholischen Kirchengemeinde St. Johannes auf der Rheinau, in der er und seine Monika sich so wohl gefühlt haben. In der sie sich so engagiert haben.
Peter Loberts Zustand verschlechtert sich. Wieder muss er verlegt werden. Er hat einen Herzinfarkt.
Aktiv, offen und tolerant
Am 20. Juli wird er 78 Jahre alt. Eine Stunde lang wartet Bauer mit ihrem Sohn auf dem Flur der Intensivstation des Krankenhauses. An seinem Geburtstag soll Lobert nicht alleine sein. Erstmals darf auch sein Enkel ihn besuchen. Doch Loberts Zimmernachbar wird Corona-positiv getestet. Die Krankenschwestern schicken Bauer wieder nach Hause. Sieben Wochen nach der Autoattacke ist auch ihr Vater tot. „Ich bin immer davon ausgegangen, dass meine Eltern noch lange leben werden“, sagt Bauer. Ihre Stimme bricht ab. Beide seien so aktiv gewesen. Mit Freunden reisten sie in die USA. Als Paar entdeckten sie die Dolomiten für sich. Die Weite der Berge. Und zu Hause, auf der Rheinau, da waren sie meistens mit dem Rad unterwegs. Vor allem seit dem Renteneintritt. Beide seien offen und tolerant gewesen, „einfach gute Menschen“, sagt Stefanie Bauer und presst die Lippen zusammen. „Meine Eltern hatten noch viele gute Jahre vor sich.“ Gemeinsame Momente mit ihrer Familie: Abiturfeiern, Geburtstage, Weihnachtsfeiertage.
Nach dem Tod ihres Vaters bricht die Trauer mit voller Wucht über Stefanie Bauer herein. „Bis dahin musste ich in erster Linie funktionieren.“ Doch dann kommt der Schmerz. Die Trauer darüber, dass ihr Vater nie mehr mit seinen Enkeln Fußball oder Minigolf spielen wird. Ihre Mutter nie mehr ihre „weltbesten Frikadellen“ zubereiten und ihre Enkelin zur Physiotherapie fahren wird. Während beide lachen und Selfies machen. Sie sucht sich eine Trauergruppe. Über ihren großen Verlust zu sprechen hilft ihr. Sie hangelt sich von Monat zu Monat. Sie übersteht die Weihnachtsfeiertage, indem sie mit ihrer Familie nach Dubai fliegt. Weit weg. Doch dann kommt der März, und die juristische Aufarbeitung der Autoattacke beginnt. „Durch den Beginn des Prozesses wurde alles wieder hochgespült“, sagt Stefanie Bauer und bleibt stehen.
Durch den Beginn des Prozesses wurde alles wieder hochgespült
Am 6. März hat vor dem Mannheimer Landgericht das Verfahren gegen einen 37 Jahre alten Mann begonnen, der Bauers Eltern getötet haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Totschlag und versuchten Totschlag vor, fordert eine dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie. Der Beschuldigte Stefan G. soll seit seinem 15. Lebensjahr an paranoider Schizophrenie leiden.
Während eines Schubes soll er zunächst seinen Vater im vorderpfälzischen Ellerstadt erstochen haben. Danach fuhr er laut Staatsanwaltschaft nach Mannheim, von Neckarau auf die Rheinau, und erfasste zunächst den 57-jährigen Michael Gangnus, der lebensgefährlich verletzt wurde. Bis heute hat er mit den Folgen der Tat zu kämpfen. Dann rammte er laut Staatsanwaltschaft Monika und Peter Lobert - beide starben. Und einen weiteren Mann, der bei der Attacke leicht verletzt wurde. Er hörte das Auto kommen und flüchtete sich hinter eine Baustellenabsperrung.
„Für mich war von Anfang an klar: Ich muss bei dem Prozess dabei sein“, sagt Stefanie Bauer. „Auch wenn es für mich die reinste Hölle ist.“
Weil es im Verfahren um die Frage geht, ob G. schuldfähig war oder nicht, findet der Prozess bis zum Urteil nicht-öffentlich statt. Und kaum jemand erfährt, wie es den Betroffenen und Hinterbliebenen ergangen ist. „Aber meine Eltern dürfen nicht vergessen werden“, sagt Bauer.
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