Ludwigshafen. Noch ein Serienkrimi im Wettbewerb um den Filmkunstpreis des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen: Der dort präsentierte neue „Polizeiruf 110“ aus München hat Witz, trägt ironische und satirische Züge, und er bietet jede Menge Zeit- und Gesellschaftskritik. Dem korrekten Zeitgeist und seinen Widersprüchen ist der von Regisseur Dror Zahavi in Szene gesetzte Film „Little Boxes“ auf der Spur.
Ein Mitarbeiter des Universitätsinstituts für „Postkoloniale Studien“ wurde tot aufgefunden, auf den Körper aufgemalte Buchstaben brandmarken ihn als Vergewaltiger. Was steckt dahinter? Die Ermittlungen der neuen, von Johanna Wokalek verkörperten Kommissarin gestalten sich nicht nur deshalb schwierig, weil die immerzu Rassismus und Benachteiligung witternden, im Institut den tonangebenden Frauen nicht kooperativ sind. Probleme bereitet auch die neue Diversitätskampagne der Polizei, deretwegen Ermittlerin Chris ein schnöseliger dunkelhäutiger und homosexueller neuer Kommissar zur Seite steht, während der bewährte urbayerische Mitarbeiter degradiert wurde.
Festivalinfo
- Das 19. Festival des deutschen Films geht an diesem Sonntagabend zu Ende. Die Festivalpreise werden bereits am Samstag, 9. September, 18.15 Uhr, im Zeltkino B verliehen.
- Das Filmprogramm auf der Parkinsel in Ludwigshafen geht dann noch weiter; letzte Vorführung: Sonnntag, 21 Uhr.
- Informationen zum diesjährigen Festival, das am 23. August eröffnet wurde, und zu seinem Programm in der Festivalillustrierten, außerdem im Internet unter www. festival-des-deutschen-films.de
Wie gewünschte Vielfalt zu Einfalt führt, anscheinend anspruchsvolle Begründungen tautologisch werden und eine kritische Haltung vor Selbstgerechtigkeit nur so strotzen kann - alles das illustriert das satirisch überspitzte Fernsehstück. Sehenswert machen es auch stilistische Auflockerungen und Verfremdungen wie spontane Tanzeinlagen. Hier wird zudem nicht, wie erwartbar, der Knoten geschürzt und das Tempo forciert, vielmehr entfaltet sich die Sache episch, gelassen, passend zur anscheinend gleichbleibend positiv gestimmten Kommissarin Chris. Die Auflösung des Falls überrascht dann freilich doch; sie lässt einen nachdenklich zurück und zeigt noch einmal auf, wie gut gemeinte Neuerungen bestehende Ungleichheiten eher bestätigen können, statt sie aufzuheben oder wenigstens zu lindern.
Filmische Vielfalt beim Fimfestival in Ludwigshafen
„Little Boxes“ stichelt gegen den diversitätsverliebten Zeitgeist und steht innerhalb des Festivalwettbewerbs um den Filmkunstpreis doch gerade für dessen Vielfalt. Die von Emily Atef inszenierte, sehr atmosphärische Literaturverfilmung „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ ist ganz und gar anders als dieser Krimi. Obwohl der Film ebenfalls einen klaren Zeitbezug aufweist - er spielt im Osten Deutschlands in der Wendezeit, auf die vielfach hingewiesen wird -, wirkt die im Zentrum stehende Geschichte völlig zeitlos. Die junge Maria, deren Eltern sich getrennt haben, lebt bei der Familie ihres Freundes auf einem Bauernhof. Sie schwänzt die Schule, liest, träumt - und lässt sich auf eine Affäre mit einem schwer durchschaubaren Nachbarn ein, dessen Virilität sie fasziniert.
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Die sommerlichen Bilder des Films stehen für Weite, Offenheit. Und entsprechend ist Marias Lebenssituation, die ihre Beziehung zum sympathischen, aber viel konventionelleren Johannes infrage stellt. Zugleich steht Marias Verhalten aber für die Handlungszeit, den gesellschaftlichen Umbruch, der eine, aus damaliger Sicht, noch offene Zukunft in zumindest viel größerer Freiheit als gewohnt verheißt.
Jahrhundertgeschichte im Blick
Besonders in der Person und Familiengeschichte des von Maria begehrten Henner spiegelt sich zudem die deutsche Jahrhundert- und Gewaltgeschichte. So wirken die Charaktere seltsam schwankend, konkret und symbolisch zugleich; die psychologische Dimension der Figuren, die Plausibilität ihres Verhaltens finden dabei eher weniger Beachtung. Das mag irritieren, unterstreicht aber auch die Bedeutung des Atmosphärischen in diesem Spielfilm.
Einen Hauptpreis hätten auch diese zwei auf je eigene Art eigenwilligen Filme verdient, und das gilt natürlich ebenso für „Das Lehrerzimmer“ des Regisseurs Ilker Catak, jenes Werk, das in diesem Jahr zum siebenfachen Filmpreisgewinner avanciert ist und inzwischen auch als deutscher Oscar-Kandidat nominiert wurde. Spannend wie ein Krimi ist diese Geschichte aus dem Mikrokosmos Schule, in dem sich hier gesellschaftliche Spannungen und Konflikte wie unter einem Brennglas zeigen. Es geht um soziale Ungleichheit, Vorurteile und vorschnelle Verdächtigungen. Zentrum und Identifikationsfigur des Films bleibt dabei stets die großartig von Leonie Benesch verkörperte Lehrerin Carla. Sie ist engagiert, sucht das Gute, erweist sich aber naturgemäß dennoch auch als fehlbar.
Ein (weiterer) Film, der niemanden kaltlassen kann, ist das. Wer verdient es von allen Beiträgen im Wettbewerb denn nun am meisten, als bester zu gelten? Eine verbindliche Meinung dazu musste sich die Fachjury, bestehend aus den Regisseuren Petra K. Wagner und Martin Enlen sowie dem ZDF-Redakteur Pit Rampelt, bilden. Zu welchem Ergebnis sie gekommen ist, erfährt das Publikum am Samstagabend, wenn auf der Parkinsel in Ludwigshafen die diesjährigen Festivalpreise verliehen werden.
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