Ludwigshafen. „Dies ist eine Geschichte über Liebe und Tod“, sagt die Erzählerin eingangs. Eine Geschichte über ihre Großmutter, Selma, und über sie selbst, Luise. Und wenn Selma von einem Okapi träumt, dann stirbt innerhalb der nächsten 24 Stunden jemand im Dorf in Aron Lehmanns Spielfilm „Was man von hier aus sehen kann“ nach dem Roman von Mariana Leky, der beim Ludwigshafener Festival des deutschen Films im Wettbewerb um den Publikumspreis läuft.
Wir tauchen hierbei in einen magischen Realismus ein, der sich zwischen der Märchenhaftigkeit von Jean-Pierre Jeunets „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und der wunderlich-kapriziösen Ästhetik von (praktisch allen) Wes-Anderson-Filmen einschwingt. Im Zentrum spielt die großartige Corinna Harfouch die Großmutter, wobei der Selma im Stillen zugetane Optiker (wunderbar: Karl Markovics) das heimliche Herz dieser Geschichte darstellt. Die Handlung vollzieht sich auf insgesamt drei, vornehmlich auf zwei wie Wollknäuel-Fäden verschlungenen Zeitebenen (Luise wird von Luna Wedler und als Kind von Ava Petsch verkörpert) - was einen manchmal etwas verwirrt nach Orientierungspunkten Ausschau halten lässt.
„Was man von hier aus sehen kann“ erzählt mehrere Liebesgeschichten und damit zugleich von der menschlichen Tragödie des Verlierens und Niemals-Ankommens. Dabei gelingen dem Film einige tief bewegende Momente, vor allem die wohl anrührendste und traurig-schönste Sterbeszene, die man seit dem Ende von Nobelpreisträger Kazuo Ishiguros Roman „Der begrabene Riese“ bezeugen konnte. Allein das ist unbedingt sehenswert.
Ein besonderes Gefühl für die magische Anziehungskraft des Wundersamen, das ein paar Schritte abseits der normgepflasterten Alltagswege liegt, durchdringt auch „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ - Sonja Heiss’ Film nach dem Roman von Joachim Meyerhoff, der gleichfalls für den Publikumspreis nominiert ist.
Eigener Ton und Pulsschlag
Er rekapituliert die Erinnerungen von Joachim (dreifach besetzt mit Camille Loup Moltzen, Arsseni Bultmann und Merlin Rose), der auf dem Anwesen einer psychiatrischen Klinik aufwächst, die sein Vater (Devid Striesow) führt.
Das geschieht auch hier in drei - allerdings linear aufeinanderfolgenden - Zeitabschnitten: Kindheit Mitte der 70er Jahre, Jugend und junges Erwachsenenalter. Eingebettet in ein fabelhaftes Setdesign (vor allem die 70er sehen klasse aus), findet der Film einen Herz-gewinnenden, ganz eigenen Ton und Pulsschlag.
Vor allem ist es die en passant gezeigte Normalität, mit der das Anderssein gezeigt wird, die den Film ins Besondere hebt. Da sind die Patienten selbstverständlicher Teil des Familienlebens, da gibt es dann etwa eine selbstgebastelte Plüschtier-Chimäre zum 40. Geburtstag, und niemand findet es erklärungsbedürftig, wenn eigentümliche Fragen gestellt oder Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden.
Auch hier dringen freilich Tragik und Trauer ein - man wird mit Frei- und Unfalltod und letaler Krankheit konfrontiert, und die Ehe zwischen dem Vater und seiner Frau (Laura Tonke) erodiert zusehends. Was bleibt, ist die Wärme, mit der der Film auf seine Figuren schaut, so verdreht und unperfekt sie auch sein mögen.
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