Ludwigshafen. Frau Steinruck, Sie haben vor wenigen Wochen erklärt, bei der Wahl im kommenden Jahr nicht mehr als Oberbürgermeisterkandidatin antreten zu wollen. Wann genau haben Sie das entschieden und was war der letzte ausschlaggebende Grund?
Jutta Steinruck: Den Tag, an dem ich diese Entscheidung getroffen habe, gibt es nicht. Die vergangenen sieben Jahre waren sehr intensiv und auch sehr erfolgreich, wie ich finde. Andererseits war es mit den vielen Krisen auch ein steiniger Weg. Zeitweise war jeder Tag eine Herausforderung. Dass ich mit den Rahmenbedingungen unzufrieden bin, das habe ich in den vergangenen Jahren immer deutlicher gesagt. Mir macht meine Arbeit als Oberbürgermeisterin sehr viel Spaß, aber wenn ich sehe, was haushalterisch auf mich zukommt, dann wird es keinen Spaß mehr machen. Wenn ich weitere Einsparrunden verkünden muss, die tief in die Stadtgesellschaft eingreifen, dann ist das ein Kahlschlag. Es ist aber nicht die OB Steinruck, die diese Vorgaben macht, sondern es sind Bund und Land. Ich will kein Blut an den Händen haben, sage ich oft.
Ludwigshafen: OB-Wahlen 2025
- Mehr als 120 000 Ludwigshafener und Ludwigshafenerinnen sind am 28. September 2025 dazu aufgerufen, ein neues Stadtoberhaupt zu wählen. Die seit 2017 amtierende Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck steht dann nicht mehr zur Wahl.
- Mit dem Hochschulprofessor Klaus Blettner hat die CDU ihren Kandidaten, den sie mit Unterstützung der Freien Wähler (FWG) ins Rennen schicken will, schon benannt.
- Weitere Kandidaten sind bisher nicht bekannt. Das wird sich in den kommenden Wochen aber ändern.
Man könnte aus anderer Perspektive auch sagen, dass Sie ein sinkendes Schiff verlassen.
Steinruck: Das ist kein Verlassen des sinkenden Schiffs. Das ist eine sehr persönliche Entscheidung. Es gibt den Rahmen nicht, das zu gestalten, was ich mir vorgenommen habe. Wenn Bund und Land Signale gesendet hätten, dass da ein Umdenken stattfindet, dann hätte ich mir auch gut vorstellen können, weiterzumachen.
Haben diese vielfältigen Krisen, auf die Sie reagieren mussten, etwas mit Ihrer psychischen Gesundheit gemacht und mit Ihrem Wohlbefinden insgesamt? Gab es also vielleicht doch den Moment, an dem Sie gesagt haben: Ich habe keinen Bock mehr, für den Job heute aufzustehen.
Steinruck: Ich bin zum Glück gesund. Es gibt wahnsinnig viel, was mir Freude macht. Hätte ich das Gefühl, ich könnte in der Stadt noch etwas bewegen, würde ich weitermachen. Ich bin ja nicht die einzige Oberbürgermeisterin in Deutschland, der es so geht.
Inwiefern ist Ihr Parteiaustritt im Jahr 2023 direkt mit der Entscheidung verknüpft, nicht mehr anzutreten?
Steinruck: Gar nicht. Als ich ausgetreten bin, konnte ich mir gut vorstellen, wieder anzutreten. Es gibt genug Menschen, die großes Vertrauen in meine Arbeit haben und bereit waren, einen neuen Wahlkampf zu unterstützen.
Wer sind die Leute?
Steinruck: Ich mag sie nicht einzeln benennen.
Sie hätten dann Wahlkampf gegen die Sozialdemokratie geführt, in der Sie tief verwurzelt sind.
Steinruck: Das Amt des Oberbürgermeisters ist kein parteipolitisches. Ich habe mein Amt immer überparteilich ausgeübt und alle Fraktionen immer gleich behandelt. Das sieht man auch an den Stellenbesetzungen im Rathaus.
Wie intensiv war Ihr Austausch mit der damaligen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, bevor Sie Ihren Parteiaustritt erklärten?
Steinruck: Ich habe mir das lange überlegt und natürlich auch häufig Gespräche mit Malu Dreyer geführt. Sie kannte meine Unzufriedenheit mit politischen Weichenstellungen.
Aber wie hat sie darauf reagiert?
Steinruck: Wir haben die Gespräche darüber intensiviert. Auch der Parteiaustritt war ja keine spontane Entscheidung, sondern ein Prozess. Der Umgang mit der Gräfenauschule war ein Thema, was mich sehr enttäuscht hat. Da wurde mir klar, dass die Landespolitik nicht verstanden hat, dass Ludwigshafen eine Sozialstruktur hat, wie man sie nirgendwo sonst in Rheinland-Pfalz findet.
Nochmal: Gab es niemanden, der versucht hat, Sie von dem Schritt des Austritts abzuhalten?
Steinruck: Nach dem ersten Parteiaustritt ein Jahr zuvor gab es die Bitte, den Schritt zurückzunehmen. Ich habe dann viel und lange mit Malu Dreyer gesprochen und auch einige Zusagen bekommen ...
... die dann nicht eingehalten worden sind?
Steinruck: (schweigt)
Fühlen Sie sich einer anderen Fraktion heute näher?
Steinruck: Ich fühle mich als Demokratin durch und durch und habe nicht vor, in eine andere Partei einzutreten. Und es gab Parteien, die auf mich zugekommen sind.
In den Ludwigshafener SPD-Kreisen wirft man Ihnen hinter vorgehaltener Hand einen Hang zur Egozentrik und mangelnde Teamfähigkeit vor.
Steinruck: Das ist keine Neuigkeit. Aber man kann von einer Oberbürgermeisterin nicht erwarten, dass sie der verlängerte Arm einer Partei ist. Ich wollte nie eine parteipolitische OB sein. Die Unterstützung hat mir die SPD-Fraktion ja relativ schnell nach meinem Amtsantritt verwehrt, als es um die Bebauung des Berliner Platzes ging.
Sind da persönliche Freundschaften zerbrochen?
Steinruck: Ich habe mein politisches Leben und mein privates Leben zum Glück immer getrennt. Aber trotzdem habe ich sehr enge Beziehungen zu handelnden Sozialdemokraten in der Stadt.
Sind Sie jetzt politikverdrossen, weil nach Ihrer Denke die Kommunalpolitik quasi am Ende ist?
Steinruck: Nein, Politikverdrossenheit würde ja bedeuten, ich würde aufgeben.
Naja, das kommt bei vielen so an?
Steinruck: Nein. Ich kämpfe ja weiter für meine Stadt.
Aber Sie senden ein Signal an andere mögliche Bewerber. Die Aussage ist ja: Es hat gar keinen Sinn, sich zu bewerben. Man kann ohnehin nichts gestalten.
Steinruck: Da müssen Sie mit anderen reden. Wer heute OB einer Stadt werden will, muss sich das sehr gut überlegen.
Nun gibt es ja nicht nur Verantwortung bei Bund und Land, sondern auch bei der Stadt. Zum Beispiel in Sachen Kita-Plätze. Hier fehlen Hunderte. Und so kommt es, dass Kinder ohne deutsche Sprachkenntnisse in die Gräfenau-Grundschule kommen.
Steinruck: Es gab ja sehr lange vor meiner Zeit die Prognose zurückgehender Geburtenzahlen. Die EU-Binnenmigration hat sich aber ganz anders entwickelt.
Aber die Sozialstruktur, von der Sie ja dann meist sprechen, entbindet die Stadt doch nicht von der Aufgabe, Plätze zur Verfügung zu stellen. Sind Sie da gescheitert?
Steinruck: Wir haben einfach nicht genug Menschen, die als Erzieherinnen im Kindergarten arbeiten wollen. Das ist eines der großen Probleme. Das ist in Mannheim, Speyer und Frankenthal genauso.
Also ein unlösbares Problem?
Steinruck: Nicht unlösbar, aber es müssen alle Gas geben. Das Tarifgefüge in Rheinland-Pfalz muss besser werden. Viele Erzieherinnen gehen ins benachbarte Hessen oder Baden-Württemberg, weil da schlichtweg besser bezahlt wird als in Rheinland-Pfalz.
Ich habe anfangs nach einem konkreten Grund für ihre Entscheidung, nicht mehr anzutreten, gefragt. Welche Rolle spielte dabei die Gräfenauschule?
Steinruck: Sie war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die zuständige Landesministerin hat das Problem negiert und verniedlicht. Ich hatte den Eindruck, das wird nicht ernstgenommen.
Was muss passieren?
Steinruck: Ich habe zuletzt mit Ministerpräsident Alexander Schweitzer gesprochen. Ich glaube schon, dass er die Situation sehr ernst nimmt. Ich habe ihn um mehr Flexibilität beim Einsatz von Landesmitteln zum Beispiel für Deutschkurse gebeten.
Wieso gelingt es Ihnen eigentlich so schlecht, das Image von Ludwigshafen zu ändern? Stichwort „Pissbahnhof“, Stichwort Hochstraße, Stichwort Innenstadt.
Steinruck: Ich kenne ganz viele Menschen, die wie ich zu ihrer Heimatstadt stehen. Ich liebe diese Stadt. Ludwigshafen hat so viele wunderschöne Ecken und Menschen. Ich sage das immer wieder. Man muss eben auch mal hinschauen wollen. Wir haben eine Innenstadtvision entworfen für 30 Jahre. Das geht alles aber nicht von heute auf morgen. Aber wenn man allein, um zwei Beispiele zu nennen, an das Festival des deutschen Films oder unser Straßentheaterfestival denkt, sind das echte Leuchttürme und Publikumsmagnete. Zu den Hochstraßen: Wir stemmen hier verantwortungsvoll ein hoch komplexes Infrastrukturprojekt für die ganze Region. Und mit Infrastrukturproblemen sind wir in Deutschland ja nicht die einzigen.
Sie sagen, Sie sind in sehr engem Austausch mit handelnden Personen bei der BASF. Wie sehen Sie den Standort und den Einfluss auf die Stadt? Da gibt es Ängste in der Bevölkerung.
Steinruck: Die BASF steht zum Standort Ludwigshafen. Auch bei der neuen Führungsriege erlebe ich eine Nähe und das Bekenntnis zu Ludwigshafen. BASF wird - soweit ich das beurteilen kann - immer Teil der Stadt sein. Das Bekenntnis zeigt sich auch in der Transformation. Die Produktion wird umgebaut für die Zukunft, und wenn dieser Prozess erfolgreich ist, haben wir hier eines der grünsten Industrieunternehmen der Welt.
Zum Schluss: Sie haben jetzt exklusiv die Möglichkeit zu erzählen, was Sie nach ihrer Amtszeit tun.
Steinruck (lacht): Ich weiß es noch nicht. Ich bin dann 63 und fühle mich einerseits zu jung, um nur noch mit dem Hund Gassi zu gehen. Auf der anderen Seite habe ich wirklich noch gar keine Idee. Ich lasse es auf mich zukommen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Oberbürgermeister-Amt in Ludwigshafen verspricht trotz Krisen schnelle Erfolge