Ludwigshafen. Wenn Markus Wirth heute an der kahlen Brachfläche auf der Ludwigshafener Parkinsel vorbeifährt, dann kehren seine Gedanken zum 22. Juni 2013 zurück. „Mir wird wieder bewusst, wie viel Glück wir damals hatten“, sagt der 50-Jährige. Wirth ist damals einer der ersten Feuerwehrleute, die zu einem Einsatz gerufen werden, der die gesamte Region in Atem halten wird.
In einer Lagerhalle geraten durch einen Defekt an der Solaranlage 4800 Tonnen Styropor-Granulat in Brand. In Windeseile breiten sich die Flammen aus, eine schier beispiellose Rauchwolke steigt über der Parkinsel auf, zieht über Mannheim und Südhessen bis zur Bergstraße, bedrohlich und düster. 450 Einsatzkräfte bekämpfen das Feuer, das sich an diesem Donnerstag zum zehnten Mal jährt.
"Wussten gleich, dass es kein alltäglicher Einsatz wird"
Wirth ist schon damals ein erfahrenes Mitglied der Ludwigshafener Berufsfeuerwehr. „Ich kann mich noch sehr gut an den Samstag erinnern“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Truppe sei damals zu zwei Einsätzen parallel gerufen worden, einer Wasserrettung auf dem Rhein und dann zu der Rauchentwicklung in der Hafenstraße. „Schon beim Hochfahren der Tore haben wir die Rauchsäule gesehen. Da wussten wir gleich, dass das kein alltäglicher Einsatz wird.“
Wirth ist Teil des ersten Löschangriffs, der von innen erfolgen soll. Mit zwei weiteren Einsatzkräften betritt er die Halle. Schnell bemerkt er das von der Decke tropfende Metall. Ohrenbetäubende Knallgeräusche sind zu hören - „wie Mörserschüsse“. Es sind die mit Granulat befüllten Bigpacks, die reihenweise aufplatzen. „Als dann die ersten Platten der Photovoltaikanlage von oben heruntergestürzt sind, war das für mich das Signal für den Rückzug, der Eigenschutz ging vor“, erinnert sich Wirth. „Wir sind wie die Karnickel zurückgerannt“, beschreibt er die lebensbedrohliche Situation.
Draußen ist das erste Ziel der Einsatzkräfte, den benachbarten Supermarkt zu schützen, in dem noch reger Betrieb herrscht. Gemeinsam mit der Polizei werden Mitarbeiter und Kunden aus dem Laden gebracht. Unterdessen versucht die Feuerwehr, die Halle in Brandabschnitte zu unterteilen, damit sich die Flammen nicht weiter ausbreiten können. Aussichtslos. „Das Feuer hat die Halle so schnell durchlaufen, sowas hatten wir noch nicht erlebt. Das war unvorstellbar.“
32 000 Liter Wasser pro Minute
Aus dem gesamten Umland werden Einsatzkräfte zusammengerufen. „Jeder wird mobilisiert, der verfügbar ist“, lautet damals die Parole. 120 Feuerwehrleute sind in vorderster Front mit Atemmasken an der Halle im Einsatz, 32 000 Liter Wasser werden pro Minute in das Flammenmeer geschossen.
Insgesamt 2300 Parkinsel-Bewohner müssen ihre Häuser verlassen. Eine von ihnen ist Karin Weidinger. Sie befindet sich zu diesem Zeitpunkt in ihrem Haarstudio am nahegelegenen Schwanthaler Platz. „Ich habe mit einem Mal immer mehr Wolken hochziehen sehen“, erinnert sich die heute 56-Jährige. Ihr erster Gedanke gilt dem Sohn, der sich noch zuhause, unmittelbar gegenüber der Lagerhalle, aufhält. „Er hat beobachtet, wie die Photovoltaikanlage auf dem Dach explodiert“, berichtet Weidinger. Am Telefon weist sie ihn an, sämtliche Türen und Fenster zu schließen und in den Friseurladen zu kommen, wo sie zunächst gemeinsam ausharren.
Überall ist Ruß, alles ist schwarz
Die Flammen schlagen immer höher. „Ich hatte mehr Angst als jemals sonst im Leben“, berichtet Weidinger. Angst um ihr Haus, ihr Hab und Gut. Erst einen Tag später darf sie kurz hinein, um ein paar Sachen zu holen. Überall ist Ruß, alles ist schwarz. Der Sohn hatte nur auf der Frontseite zur Lagerhalle alles verschlossen. Bis sie alles wieder sauber bekommt, vergeht mindestens eine Woche, berichtet die Friseurin. Doch immerhin geht es allen gut, auch der Katze, die sich in der Wohnung verkrochen hatte.
Auch in der Nachbarschaft sind Häuser und Autos durch den rußigen Niederschlag schwarz besprenkelt. Die Hafenbetriebe, denen das Brandgrundstück gehört, sammeln die Schadensansprüche. „Sie sind von Tür zu Tür gegangen. Wir haben unsere Entschädigung erhalten, das ist gut gelaufen“, sagt Weidinger.
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Lange Zeit scheint gegen das Feuer kein richtiges Ankommen. Dank des Turbolöschers der BASF kann ein Übergreifen der Flammen auf Wohnhäuser und den Supermarkt verhindert werden. Am Samstagabend wird ein Angriff mit Löschschaum vorbereitet, der eine massive Verschmutzung des Rheins mit sich bringen würde. Der Einsatz zahlloser Wasserwerfer zeigt jedoch gerade noch rechtzeitig Wirkung, der Angriff wird abgeblasen.
Angehörige plagt Ungewissheit
„Ich habe nie wieder so viele Feuerwehrfahrzeuge auf einmal gesehen“, erinnert sich Markus Wirth. 24 Stunden am Stück bekämpft er mit seinen Kameraden das Feuer. Die Anspannung ist enorm, die Erschöpfung kommt erst am Tag danach. Auch für die Angehörigen sei es eine schwierige Situation gewesen. „Es gab keine Möglichkeit, sie zu informieren, ob es einem gut geht.“ Um 5.32 Uhr am Sonntagmorgen gilt das Feuer offiziell als gelöscht. Die Bekämpfung von Glutnestern dauert noch einen weiteren Tag an. „Dass niemand ernsthaft verletzt wurde bei diesem Einsatz, zeigt, dass wir alles richtig gemacht haben“, sagt Wirth.
Die Fläche der ehemaligen Lagerhalle - damals entstand ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe - liegt bis heute brach. Stadt und Hafenbetriebe streiten über die Nutzung. Nach Angaben von Franz-Josef Reindl, Direktor der Hafenbetriebe, liegt das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Und so bleibt das kahle Grundstück eine stete Erinnerung an den 22. Juni 2013. Nicht nur für Menschen wie Markus Wirth und Karin Weidinger.
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