Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs steht das BASF-Stammwerk Ludwigshafen im Fokus. Der Chemiekonzern braucht große Mengen Erdgas für die Versorgung seiner Anlagen, aber auch als wichtigen Rohstoff. Zuerst war die Sorge groß, dass bei einem Ausbleiben der Gaslieferungen aus Russland, der ganze Standort herunterfahren müsste.
Während diese Gefahr gebannt scheint, wächst dagegen eine andere Sorge: Wegen der hohen Energiekosten könnte BASF Produktionen in Ludwigshafen schließen und in andere Regionen außerhalb Europas verlagern, wo die Energie billiger ist. Experten warnen schon vor der De-Industrialisierung Deutschlands. Auch das aktuelle große Sparprogramm der BASF hat die Angst vor einem Kahlschlag in Ludwigshafen befeuert. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Wie viel Gas verbraucht BASF überhaupt?
Der BASF-Erdgasbedarf in Europa lag 2021 bei rund 48 Terawattstunden, davon entfielen allein auf das Werk Ludwigshafen 37 Terawattstunden. Eine Terawattstunde (TWh) entspricht einer Milliarde Kilowattstunden. Der Chemiekonzern gilt als größter industrieller Gasverbraucher in Europa. Entsprechend massiv wirken sich Preissteigerungen aus: In den ersten neun Monaten hat BASF 2,2 Milliarden Euro mehr für Gas bezahlt als im Vorjahreszeitraum.
Hat der Konzern den Gasverbrauch inzwischen reduziert?
Ja. Vorstandschef Martin Brudermüller hat vor einigen Tagen in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ erklärt, man werde dieses Jahr substanziell weniger Gas verbrauchen als bisher. Genaue Mengen nennt BASF nicht.
Was für Folgen hat das für das Werk Ludwigshafen?
Ein Großteil der Einsparungen läuft über die Abschaltung und Drosselung von Produktionen. Betroffen sind Anlagen, die besonders viel Gas verbrauchen, wo zum Beispiel Ammoniak oder Acetylen hergestellt werden. Bereits im September 2021 hat BASF die Ammoniakproduktion an den Standorten Ludwigshafen und Antwerpen gedrosselt - wegen des hohen Erdgaspreises. Wie stark die Anlagen in den vergangenen Monaten weiter heruntergefahren wurden, verrät BASF nicht. Ein Sprecher erklärt auf Anfrage: „Aufgrund des volatilen Marktumfelds passt BASF die Ammoniakproduktionsmengen kontinuierlich an die Entwicklung der Erdgas- und Ammoniakpreise an.“ Reduzierte Produktionsmengen würden durch Zukäufe ausgeglichen. Ammoniak lasse sich weltweit schnell zukaufen, hatte Brudermüller bei einer Telefonkonferenz im August erklärt, „zu Bedingungen, die deutlich unter den variablen Kosten hier in Europa liegen“.
Sind noch andere Anlagen am Standort betroffen?
Auch die Acetylen-Anlage in Ludwigshafen läuft dem Sprecher zufolge derzeit nur mit verminderter Auslastung, da die Nachfrage nach Acetylen-basierten Produkten zurückgegangen sei. „Der Grund dafür ist, dass einige Acetylen-Folgeprodukte zurzeit nicht wettbewerbsfähig hergestellt werden können, weil die Rohstoffkosten stark gestiegen sind.“ Wie viele Beschäftigte in den betroffenen Anlagen arbeiten und wie diese derzeit beschäftigt sind, wird nicht kommuniziert.
Stehen weitere Produktionen vor der Drosselung?
„BASF verfolgt die Situation, und es wird situationsbedingt entscheiden, welche Anpassungen in den Produktionswertschöpfungsketten gegebenenfalls erfolgen müssen“, so der Sprecher. Bundesweit reagieren die Betriebe auf die hohen Energiekosten: Der Branchenverband VCI erwartet, dass 2022 in der deutschen Chemieindustrie 8,5 Prozent weniger produziert wird als im Vorjahr.
Welche Chancen haben Energie-intensive Anlagen in Ludwigshafen auf lange Sicht?
Da sieht es nicht so rosig aus. Der VCI warnt für die ganze Branche: „Wir wissen heute nicht, ob die bereits stillgelegten Anlagen jemals wieder hochgefahren werden und wie viel Produktion nochmal zurückkehrt“. BASF-Chef Brudermüller geht davon aus, dass die Energiekosten langfristig etwa drei Mal so hoch sein werden wie in den USA. Der Grund: LNG-Gas, das die russischen Pipeline-Lieferungen teilweise ersetzen soll, ist deutlich teuer. Die BASF kritisiert auch, dass die EU ständig mehr und immer komplexere Regulierungen für die chemische Industrie einführe. Auch das mache Europa weniger wettbewerbsfähig.
In welche Regionen könnte BASF Produktionen verlegen?
Der BASF-Sprecher sagt dazu: „Was wir feststellen, ist, dass die USA für Investitionen derzeit grundsätzlich sehr attraktiv sind.“ Nicht nur wegen der billigeren Energie, sondern auch wegen des milliardenschweren Investitionsprogramms für den Klimaschutz. Der Inflation Reduction Act verspricht hohe Subventionen und Steuergutschriften im Bereich erneuerbare Energien und grüner Wasserstoff. Bedingung ist aber, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder in den USA produzieren. So wächst auch in der Politik die Angst vor einer Abwanderung der deutschen Industrie. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat deshalb am Dienstag eine aktivere Industriepolitik angekündigt sowie eine „europäische Antwort“ auf das US-Programm. In den USA ist BASF mit großen Standorten vertreten.
Welche Regionen könnten noch Neu-Investitionen anziehen?
Auch der Nahe Osten ist wegen der günstigen Energie attraktiv. Und Brudermüller setzt weiterhin auf China, trotz etwa der Kritik an der restriktiven Covid-19-Politik des Landes. Der Konzern baut sein Engagement dort aus und investiert derzeit Milliarden Euro in einen neuen Verbundstandort.
Will der Chemiekonzern die Gaspreisbremse der Bundes-regierung in Anspruch nehmen?
Nach derzeitigem Stand nein. BASF habe den Ehrgeiz, die Energiekrise ohne Staatshilfe zu bewältigen. Auch weil diese mit Vorgaben verbunden ist, etwa zum Erhalt von Arbeitsplätzen, und damit die unternehmerische Freiheit einschränken würde.
Wie ist der Stand beim großen Sparprogramm der BASF - wird das Jobs im Stammwerk kosten?
Ja, auf jeden Fall. Die Kürzungen sollen die jährlichen Kosten außerhalb der Produktion um 500 Millionen Euro senken. „Details zu den Maßnahmen werden derzeit mit hoher Dringlichkeit ausgearbeitet“, erklärte der BASF-Sprecher. Mehr als die Hälfte der Einsparungen will der Vorstand am Standort Ludwigshafen mit seinen rund 39 000 Beschäftigten umsetzen - auch durch Stellenabbau. Dabei geht es explizit um Arbeitsplätze in der Verwaltung. Brudermüller betont aber, dass es darüber hinaus auch Anpassungen in der Produktion geben wird.
Was sagt der Betriebsrat zu den Perspektiven des Standorts?
Für BASF-Betriebsratschef Sinischa Horvat ist klar, „dass wir nie mehr billiges russisches Gas bekommen werden“. BASF müsse sich weitgehend unabhängig von Gas machen und die Energieversorgung schnellstmöglich auf grünen Strom umstellen. Und sollte „die eine oder andere Anlage“ in Ludwigshafen wegen der hohen Energiekosten nicht mehr rentabel sein, müsse in Alternativen investiert werden. Horvat setzt zum Beispiel auf - von Gas unabhängige - Biotechnologie und Anlagen für biobasierte Produkte.
Wie sicher sind die Arbeitsplätze aus Sicht des Betriebsratschefs?
Horvat verweist auf die Standortvereinbarung, die bis 2025 gilt und betriebsbedingte Kündigungen im Stammwerk ausschließt. Aber die Beschäftigten würden allein schon für die ökologische Transformation und den damit verbundenen Umbau des Werks Ludwigshafen benötigt. „Wir brauchen dafür die nächste Standortvereinbarung, die bis 2030 gilt“, so Horvat. Einen Kahlschlag im Stammwerk sieht er auf keinen Fall.
Und wie sieht das die Unternehmensführung?
Auch Vorstandschef Brudermüller bekennt sich zur Standortvereinbarung. Und er hat gerade mehrfach betont, dass Horror-Szenarien für Ludwigshafen nicht angebracht seien. Man werde alles tun, um die „Wiege der BASF“ in die Zukunft zu bringen, und darum kämpfen, die ökologische Transformation auch dort hinzubekommen. So laufen in Ludwigshafen mehrere Pilotprojekte, etwa zur Umstellung der Produktion von Gas auf Strom. Der Sprecher erklärt: BASF investiere „in neue Technologien und Konzepte, um den Standort für eine CO2-freie Zukunft zu rüsten“. Wie zukunftssicher allerdings die besonders energie-intensiven Anlagen etwa zur Ammoniakherstellung sind - das hängt erst einmal von der Entwicklung der Energiekosten in Europa ab.
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