Schauspiel

"Herkunft" von Saša Stanišić: Theaterstück über eine schwierige Ankunft in Heidelberg

Auch die berühmt gewordene Heidelberger Tankstelle kommt darin vor: Ein Theaterabend nach Saša Stanišić' Roman "Herkunft" ist jetzt im Heidelberger Theater zu erleben. Ein vielschichtiges Stück wird gezeigt

Von 
Eckhard Britsch
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Szene mit Simon Mazouri in der Hauptrolle des Saša und Verena Buss (Kristina). © Susanne Reichardt

Heidelberg. Eine Wand, quer über die Bühne gezogen. Wie klaustrophobisch solch ein Element sein kann, wissen wir spätestens seit der Novelle von Marlen Haushofer. Hier im Marguerre-Saal des Heidelberger Theaters hingegen wirkt sie nicht bedrohlich, sondern in ihrer Semi-Transparenz leicht und elegant als Folie, vor und hinter der die Protagonisten ihr Spiel entwickeln.

"Herkunft" von Saša Stanišić: Bühnenfassung nach Bestseller-Roman

Zusammengefügt aus 168 Quadraten, die sich im übermütigen Zorn eintreten lassen oder als Gucklöcher dienen, die als Durchgänge zwischen zwei Welten nutzbar sind oder als ferne Bild-Erinnerungen eine fast magische Vergangenheit beschwören: Kurzum, die Szene ist angerichtet, auch wenn vor dem Auftritt der vier Saša-Figuren und ihrer Oma Kristina heftiges Regengeplätscher und fernes Donnergrollen (oder sind es Artilleriegranaten?) gewittrige Atmosphäre schaffen.

Regisseur Nick Hartnagel schuf seine Bühnenfassung nach dem Bestseller-Roman „Herkunft“ von Saša Stanišić, der mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde und deshalb für so viel Aufsehen sorgte, weil dort in kunstvoller Schreibe Migration und Fremdsein, Flucht und Identität in einem anderen Land, das irgendwann zur Heimat werden soll, aus der Sicht eines Jungen und Heranwachsenden verhandelt werden; mit viel (Selbst)Ironie gewürzt, mit scharfem Blick auf zuweilen skurril anmutende Verhaltensweisen der Anderen pointiert, deren spöttische Aneignung Teil der Integration werden könnte.

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„Der Roman ist besser als das Stück“, war nach der Premiere von mancher Literaturexpertin zu hören, welcher Pfeil nicht ins Schwarze, sondern knapp daneben trifft. Denn angeboten werden weder Hörbuch noch szenische Lesung, sondern ein vielschichtiges Theaterstück, das zwischen verstörender Innenschau, Sehnsucht, Hoffnung, Selbstfindung und zeitgeschichtlichen Bezügen pendelt, und dies alles in raffiniert-spielfreudiger Weise umsetzt.

Regisseur Nick Hartnagel findet in Heidelberg eine ausgezeichnete Besetzung

Dafür hat der Regisseur eine ausgezeichnete Besetzung gefunden, denn die vier Saša-Figuren Marie Dziomber, Simon Mazouri, Leon Maria Spiegelberg und Vladlena Sviatash, die zwischendurch fremdländische Sprechsalven abfeuert, interagieren ausgezeichnet, derweil Verena Buss in der Rolle einer an Demenz erkrankten Großmutter eindringlich glänzt. Anfangs wiederholen sich die vier Darsteller in Textschleifen, ehe sie sukzessive ihre Rollen aufspalten. Agil und jugendlich, in Jeans, Turnschuhen und Sweatshirt gekleidet (Bühne und Kostüme: Yassu Yabara), pendeln sie zwischen alter und neuer Welt.

Erinnerungsfetzen werden collagiert. Der Bub hat mit Papa beim legendären Spiel von Roter Stern Belgrad gegen Bayern München im heimatlichen Visograd mitgefiebert, und der Sieg hat national Stolz eines scheinbar geeinten Jugoslawiens befördert. Doch es kam anders. „Was willst Du mitnehmen“, fragt der Vater seinen Sohn, als die Einheit zerfällt, Teilstaaten und Ethnien, Religion und Ideologie zu schrecklichem Bürgerkrieg führen. „Den Schal“ sagt der Junge und meint das Fan-Accessoire.

Die Zeiten und Vorgänge verweben sich zu einem nahegehenden Muster. Oma Kristina - Verena Buss in Strickjacke und altem Kleid - verabschiedet sich aus der Realität hinein in ihre Innenschau. Aber was ist schon Realität? Sind es die Mythen einer Drachenwelt zwischen hohen Bergen, wohin ihr Ehemann entschwunden sei und sicher bald wiederkommt? Oder der stete Wink ihres Enkels, Opa sei wohl tot? Aber sie ist auch ein wenig herrisch, verlangt dauernd nach einem Glas Wasser und schenkt ihrem Enkel reinen Wein ein: „Du bist ein Esel“ lautet ihre stete Replik, wenn Saša „vernünftig“ mit ihr reden möchte.

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Natürlich leben Roman und Bühnenfassung vom Heidelberg-Bezug, wohin es die Flüchtenden verschlagen hat. Seltsame Orte gebiert die Notwendigkeit von Treffs und Kommunikation. Sind es heute oft Tankstellen, wo sich die Poser ihre röhrenden Auspuffanlagen zeigen, so war es Anfang der 90er Jahre die durch Saša Stanišić berühmt gewordene Aral-Tankstelle hoch über Leimen, wo sich die Wege zu Boxberg und Emmertsgrund gabeln. Der Blick schweift in die Ferne bis nach Frankreich oder bleibt im Nebel hängen; die Jugendlichen hängen ab und suchen Lauschiges in benachbarten Obst- oder Weingärten. Berührende Momente. Die erste Liebes-Sehnsucht mit absurden Folgen, später der Clinch mit der Ausländer-Behörde, aus der unser Held als amtlich anerkannter Schriftsteller hervorgeht, einschließlich Bleiberecht.

Diese Überlappungen und Zeitsprünge im Verein mit imaginativer Bühnengestaltung, packendem Spiel und assoziativem Musik-Sound (Lukas Lonski) wurden mit heftigem Beifall belohnt. Gehört der Saša Stanišić jetzt uns? Oder leben wir längst in einer interkulturellen Zwischenwelt und merken es nur nicht?

"Herkunft" im Heidelberger Theater, nächste Aufführungen: 13. und 22. Dezember, 20. Januar, je 19.30 Uhr. Kartentelefon: 06221/58 20 000

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