Heidelberg. Eine neue Nord-Süd-Bahnlinie, die Gasleitung, eine Streckenertüchtigung für Züge zwischen Mannheim und Heidelberg – und jetzt möglicherweise auch noch Geothermie-Probebohrungen: Landwirte im Heidelberger Osten beobachten einen stetig wachsenden Flächenfraß – und sorgen sich um ausreichend große Produktionsflächen für Nahrungsmittel. Die Gemeinderatsfraktion „Die Heidelberger“ hat nun zu einer Radtour in Wieblingen und Grenzhof eingeladen. Drei Stunden lang besichtigten Interessierte landwirtschaftliche Betriebe und schauten sich die Flächen an, die für anstehende Projekte in der Planung sind.
Den Befürchtungen der Landwirte aus dem Heidelberger Osten Gehör verschaffen, das hatten sich die beiden Stadträtinnen der „Heidelberger“, Larissa Winter-Horn und Marliese Heldner, mit der Einladung zur Tour vorgenommen. Beide sind in landwirtschaftlichen Betrieben aufgewachsen und können die Sorgen gut nachvollziehen, berichten sie.
Vielfältige Ansprüche
„Bahnlinie, Gasleitung, Radschnellweg: Wir sind nicht gegen die einzelnen Projekte – aber immer werden zusätzlich Flächen benötigt, die landwirtschaftlich genutzt werden“, fasst Rainer Treiber, Landwirtschaftsmeister mit Aussiedler-Betrieb in den Landschaftshöfen, zusammen. Und selbst wenn nicht direkt Flächen für Straßen oder anderen Infrastruktur verwendet würden, würden weitere Areale als Ausgleichsflächen benötigt. Zum Beispiel als „ökologische Entschädigung“ bei Bauprojekten irgendwo im Stadtgebiet. Flächen, auf denen Nahrungsmittel produziert werden, werden so immer weiter „angeknabbert“. Ein steter Flächenfraß.
Die Tour startet am Feuerwehrgerätehaus in Wieblingen und führt über die L 637 hinweg Richtung Edingen. Der breite Feldweg soll zum Radschnellweg nach Mannheim aufgerüstet und mit einer Unterführung ergänzt werden. Vielen sei nicht bewusst, dass Feldwege zum Arbeitsplatz des Landwirts führen – dem Feld. Mit schwerem Gerät müsse man sich heikel an nicht immer einsichtigen Radlern vorbeimanövrieren. Für den Radschnellweg habe man sich eine eigene Spur erkämpft – aber dafür gehe auch wieder Land verloren.
Landwirtschaft
- Im Heidelberger Stadtteil Wieblingen gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch etwa 60 Landwirte. Sie hatten ihre Höfe im Ort.
- In drei Aussiedlungswellen zogen gut ein Dutzend Betriebe in die Gemarkungen außerhalb des alten Ortskerns
- 1949 gründete ein Betrieb in Marienhof, 1958 zogen vier Betriebe in die Hessenhöfe und in den 1960 Jahren wurden die Treiberhöfe Heimat für fünf Betriebe. Drei Höfe blieben im Ort.
- Von 15 Betrieben Anfang der 1990er-Jahre sind heute noch neun übrig – allesamt im Nebenerwerb und keiner mehr im Ort selbst angesiedelt.
Treiber erzählt, dass er in dritter Generation den Aussiedlerhof betreibt. Bis 2019 hielt man Milchvieh. „60 Kühe samt Nachzucht – 120 Tiere lebten auf dem Hof“, berichtet er. Doch sein Sohn will die Tierhaltung nicht übernehmen, und „zehn Jahre vor der Rente“ hätten sich die anstehenden, notwendigen Investitionen für mehr Tierwohl nicht rentiert. Ohnehin wird die Landwirtschaft im Nebenerwerb geführt, wie in den meisten Familien in den Aussiedlerhöfen ist Treibers Frau neben den Aufgaben auf dem Hof noch berufstätig. Neben Ackerbau gehört Biotop- und Grünflächenpflege im Auftrag des Umweltamts zu den Geschäftsfeldern. Lupinenheu wächst auf den Feldern – zur Freude von Insekten und Feldhamstern. Verkauft wird das Grünfutter nach dem Trocknen an einen Reiterhof.
Kurz vor dem Wasserturm stoppt die Gruppe. Hier soll die Gaspipeline gelegt werden. Dafür soll ein 30 Meter breiter Streifen freigehalten werden. Boden, der zwar im Besitz bleibt, aber auf dem weder gebaut noch Bäume gepflanzt werden dürfen. „Die Trasse würde 200 Meter hinter unserem Hof herführen“, macht Treiber deutlich. Unsicher auch die Situation rund um den Marienhof an der Wieblinger Straße: Im Regionalplan sind 100 Hektar Ackerfläche als potenzielles Gewerbegebiet vorgehalten. „Langfristige Betriebsplanungen macht das eigentlich unmöglich“, bilanziert Treiber.
Nachbar Stefan Welk baut Kartoffeln, Zwiebeln und Getreide an – und muss dafür teuer bewässern. Auch ein Schweinemastbetrieb ist auf Ackerflächen angewiesen, das lernen die Besucher auf dem Hof von Peter Beisel, der sein Futtergetreide selbst anbaut. 190 Euro bekommt er heute für ein von 25 auf 125 Kilo gemästetes Tier. Das Futter kostet zwischen 70 und 110 Euro. Seit der Schließung des Mannheimer Schlachthofs müssen die Tiere deutlich weiter transportiert werden. „Ich verliere langsam die Lust an meinem Beruf“, sagt Beisel.
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