Heidelberg. Am Montag, 24. Januar 2022, stürmte ein 18-Jähriger in einen Hörsaal im Neuenheimer Feld in Heidelberg und eröffnete das Feuer. Die 23-Jährige Marie-Luise stirbt, drei weitere Menschen werden verletzt. Der junge Mann, Student wie seine Opfer, erschießt sich anschließend vor dem Gebäude selbst.
Ein Jahr später laden Universität und Studierende zum Innehalten ein. Um 18 Uhr beginnt am Jahrestag, Dienstag, 24. Januar 2023, ein Requiem in der Aula der Neuen Universität in der Heidelberger Altstadt. Es wird weder eine Begrüßung geben noch Reden, erklärt Uni-Pressesprecherin Marietta Fuhrmann-Koch. Die Musik bekommt alle Aufmerksamkeit - und jeder Zuhörer die Möglichkeit, den eigenen Gedanken und Gefühlen nachzugehen. Auch die Familie der Getöteten muss diesen schweren Tag nicht allein verbringen.
Musik, Stille und Diskussion
- Um 18 Uhr lädt die Universität Heidelberg am Jahrestag der Amoktat am 24. Januar um 18 Uhr zu einem musikalischen Gedenken in die Aula der Neuen Uni ein.
- Auf dem Programm steht das Requiem d-Moll op. 48 des französischen Komponisten Gabriel Fauré (1845 bis 1924), das der Universitätschor unter Leitung von Universitätsmusikdirektor Michael Sekulla aufführt; Solistin an der Orgel ist Maria Mokhova.
- Die Peterskirche als Universitätskirche wird an diesem Tag von 10 bis 22 Uhr als Ort der Stille, der Trauer und des Gebets geöffnet sein. Seelsorgerinnen und Seelsorger stehen für Gespräche zur Verfügung.
- Wie kann eine Gesellschaft mit einer derartig extremen Form von Gewalt umgehen? Diese Frage steht ab 20 Uhr im „Zwinger 1“ auf dem Programm. Theater und Studierendenrat laden dazu ein.
Sofort Hilfsangebote
„Die schreckliche Amoktat im vergangenen Jahr ist nicht vergessen, sie wird im Gedächtnis der Universität festgeschrieben bleiben“, betont Unirektor Bernhard Eitel. „Insbesondere möchte ich auch auf die Stärke und den Gemeinsinn verweisen, die sich nach dem Amoklauf gezeigt haben.“
Dieser Aspekt steht auch für Alexander Schwarz, den Opferbeauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg und früheren Leiter der Mannheimer Staatsanwaltschaft, im Vordergrund: Die Betroffenen seien im Wesentlichen Angehörige der Universität gewesen, den Traumatisierten und Opfern habe die Uni sofort ein Angebot machen können. Da sei vieles besser als in anderen Fällen gelaufen.
Unmittelbar nach dem Geschehen im vergangenen Januar habe sich ein Krisenstab gegründet, dem Vertreter der Uni, des Landes, der Stadt, der Polizei und der Staatsanwaltschaft angehörten und der zunächst wöchentlich tagte, später in größeren Abständen. In diesem Frühjahr, nach dem Jahrestag, soll sich der Kreis noch einmal abschließend treffen.
Bald nach der Tat wurde zudem eine 0800-Nummer für Hilfesuchende geschaltet, die bis vor Kurzem noch geschaltet blieb. Der Opferschutzbeauftragte sah seine Aufgabe vor allem darin, eine „Lotsenfunktion“ auszuüben. Wer sich meldete, bekam zum Beispiel Adressen und Ansprechpartner genannt, die ihm weiterhelfen konnten. Wurden zu Beginn „mehrere Dutzend“ Betroffene begleitet, nahm die Zahl im Laufe des Jahres ab, erinnert sich Schwarz.
Peter Abelmann, mit Diana Zhunussova Vorsitzender der Studierendenschaft (StuRa), wird ab 20 Uhr im „Zwinger 1“ auf dem Podium sitzen. Das Theater und der StuRa organisieren einen „Ein Abend gegen Hass, gegen Angriffe auf unsere freiheitliche Gemeinschaft und gegen das Vergessen“. Unter anderem wird jene Tutorin sich an dem Gespräch beteiligen, die die Tat miterlebte.
Ich habe erst einmal mit dem Rektorat Kontakt aufgenommen und schließlich die ersten Infos von der Polizei bekommen.
Vor einem Jahr arbeitete Abelmann gerade in seinem Hiwi-Büro auf dem Campus Bergheim, als sich über WhatsApp-Gruppen die Nachricht von Schüssen im Hörsaal verbreitete und alle gebeten wurden, drinnen zu bleiben und die Türen geschlossen zu halten. „Ich habe erst einmal mit dem Rektorat Kontakt aufgenommen und schließlich die ersten Infos von der Polizei bekommen". Den Rest des Tages habe er am Telefon verbracht: „Es haben viele Menschen angerufen, deren Kinder in Heidelberg studieren, oder andere, die sich sorgten und sich durch verschiedene Telefonnummern der Universität durchgewählt hatten. 45 Minuten nach der Tat gibt er der Nachrichtenagentur das erste Interview. Die nächsten vier Wochen, erinnert sich Abelmann, forderte ihn sein Ehrenamt komplett: Gespräche, Gedenkveranstaltungen und Trauerspaziergänge prägen neben einem Meer von Blumen und Kerzen das Campusleben.
„Retraumatisierung“ verhindern
Ob es am umgebauten Hörsaalgebäude eine Art Gedenkstein geben wird, sei noch nicht genau geklärt. Es müsse auf jeden Fall etwas Positives sein, findet Abelmann: „Eine Retraumatisierung darf keinesfalls geschehen.“ Der Hörsaal wird wieder für die Lehre genutzt, in Hybridform: Niemand müsse sich der Räumlichkeit aussetzen, sondern könne per Internet der Veranstaltung folgen.
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An die getötete Studentin erinnert ein neuer Preis, der im April zum ersten Mal verliehen wird: Den Marie-Luise-Jung-Preis haben Universität, Verfasste Studierendenschaft und Doktorandenkonvent initiiert. Auf zunächst 20 Jahre gesichert, wird er von der Fakultät für Biowissenschaften an eine herausragende Absolventin mit Masterexamen vergeben.
Bundesweit blieb die Amoktat in Heidelberg kein Einzelfall. Im Juni 2022 verletzt ein Mann in einem Hörsaal der Hochschule Hamm-Lippstadt mit einem Messer eine 30 Jahre alte Gastdozentin tödlich. Den Täter hat das Dortmunder Landgericht gerade für schuldunfähig befunden.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Ein starkes Netz nach der Amoktat in Heidelberg