Edingen-Neckarhausen. Es ist der 26. Juni 773. Mit einer Urkunde überlässt eine Frau namens Cilina – Nachnamen gibt es damals noch nicht – dem Kloster Lorsch ein Grundstück am Neckarufer. Das Besondere: Erstmals wird damit ein Ort namens Neckarhausen schriftlich erwähnt. Das wird 1250 Jahre später natürlich kräftig gefeiert – im Sommer mit einem Festakt, schon dieses Wochenende mit einem großen Umzug.
Dabei muss auch in diesem Fall der Hinweis folgen: Die Erwähnung von 773 bildet keine „Geburtsurkunde“ des Ortes, er wird an diesem Tag nicht gegründet. Es ist lediglich ein erstes Zeugnis seiner Existenz. Besiedelt ist er sicher schon zuvor. Doch interessant ist, dass es für diese Zeit kaum Spuren gibt. Die Römer, ansonsten für unsere Region prägend, haben hier bis auf ein paar Münzen nichts hinterlassen, obwohl an dieser Stelle am Neckar ein Übergang zu ihrer nahen Provinzhauptstadt Ladenburg wahrscheinlich ist. Die Stelle ist dafür nämlich ideal, seit dem Mittelalter daher auch eine Fähre belegt.
Der einst wilde Neckar mit seinen Überschwemmungen ist einer der prägenden Einflüsse für die Ortsgeschichte – neben Seuchen wie der Pest von 1247 und vor allem Kriegen, nicht zuletzt dem Dreißigjährigen 1618 bis 1648. Auch das kleine Neckarhausen leidet darunter – etwa, als der katholische Feldherr Tilly 1621 hier einen Übergang über den Neckar errichten lässt. „Die strategische Bedeutung Ladenburgs war oft genug das Schicksal Neckarhausens“, weiß Gemeindearchivar Dirk Hecht. Als die Franzosen 1689 nahezu die ganze Region niederbrennen, wird auch Neckarhausen zerstört.
Ein Graf siedelt sich an
1705 wird der etwa 250 Einwohner zählende Ort kurpfälzisch, Neckarhausen blüht auf wie die nahe Residenzstadt Mannheim – bis Karl-Theodor 1778 seinen Hof nach München verlegt. Sein Statthalter in der Kurpfalz wird Graf Franz Albert von Oberndorff (1720-1799). Dieser erwirbt in Neckarhausen als Landsitz ein Herrenhaus – Keimzelle jenes Schlosses, das bis heute das Ortsbild prägt, und Ausgangspunkt einer Dynastie, deren Name präsent bleibt.
Bald lässt sich ein weiterer wichtiger Adeliger vor Ort nieder: 1821 erwirbt Napoleons illegitimer Sohn Charles Leon Denuelle (1806-1881) das Anwesen neben Schloss Oberndorff. Doch er verspekuliert sich in Geldgeschäften, und so wird dieses „Leon‘sche Schlösschen“ 1839 versteigert; es geht an den Nachbarn, Alfred von Oberndorff (1802-1888).
Mehr Erfahren
- Überblick: Instruktive fünfseitige Darstellung von Gemeindearchivar Dirk Hecht in Jubiläumsbroschüre „Neckarhausen 773-2023“, erhältlich im Rathaus und abrufbar im Web unter edingen-neckarhausen.de.
- Ortschronik: „Neckarhausen. Geschichte und Gegenwart“ von Paul Fütterer vom Badischen Generallandesarchiv Karlsruhe, 300 Seiten, erschienen zur 1200-Jahr-Feier 1973, instruktiv, aber eben nicht aktuell.
- Periodika: Veröffentlichungsreihe „Bausteine zur Ortsgeschichte Edingen-Neckarhausen“, herausgegeben vom Förderverein Gemeindemuseum mit wechselnden Schwerpunkten.
- Zu Neckarhausen in der NS-Zeit: Günter Fillbrunn: „Über erste Auswirkungen von Hitlers Machtübernahme auf Neckarhausen“, Beitrag in den Bausteinen zur Ortsgeschichte 2010.
- Zur Gemeindefusion: „Seid nett zueinander!“ Spannende Darstellung von „Zeitreise“-Ko-Autor Klaus Backes zum 40. Jahrestag der Fusion 2014, 116 Seiten, Edition Ralf Fetzer.
- Zur Fähre: „Fähre Neckarhausen. Geschichte und Geschichten“ von Klaus Backes und Günter Fillbrunn, 127 Seiten, herausgegeben 1995 vom Rathaus Edingen-Neckarhausen.
- Zum Schloss: „Die Grafen von Oberndorff. Adelige Lebenswelten zwischen Oberpfalz und Oberrhein“ von Ralf Fetzer, 2005, 304 Seiten.
- Museum: im Schloss, betrieben von IG Gemeindemuseum, Vorsitzender Dietrich Herold, 06203/85207.
- Jubiläumsveranstaltungen: Festumzug Sonntag, 23. April, 14 Uhr; Festakt im Festzelt am Freizeitbad, Samstag, 15. Juli, 12.50 Uhr.
Aber der Adel ist in jener Zeit unter Druck. 1848 kommt es zur Revolution, die im Jahr darauf durch die Preußen niedergeschlagen wird. In Ladenburg wollen sie im Juni 1849 auf der neuen Eisenbahnbrücke den Fluss überqueren. Doch die Revolutionäre verschanzen sich in Neckarhausen, unter anderem im Schlosspark (heute Schwimmbad). Eine Woche lang dauern die Kämpfe.
Die Zeit des Kaiserreiches bringt für Neckarhausen tiefe Umbrüche. 1878 wird auf dem Neckar die Kettenschifffahrt eingeführt; der Treidelei, also dem Ziehen der Schiffe neckaraufwärts durch Menschen oder Pferde und für Neckarhausen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, wird so die ökonomische Basis entzogen.
1891 wird Neckarhausen Station der Bahnstrecke Heidelberg-Mannheim und damit an einen überörtlichen Verkehrsweg angebunden – und dadurch zum Wohnort für Arbeiter der boomenden Großstadt Mannheim. Aber somit auch betroffen von den ökonomischen Krisen des frühen 20. Jahrhunderts. Die Weltwirtschaftskrise schlägt in der Arbeitergemeinde voll durch – mit zuweilen kuriosen Erscheinungen. Peter Bach, Sohn eines bekannten Schmiedes und den Kommunisten nahestehend, wandert 1930 in die Sowjetunion aus. Vom „Werktätigen-Paradies“ unter Stalin jedoch enttäuscht, kehrt er zurück, geht 1932 in die USA.
Unter der Macht der Nazis
Viele Daheimgebliebene verfallen der Agitation der Nazis. Ihre Machtergreifung 1933 im fernen Berlin hat direkte Folgen für die Gemeinde. Bürgermeister Wilhelm Hack, seit 1915 im Amt, wird am 29. März 1933 von NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Schreckenberger abgelöst; mit seinem Vize Christian Bühler und Ratsschreiber Wilhelm Fillbrunn amtiert er bis zum bitteren Ende 1945.
Gegner des Regimes werden verhaftet, etwa Hermann Siebig, Kommunist, Gewerkschaftssekretär und Gemeinderat: Im Mai 1933 ist er inhaftiert, zunächst in Mannheim, später im KZ Dachau (Er überlebt das Dritte Reich und engagiert sich nach dem Kriege in der SPD, ist 1946 bis 1948 Vize-Bürgermeister, bis 1971 Mitglied des Gemeinderates).
Der Machtanspruch der Nazis zeigt sich auch im Ortsbild: Die Friedrich-Ebert-Straße wird nach Adolf Hitler benannt, die Neugasse nach seinem Steigbügelhalter Hindenburg, die Hintergasse nach Badens NSDAP-Gauleiter Robert Wagner.
Die Vereine stellen sich teils gezwungenermaßen, teils freiwillig in den Dienst des neuen Regimes. Die Versammlung des FC Viktoria 08 am 16. August 1933 endet laut Protokoll „mit einem begeisterten Sieg Heil auf unseren Führer Adolf Hitler.“
Obwohl Neckarhausen einer der wenigen Orte ist, in dem laut Archivar Hecht keine Juden leben, bleibt er nicht frei von antisemitischer Hetze. An der ehemaligen OEG-Haltestelle bei der Fähre verkündet ein Schild: „Juden sind in Neckarhausen unerwünscht“. Und auf einer Versammlung der Bauern Neckarhausens heißt es am 21. April 1934, „dass bei Juden nicht gekauft wird.“
Nach zwölf Jahren ist der braune Spuk 1945 vorbei. Über 130 Soldaten aus Neckarhausen sind gefallen, etwa 30 gelten als vermisst. Sogar das Kriegsende fordert noch zwölf sinnlose Tote: Soldaten verschanzen sich im Ort und sprengen am 28. März 1945 die Bahnbrücke. Das kann die Amerikaner nicht daran hindern, in der Nacht den Neckar am Stauwehr zu überqueren und sich am Aserdamm einzugraben. Am 30. März besetzen sie den Ort und richten im Schloss ihren Befehlsstand ein.
Die verbliebenen Repräsentanten des NS-Regimes, Vizebürgermeister Bühler und Ratsschreiber Fillbrunn, werden umgehend abgesetzt – letzterer stirbt in Haft – und Engelbert Gruber zum Bürgermeister ernannt; im November 1945 folgt ihm Christostemus Hinkelbein und bereits im Jahr darauf Eduard Schläfer; er wird bis zum Ende der Selbstständigkeit Neckarhausens 1975 amtieren.
Kampf um Selbstständigkeit
Dieses Ende naht, als das Land Ende der 1960er Jahre die Gemeindereform angeht. Mannheim fordert dabei 1973 neben dem Anschluss von Ilvesheim und Heddesheim auch jenen von Neckarhausen und Edingen; das lehnen beide strikt ab. Das Innenministerium schlägt daraufhin eine Fusion von Edingen und Neckarhausen vor. Der Edinger Gemeinderat ist einstimmig dafür, der von Neckarhausen ebenso einmütig dagegen, unterstützt von 97 Prozent in einem Bürgerentscheid. Neckarhausen will lieber nach Ladenburg, wohin schulisch und gesellschaftlich engere Beziehungen bestehen.
Doch das Land lehnt ab. „An dieser Stelle ist der Neckar besonders breit“ – so sein juristischer Berater Carl Hermann Ule. 1974 werden erneut die Bürger gefragt: In Edingen sind 82 Prozent für die Fusion, in Neckarhausen 95 Prozent dagegen. Stuttgart bleibt hart. Neckarhausen reicht Verfassungsklage beim Staatsgerichtshof ein. Im März 1975 fahren 200 Neckarhausener in Bussen nach Stuttgart – und werden enttäuscht.
In der Nacht auf den 3. Mai 1975 ist es soweit: „Die Menschen schliefen als Bürger von Edingen und Neckarhausen ein und wachten als Bürger von Edingen-Neckarhausen auf“, so Autor Klaus Backes in seinem Buch. Neckarhausens Bürgermeister Schläfer tritt in den Ruhestand und stirbt 1992. Werner Herold, seit 1966 Rathaus-Chef in Edingen, wird mit 98 Prozent zum Bürgermeister gewählt und bleibt dies 16 Jahre; mittlerweile steht er im 98. Lebensjahr. Im Jahr des 1250. Ortsjubiläums amtiert seit 2022 im Rathaus der Fusionsgemeinde Florian König – aus Neckarhausen.
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