Speyer. Schwere Komplikationen nach einer Corona-Impfung gibt es vergleichsweise selten, aber es gibt sie. Den 42-jährigen Speyerer Torsten Wölle hat es besonders hart getroffen, nachdem er sich Anfang Juni bei einem Speyerer Mediziner mit dem Biontech-Impfstoff Comirnaty hatte impfen lassen. Etwa zehn Tage später ging er erneut zum Arzt, weil er winzige Einblutungen und blaue Flecken an sich bemerkt hatte. Dann ging es schnell: Er fand sich auf der Intensivstation des Mannheimer Universitätsklinikums wieder.
Die Anzahl seiner Blutplättchen (Thrombozyten) lag zum Zeitpunkt der Einlieferung in die Notaufnahme bei etwa 3000 pro Mikroliter Blut – normal sind etwa 130 000. Das dokumentieren die Arztbriefe, die der Redaktion vorliegen. Immunthrombozytopenie (ITP) hieß die Diagnose – eine Autoimmunerkrankung. Dabei erkennt das Abwehrsystem des Körpers die eigenen Blutplättchen als Fremdkörper und baut sie vermehrt ab. Dies führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Die Ärzte sahen bei Wölle darin eine lebensbedrohliche Situation. Ein leichter Sturz hätte etwa zu starken inneren Blutungen führen können. Und das, obwohl sich der zweifache Vater, wie er selbst sagt, eigentlich wohlfühlte.
In seinem Körper sah es anders aus, denn dort hatte die Impfung offenbar eine starke Immunreaktion ausgelöst. Etwa 108 Millionen Impfdosen des Wirkstoffs von Biontech sind seit 27. Dezember 2020 in Deutschland verabreicht worden. Nach Veröffentlichungen des Paul-Ehrlich-Instituts, das im Auftrag der Bundesregierung Impfkomplikationen registriert, gab es bis zum 30. September 94 300 Verdachtsfälle. Für schwerwiegende Reaktionen gab es demnach 0,2 Meldungen pro 1000 Impfdosen.
Im Bezug auf Probleme mit Immunthrombozytopenie (ITP) – also Wölles Krankheit – hat das Institut im jüngsten Sicherheitsbericht auf Seite 7 festgehalten, dass sich Risiko-Hinweise für ITP nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff ergeben. Weniger eindeutig sei das Ergebnis für das Vakzin von Johnson & Johnson. Für Biontech und Moderna sei aus Deutschland jedoch kein Risikosignal verifizierbar.
Immunthrombozytopenie (ITP)
Die Abkürzung ITP steht für Immunthrombozytopenie. In Deutschland leben derzeit rund 16 000 Patienten mit einer chronischen Form dieser früher auch als Werlhof-Krankheit bekannten Autoimmunerkrankung.
Das Abwehrsystem erkennt die eigenen Blutplättchen fälschlicherweise als Fremdkörper und baut sie vermehrt ab. Typische Symptome sind blaue Flecken, Nasen- und Zahnfleischbluten oder starke Blutungen bei Verletzungen.
Empfehlung: Keine Zweitimpfung
Und doch haben sich bei Wölle diese Komplikationen einige Tage nach seiner Biontech-Impfung eingestellt. Behandelt wurde er anschließend wochenlang mit Cortison. Sein Hausarzt hat ihm bezüglich einer eventuellen Zweitimpfung sinngemäß attestiert, dass man aufgrund der potenziell lebensbedrohlichen Impfreaktion auf die Covid-Impfung von einer Folgeimpfung absehen solle. Vorsichtiger drücken es die Ärzte des Mannheimer Uniklinikums im Entlassbrief vom 23. Juni aus. Eine Nebenwirkung der Impfung könne als Ursache von Wölles Erkrankung (ITP) nicht ausgeschlossen werden, steht dort. Es gebe insofern auch keine verlässlichen Daten oder Empfehlungen für das weitere Vorgehen. „Wir würden unter diesem Aspekt keine Fortführung der Immunisierung empfehlen“, heißt es wörtlich.
Für Wölle war die Leidenszeit noch nicht vorüber. Die Cortison-Behandlung schwächte sein Immunsystem und führte dazu, dass ihn einige Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus eine Lungenentzündung niederstreckte. Zudem stellten sich Gefäßverschlüsse in den Fingern heraus, die von einem Mannheimer Spezialisten begutachtet werden mussten – unter anderem mit Blutverdünnern. Teile seiner Fingerkuppen sind bis heute kaum durchblutet. Alle zwei, drei Tage ging Wölle zum Arzt. Bauchspritzen gegen Thrombose gehörten zum Tagesgeschäft. Aus heiterem Himmel erlitt er beim Schieben eines Kinderwagens einen Muskelfaserriss – wiederum eine Folge der Cortisonbehandlung, wie ihm Ärzte sagten. Das Gröbste scheint nun überstanden.
Schlechte Erfahrungen hat er unterdessen mit Behörden gemacht: Als er wegen seiner Impfreaktion mit der Firma Biontech in Kontakt treten wollte, gestaltete sich das schwierig. Eine Sprecherin habe ihm gesagt, man werde sich melden. Passiert sei gar nichts, so Wölle am Donnerstag.
Weil er weiter ungeimpft ist und wegen des Blutverdünners auch keine Antigen-Tests im Rachenraum vornehmen soll, spürt Wölle nun die gesellschaftlichen Nachteile, die Impfgegner auch spüren, obwohl er der Impfung eigentlich offen gegenüber stehe. Zu diesem Thema hat er an das für Speyer zuständige Kreisgesundheitsamt geschrieben – wegen einer Ausnahmegenehmigung beispielsweise für Orte, an denen die 2G-Regel gilt. Man verwies ihn an das Gesundheitsministerium.
Seinen Schilderungen zufolge gehöre er zu den Ausnahmefällen, da er sich aus medizinischen Gründen nicht impfen und nicht testen lassen könne, schrieb man ihm aus der Landeshauptstadt Mainz. Jedoch: „Die Corona-Verordnung sieht keine Ausnahmeregelung vor.“ Er könne bei der Stadt eine Ausnahmegenehmigung von der Testpflicht beantragen. Dort liegt der Antrag jetzt. Man wolle beim Ministerium nachfragen, habe man ihm mitgeteilt, so Wölle.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Diskussion über das Impfen: Folgeschäden in der Gesellschaft drohen