Speyer. Torsten Wölle ist gerade wirklich nicht zu beneiden. Erst hatte er mit Folgen seiner Erstimpfung zu kämpfen, nun kämpft er um seinen medizinischen Status. Wie am 5. November berichtet, stellten sich bei dem 42-jährigen Speyerer innerhalb von zehn Tagen nach der Immunisierung mit dem Biontech-Impfstoff Comirnaty sogenannte unerwünschte Reaktionen ein, die ihn im Juni kurzzeitig sogar auf die Intensivstation des Mannheimer Universitätsklinikums beförderten. Das ist nach Darstellung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) ultimativ selten der Fall. „Keine Risikosignale verifizierbar“ steht im Sicherheitsbericht des PEI zu seinem Krankheitsbild nach einer Biontech-Impfung. Aber: Eine Blutgerinnungsstörung namens ITP war als Folge diagnostiziert worden. Eine Behandlung mit Cortison und später mit Blutverdünnern war notwendig. Inzwischen geht es ihm körperlich wieder ganz gut, auf einem anderen Blatt steht der psychische Druck. 2G, 2G+, 3G, 3G+ - immer unübersichtlicher wird in diesen Tagen, wo wer was darf. Wölle fühlt sich zu unrecht ausgeschlossen aus der Gesellschaft.
Im Juni reagierte der Körper
Sowohl juristisch als auch medizinisch ist Wölle ein Sonderfall, konstatiert man bei Gesundheitsamt und Stadtverwaltung. Er gehört eben nicht zu denen, die sich nicht impfen lassen wollten. Im Gegenteil. Er war Anfang Juni dran und dann reagierte sein Körper. Vor dem Gesetz gilt er heute als Ungeimpfter. Indes: Mit einer Impfung würde er womöglich sein Leben riskieren. Die Mannheimer Klinik-Ärzte haben ihm zur Entlassung in das Bulletin geschrieben: „Wir würden unter diesem Aspekt keine Fortführung der Immunisierung empfehlen“, stand da. Sogar von Testungen wurde ihm angeraten - wegen der Gefahr, durch den Abstrich in Nasenhöhle oder Rachenraum kleine blutende Wunden zu verursachen, die bei der Einnahme von Blutverdünnern schlecht zu stillen sind. Seither befindet er sich im einigermaßen steten Austausch mit Verwaltungs- und Gesundheitsbehörden, deren Verhalten ihm nicht an jeder Stelle nachvollziehbar erscheint. Zunächst war da die Tatsache, dass Zuständigkeiten nicht klar geregelt waren. Es stellte sich genau das heraus, was man heute als bürokratisches Klischee beschreiben würde. Ministerium verweist auf regionale Gesundheitsbehörde, regionale Gesundheitsbehörde verweist auf Stadt Speyer, Stadt Speyer verweist auf Gesundheitsbehörde. Fakt ist: Weil ein gleich gelagerter Fall nirgendwo bekannt ist, gibt es bisher auch keine zugeschnittenen Lösungen.
Jeden Tag Tests bezahlen?
Die Speyerer Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler (SPD) sagt dazu: „Wir sind in diesem Fall nur die untergeordnete Verwaltungsbehörde.“ Ihre Verwaltung hat Wölle unter Verweis auf eine fachliche Stellungnahme einer Ärztin im Gesundheitsamt des Rhein-Pfalz-Kreises nun mitgeteilt: „Nach Sichtung der Unterlagen steht aus Sicht des Gesundheitsamtes der Durchführung von Abstrichen aus medizinischen Gründen aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos nichts entgegen.“ Der zweite und letzte Satz lautet: „Unter diesen Umständen sehen wir uns leider außer Stande, Sie mit geimpften beziehungsweise genesenen Personen gleichzustellen.“
Als der 42-Jährige nach der ausführlichen Stellungnahme der Ärztin fragte, lautete die Antwort, dass dies ein internes Dokument sei. Wölle sagt: „Da geht es um mich, meine Gesundheit und meine Daten.“ Auch ein erneutes Telefonat mit der Ärztin selbst brachte für ihn keine Lösung. Inzwischen hat er seine Blutverdünner abgesetzt. Corona-Tests sollten für ihn nun kein Risiko mehr darstellen. Als Vertriebsmanager in der Musik- und Veranstaltungsbranche ist er beruflich oft unterwegs. In Rheinland-Pfalz darf man sich derzeit einmal pro Woche kostenlos testen lassen. Um in dem Maße am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilzuhaben, wie er das gewohnt war, müsste er sich also an sechs Tagen jeden Tag auf eigene Kosten testen lassen, sofern nicht ohnehin die 2G-Regel gilt. „Ich habe mich doch impfen lassen“, sagte er schon Anfang November.
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