Katholische Kirche - Nachdem die Justiz zunächst von einer Verjährung ausging, werden die Vorwürfe gegen eine Ordensschwester im Speyerer Kinderheim Engelsgasse nun untersucht / Opfer heute 35 Jahre alt

Staatsanwalt ermittelt gegen Speyerer Nonne wegen Verdacht des sexuellen Missbrauchs

Von 
Stephan Alfter
Lesedauer: 
Schwer belastet: Eine Ordensschwester aus Speyer (Symbolbild) sieht sich der Untersuchung ihrer Vergangenheit ausgesetzt. © dpa

Speyer. Nun also doch: Die Frankenthaler Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen eine Nonne aus der Ordensgemeinschaft der Schwestern vom Göttlichen Erlöser (Niederbronner Schwestern) eingeleitet, weil der Anfangsverdacht besteht, dass sie einen damals ungefähr achtjährigen Jungen in einem Speyerer Kinderheim zwischen 1994 und 1995 vergewaltigt hat. Auslöser sind die Recherchen und Veröffentlichungen dieser Redaktion im Frühjahr 2021.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber begründet die Aufnahme von Ermittlungen mit dem Brief des früheren Opfers an eine Münchner Anwaltskanzlei, die als Missbrauchsbeauftragte für den Orden auftritt. Dorthin hatte sich der heute 35-jährige Mann gewendet, nachdem er dem „Mannheimer Morgen“ im Frühjahr seine Erlebnisse in dem Kinderheim unweit des Speyerer Doms erzählt hatte.

Chronologie

  • Im Dezember 2020 hat der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann öffentlich gemacht, dass es in den 60er und 70er Jahren viele Missbrauchstaten an Heimkindern in der Engelsgasse gab.
  • Auf Wiesemanns Ankündigung hin meldeten sich weitere Betroffene beim Bistum und diese Redaktion stieß bei der Recherche ebenfalls auf Geschädigte.
  • Aus der Recherche entstand eine Doku, die unter dem Titel „In Gottes Namen“ in der ARD-Mediathek zu sehen ist.
  • In diesem Film beschuldigt ein heute 35-jähriger Mann eine Heimschwester, ihn missbraucht zu haben.

Die Vorwürfe, die der 35-jährige Mann, der schwer traumatisiert ist, gegen seine damalige Erzieherin im Kinderheim Engelsgasse erhebt, wiegen schwer. Geschildert hat er sie im Mai auch im Rahmen eines 45-minütigen Films über Hintergründe von sexuellem Missbrauch im Bistum Speyer. Die Doku ist in einer Kooperation zwischen „Mannheimer Morgen“ und ARD entstanden. Sie untersucht unter anderem, ob es früher in dem Kinderheim ein pädophiles Netzwerk zwischen Priestern und Nonnen gab. Wirklich beweisen ließ sich das jedoch nicht.

Mehr zum Thema

Sexuelle Gewalt

Missbrauch durch Nonne im Speyerer Kinderheim in der Engelsgasse: Es wird nicht ermittelt

Veröffentlicht
Von
Stephan Alfter
Mehr erfahren
Bistum

Missbrauchsskandal: 35-Jähriger erhebt schwere Vorwürfe gegen Nonne aus Speyer

Veröffentlicht
Von
Stephan Alfter
Mehr erfahren
Sexueller Missbrauch

Kommission beginnt mit Aufarbeitung

Veröffentlicht
Von
Sal
Mehr erfahren

Mehr zum Thema

ARD-Reportage am Montag im TV (mit Video)

Missbrauchsvorwürfe gegen Katholische Kirche - Recherche im Schatten des Doms in Speyer

Veröffentlicht
Von
Julian Eistetter
Mehr erfahren

„Sie trug ein grünes Nachthemd“

Inhaltlich stimmen die Aussagen des Mannes in dem Film mit dem Brief überein, den er nach München geschickt hat. Dort steht: „In Abständen von einigen Wochen hat mich Schwester ... abends in ihr Nachtbereitschaftszimmer geholt. Ich musste mich dann jeweils nackt ausziehen und mich so ins Bett legen. Schwester ... zog sich dann auch nackt aus. Sie trug oft ein grünes Frottee-Nachthemd.

Als sie nackt war, hat sie sich viele Male erst neben mich gelegt und sich dann auf mich gesetzt, um sich selbst zu befriedigen. Sie hat ’Hoppe, hoppe Reiter’ auf mir gespielt. Damals konnte ich nicht einordnen, ob das ein normales Verhalten ist oder ob da gerade etwas Unrechtes vor sich geht.“

Wie viel Zeit die Ermittlungen in Anspruch nehmen, ist laut Ströber unklar. Zunächst gebe es nun eine Befragung des vermeintlichen Opfers. Damit sei das Kommissariat II in Ludwigshafen beauftragt worden. Die Beschuldigte, die ungefähr 70 Jahre alt ist und heute in einem Schwesternwohnheim in Speyer lebt, lässt sich anwaltlich vertreten. Eine Stellungnahme habe es aber bisher nicht gegeben. Der Versuch einer Kontaktaufnahme zu ihr seitens dieser Redaktion scheiterte am Mittwoch erneut. Das zu erwartende Strafmaß im Falle einer Verurteilung liege zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs komme nicht in Betracht, so Ströber, weil das entsprechende Gesetz erst 1998 entstanden sei, während sich der in Rede stehende Vorgang den Schilderungen zufolge aber früher ereignet habe.

Schwester wurde „Hexe“ genannt

Der Orden der Niederbronner Schwestern war über viele Jahrzehnte in dem Kinderheim aktiv. Unter früheren Heimbewohnern fallen die Urteile sehr unterschiedlich aus - je nachdem, in welcher Zeit sich die Kinder dort aufhielten. Während einige von der „Hölle Engelsgasse“ sprechen, sagen andere, dass sie dort eine schöne Zeit verbracht hätten. Die Recherchen dieser Redaktion ergaben aber, dass sich viele Bewohner aus den 1980er und 90er Jahren an die nun beschuldigte Schwester erinnern.

„Die Hexe“ wurde sie damals hinter vorgehaltener Hand genannt. Sie habe oft geschlagen und sei dafür bekannt gewesen, sehr fies zu sein. Von sexuellem Missbrauch spricht bisher nur der damals achtjährige Junge, der später drogenabhängig wurde.

Die Schwestern vom Göttlichen Erlöser sahen sich in der jüngeren Vergangenheit häufiger mit Vorwürfen konfrontiert. Im vorliegenden Fall haben sie dem Opfer am 4. September angeboten, dass der 35-Jährige jetzt einen Antrag auf „Anerkennung des Leids“ stellen könne, ließ Provinzoberin Barbara Geißinger am Mittwoch mitteilen.

Mit „ Anerkennung des Leids“ umschreibt die Katholische Kirche Geldbeträge, die Opfern von sexuellem Missbrauch durch Geistliche oder Schwestern überwiesen werden. Das können - je nach Dimension des Vorwurfs - mehrere Zehntausend Euro sein. In der Vielzahl der Fälle sind die Vorwürfe verjährt. Selbiges hatte Hubert Ströber auch im aktuellen Fall vor einigen Wochen mitgeteilt. Nach erneuter Überprüfung habe man aber festgestellt, dass das hier doch nicht so sei.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen