Bistum Speyer

Vergewaltigt: 35-Jähriger erhebt schwere Vorwürfe gegen Nonne aus Speyer

Von 
Stephan Alfter
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Metropolregion. Knapp fünf Monate nach Bekanntwerden unvorstellbarer Missbrauchsvorwürfe im Bistum Speyer, gibt es nun einen weiteren ehemaligen Bewohner des Kinderheims in der Engelsgasse, der den Orden der Niederbronner Schwestern öffentlich schwer belastet. Der heute 35-jährige Cornelius Z. (Name von der Redaktion geändert) schildert gegenüber unserer Redaktion Szenen aus seiner Erinnerung. Eine Nonne, deren Name inzwischen der Staatsanwaltschaft Frankenthal bekannt ist, setzt sich demnach ab dem Jahr 1994 mehrfach nackt auf ihn und befriedigt sich sexuell – immer abends, von anderen jeweils unbemerkt.
Der heute wieder in Speyer lebende Z. war nach seiner Erinnerung wenige Monate zuvor in die Einrichtung gekommen, die in Steinwurfweite zum Dom und zum Sitz des Bischofs gelegen ist. Die Mutter schwer krank, der Vater Alkoholiker und Gewalttäter – so schildert Z. die Gründe, die ihn damals überhaupt erst in die Einrichtung führten.

Engelsgasse wieder im Fokus

  • In keinem persönlichen oder zeitlichen Zusammenhang stehen die oben genannten Vorwürfe mit den Vorgängen, die ein heute 63-jähriger Mann, der in Südhessen lebt, in seinen Erinnerungen an das Speyerer Kinderheim Engelsgasse bereits im Dezember geschildert hat.
  • Hunderte Mal seien Geistliche in Speyer oral und anal in ihn eingedrungen, sagte er gegenüber dieser Redaktion. Viele Zeitungen in ganz Deutschland berichteten über sein Schicksal.
  • Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann hatte den Fall Anfang Dezember öffentlich gemacht. Wiesemann wusste da bereits jahrelang, dass es Beschuldigungen von zwei weiteren Opfern gegen Prälat Rudolf Motzenbäcker gab, der ab den 60er Jahren zur Bistumsleitung gehörte und 1998 starb.
  • Der Mann aus Südhessen beschuldigt darüber hinaus die Niederbronner Schwestern, gewissermaßen Zuhälterinnen gewesen zu sein. Sie hätten sich Geld damit verdient, Heimkinder bei Priestern abzuliefern.
  • Ein sogenanntes Kassenbuch, das der Mann im Briefkasten vorgefunden haben will, und das als Beweisstück dienen sollte, entpuppte sich im Februar jedoch als Fälschung. Kaum ein Zweifel besteht jedoch daran, dass der 63-Jährige durch sexuellen Missbrauch hochtraumatisiert ist. Das hat das Darmstädter Sozialgericht 2020 durch Gutachter feststellen lassen. 

 


Ungefähr acht oder neun Jahre ist Z. zu diesem Zeitpunkt alt. Erzählt hat er bis zum vergangenen Spätjahr nur einer vertrauten Person von der Geschichte. Auch diese Redaktion recherchiert lange, ehe sie von den Erlebnissen des sichtbar traumatisierten Mannes erfährt. Bei einem persönlichen Treffen im März offenbart er schließlich seine Geschichte. Sehr schmerzhaft sind für Z. die Erinnerungen an das Kinderheim und an die betreffende Schwester, die wohl ab 1982 als Nonne in der Einrichtung arbeitet, wo sie bereits vorher als weltliche Erzieherin tätig ist.

1995 zogen die Niederbronner Schwestern aus dem Kinderheim aus. © Stephan Alfter


Zeitweise abhängig von Heroin

Die Frau, die Z. beschuldigt, lebt nach unseren Recherchen heute in einer Schwesterngemeinschaft in Speyer. Sie ist noch keine 70 Jahre alt. Konfrontiert werden möchte sie mit den Vorwürfen von journalistischer Seite nicht. Versuche, mit ihr ins Gespräch zu kommen, scheitern gleich mehrfach.

Z. ist 1982 noch gar nicht geboren. Er kommt erst 1986 auf die Welt, lebt ab 1994 ungefähr zehn Jahre in der Engelsgasse, beginnt eine Lehre, die er abbricht und gerät auf die schiefe Bahn. Zwischenzeitlich strandet er als Heroinabhängiger auf den Straßen Berlins. Heute ist er weg von den ganz harten Drogen – aber er trinkt regelmäßig.

Mannheimer Morgen kooperiert mit ARD

  • Wann in Gottes Namen macht die Kirche endlich reinen Tisch? Dieser Frage sind die Journalisten Dennis Leiffels (Y-Kollektiv) und Stephan Alfter (Mannheimer Morgen) in den vergangenen vier Monaten nachgegangen.
  • Mittelpunkt der Recherche sind die Vorwürfe eines Betroffenen. Als Kind sei er systematisch missbraucht worden, behauptet er. Nonnen seien daran beteiligt gewesen.
  • Über Monate haben die Journalisten innerhalb einer vorübergehenden Kooperation zwischen Mannheimer Morgen und ARD recherchiert. Entstanden ist daraus ein 45-minütiger Film, der am Montag, 10. Mai, im Anschluss an die "Tagesthemen" in der ARD ausgestrahlt wird. "In Gottes Namen" heißt die Dokumentation, die bereits ab 6. Mai, 15 Uhr, in der ARD-Mediathek bereitgestellt wird.

In der Öffentlichkeit will Z. anonym bleiben, aber für eine TV-Dokumentation, die in Kooperation zwischen der ARD und dem Mannheimer Morgen in den vergangenen vier Monaten entstanden ist, und die am 10. Mai nach den „Tagesthemen“ ausgestrahlt wird, setzt er sich mit dem Rücken vor eine Kamera. Seine Erlebnisse hat er inzwischen auch den Missbrauchsbeauftragten des Schwestern-Ordens und des Bistums Speyer mitgeteilt. Die Schreiben liegen der Redaktion vor: „In Abständen von einigen Wochen hat mich Schwester...abends in ihr Nachtbereitschaftszimmer geholt. Ich musste mich dann jeweils nackt ausziehen und mich so ins Bett legen. Schwester...zog sich dann auch nackt aus. Sie trug oft ein grünes Frottee-Nachthemd. Als sie nackt war, hat sie sich viele Male erst neben mich gelegt und sich dann auf mich gesetzt, um sich selbst zu befriedigen. Sie hat Hoppe hoppe Reiter auf mir gespielt. Damals konnte ich nicht einordnen, ob das ein normales Verhalten ist oder ob da gerade etwas Unrechtes vor sich geht.“

Der 35-jährige Mann kämpft mit den Tränen, während er vor der Kamera sitzt. Seine Stimme vibriert. Die Frage, ob er diese Erlebnisse auch gegenüber einem Richter wiederholen würde, bejaht der Mann.

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Inzwischen hat ihm eine Anwaltskanzlei aus München geantwortet, die als Missbrauchsbeauftragte für den Orden tätig ist. Darin drückt man Mitgefühl aus. Die beschuldigte Schwester arbeite heute nicht mehr mit Kindern. Man habe die Vorwürfe gegenüber der zuständigen Staatsanwaltschaft in Frankenthal angezeigt und um Ermittlungen gebeten. Barbara Geißinger, Oberin der Niederbronner Schwestern sagt auf Anfrage der Redaktion, dass eine umfassende Aufklärung Voraussetzung einer fundierten Aufarbeitung sei. „Wir sind dankbar, dass sich der Betroffene direkt an unsere Ansprechpartner gewendet hat“, teilt sie mit.

Ist eine solche Tat bereits verjährt?

In Frankenthal bestätigt der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber den Eingang des Schreibens. Zunächst werde nun genau geprüft, ob die Vorwürfe bereits verjährt sind oder nicht. Ströber beschreibt ein an dieser Stelle recht komplexes Recht. So könne es sein, dass sexueller Missbrauch im Jahr 1994 heute nicht mehr bestraft werden könne. Ob die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Schwester einleitet, hängt nun vor allem davon ab.

Das Speyerer Kinderheim in der Engelsgasse liegt nur 100 Meter vom Dom entfernt. © Stephan Alfter

Allein ist der 35-jährige Speyerer mit seinen Vorwürfen gegenüber der besagten Nonne nicht. Diese Redaktion hat mit mehreren früheren Bewohnern und Bewohnerinnen des Kinderheims gesprochen. Unabhängig voneinander schildern allesamt eine „Hexe“, die seit 1977 regelmäßig gewalttätig wird. Sie habe mit allen möglichen Gegenständen zugeschlagen. Am Ende ihrer Zeit in der Engelsgasse, die bis mindestens 1995 dauert, soll die Schwester sogar eine Leitungsfunktion gehabt haben. Den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhebt bisher nur der heute 35-jährige Mann. Er ist sich aber sicher, dass es damals noch zwei Jungs in seinem Alter gab, die auch bei der Schwester hätten übernachten müssen. An ihre Namen kann er sich nicht mehr erinnern.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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