Landgericht Landau

Säugling in Ludwigshafen misshandelt? - so liefen die Plädoyers

Schwerste Verletzungen hat ein wenige Wochen alter Säugling im Jahr 2018 erlitten. Angeklagt sind die Eltern. Jetzt haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung plädiert. Das sind die Forderungen

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Julian Eistetter
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Daniel Heinlein (l.) und Alexander Kiefer beim Prozessauftakt. © Agnes Polewka

Landau/Ludwigshafen. Ismail I. hat die Hände wie zum Gebet vor dem Gesicht gefaltet. Seine Augen sind geschlossen. Nina R. dagegen schaut die Staatsanwältin Eveline Teutsch aufmerksam an, während diese in ihrem Schlussvortrag die Beweisaufnahme noch einmal im Schnelldurchlauf rekapituliert.

Im neu aufgerollten Prozess um die Misshandlung eines Säuglings gegen ein Ex-Paar aus Ludwigshafen haben am Freitag am Landauer Landgericht Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers vorgetragen. Während Teutsch für die Mutter eine Haftstrafe von drei Jahren und gegen den Vater eine von rund eineinhalb Jahren zur Bewährung fordert, beantragt die Verteidigung Freisprüche.

"Unsägliches Leid" in den ersten Lebenswochen

„Die Beweisaufnahme hat das Bild eines wehrlosen Säuglings gezeichnet, der schon in den ersten Wochen seines Lebens unsägliches Leid erleben musste“, betont die Anklagevertreterin. Es sei ein Bild von Eltern entstanden, die der Aufgabe, ihrem Kind ein sicheres Zuhause zu bieten und es vor Schaden zu bewahren, nicht im Ansatz gerecht wurden.

Letztlich hätten sich die in der Anklage formulierten Vorwürfe jedoch nur in Teilen nachweisen lassen. „Auch wenn das menschlich schmerzhaft sein mag“, so Teutsch.

Fieberthermometer aus Ärger wuchtig und tief eingeführt?

Die Staatsanwältin sieht es als erwiesen an, dass Nina R. ihrem Sohn im Zeitraum um den 14. Oktober 2018 ein Fieberthermometer - wohl aus Ärger oder Frust - zu kraftvoll und tief in den Anus eingeführt hat, was zu einer Darmperforation und letztlich einer lebensbedrohlichen Entzündung im Bauchraum geführt habe.

Ihre Erkenntnisse stützt sie auf Beweismittel und Zeugenaussagen. So habe Nina R. gegenüber Mithäftlingen explizit eingeräumt, ein Fieberthermometer zu tief eingeführt zu haben. Und schon zuvor bei der Polizei habe sie erwähnt, dass ihr niemand richtig gezeigt habe, wie man Fieber messe. „Zu einem Zeitpunkt, als die Tatrelevanz des Thermometers noch gar nicht klar war“, führt Teutsch aus.

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Dass die Mutter tatsächlich den korrekten Umgang mit einem Fieberthermometer nicht gekannt und fahrlässig gehandelt haben könnte, hält die Staatsanwältin für unwahrscheinlich, da dies sowohl Inhalt der von R. begonnenen Ausbildung gewesen, aber auch von der Hebamme nochmals erläutert worden sei.

Dilemma der Beweisführung

Die Darmperforation war bei weitem nicht die einzige Verletzung, die dem damals wenige Wochen alten Säugling zugefügt wurde. Mehrere Brüche an Rippen und Beinen, Einblutungen in die Augen, Hämatome, Hirneinblutungen und eine Verletzung am Penis wurden am 15. Oktober 2018 im Krankenhaus festgestellt. „Die Verletzungen wurden dem Kind von den Angeklagten beigebracht, aber es ist nicht sicher nachweisbar, wer für welche Verletzungen verantwortlich ist“, schildert die Staatsanwältin das Dilemma.

Beiden Elternteilen hätte beim Anblick des Babys jedoch klar sein müssen, dass dieses schwer verletzt ist. Gemeinschaftlich handelnd hätten sich Mutter und Vater an jenem Morgen entschlossen, nicht sofort einen Arzt aufzusuchen.

Deshalb, so die Forderung der Anklagevertreterin, müssten beide wegen Aussetzung verurteilt werden. Der Aussetzung macht sich laut Strafgesetzbuch schuldig, wer „einen Menschen in eine hilflose Lage versetzt oder in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt“.

Das sind die konkreten Forderungen

Für Nina R. fordert Teutsch daher wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Aussetzung eine Gesamtstrafe von drei Jahren. Für Ismail I. beantragt sie eine Gesamtstrafe von knapp über eineinhalb Jahren wegen Aussetzung und eines Verkehrsdelikts, die für zwei Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden soll.

Die Verteidigung sieht sämtliche Vorwürfe als nicht nachweisbar an. „Das Kind hatte Verletzungen, ohne Zweifel“, sagt Alexander Kiefer, Rechtsanwalt der Mutter. „Wie und durch wen diese entstanden sind, wurde in der Beweisaufnahme jedoch nicht zutage gefördert“, erklärt er.

"Das mag der Öffentlichkeit nicht schmecken"

Der gleichen Auffassung ist auch sein Kollege Daniel Heinlein: „Die Frage, ob den Angeklagten eine der Taten nachzuweisen ist, muss klar mit Nein beantwortet werden.“ Auch der Aussetzung hätten sich die Eltern nicht schuldig gemacht, denn sie seien ja zum Arzt gegangen, als sie merkten, dass es dem Kind schlecht gehe.

„Aus diesem Grund ist meine Mandantin freizusprechen. Das mag der Öffentlichkeit nicht schmecken, manchmal ist es aber eben so“, betont Kiefer - und zitiert den englischen Juristen William Blackstone: „Es ist besser, dass zehn Schuldige entkommen, als dass ein Unschuldiger verfolgt wird.“

Das Urteil soll am kommenden Donnerstag, 2. Februar, um 9 Uhr gesprochen werden.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur