Landgericht Mannheim

Prozess um Kurzzeitkennzeichen: Darum wurden die Angeklagten freigesprochen

Bei der Vergabe von Kurzzeitkennzeichen in der Zulassungsstelle des Rhein-Neckar-Kreises habe "einiges zum Himmel gestunken", so der Vorsitzende Richter. Dennoch gab es im Wesentlichen Freisprüche

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Julian Eistetter
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Kurzzeitkennzeichen waren vor gut zehn Jahren plötzlich überall in der Bundesrepublik zu sehen. Ihrer Vergabe in Wiesloch lag laut Gericht keine Korruption zugrunde. © dpa

Rhein-Neckar/Mannheim. In seiner Urteilsbegründung kehrte der Vorsitzende Richter Andreas Lindenthal noch einmal ganz an den Anfang des Verfahrens zurück. „Nicht alles, was zum Himmel stinkt, muss strafbar sein“, hatte er am 18. Juli an selber Stelle noch gesagt. Dieser Satz habe sich nun in der Hauptverhandlung bewahrheitet. Und so ging am Mittwoch vor der Großen Wirtschaftskammer des Mannheimer Landgerichts der Prozess um Bestechung und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der massenhaften Ausstellung von Kurzzeitkennzeichen in der Zulassungsstelle des Rhein-Neckar-Kreises in Wiesloch mit Freisprüchen in den wesentlichen Anklagepunkten zu Ende. Angeklagt waren ein Heidelberger Geschäftsmann und zwei ehemalige leitende Beamtinnen der Wieslocher Zulassungsstelle.

Vorsitzender Richter: "Es ist bei einem Verdacht geblieben"

„Bestechung und Bestechlichkeit liegen nach unserer Einschätzung nicht vor“, sagte Lindenthal, die Vorwürfe der Korruption hätten sich gegen keinen der Angeklagten erhärtet im Laufe des Prozesses. „Es ist bei einem Verdacht geblieben. Aber genau dafür ist eine Hauptverhandlung da“, so der Vorsitzende Richter. Das Urteil sei daher nicht als Niederlage für die Staatsanwaltschaft zu werten, es sei mit Berechtigung Anklage erhoben worden. Eine Verurteilung wegen Korruption sei jedoch subjektiv nicht zu rechtfertigen, führte Lindenthal weiter aus.

Darum ging es in dem Verfahren

Worum ging es in dem Verfahren? In den Jahren 2012 bis 2014 waren durch die Wieslocher Zulassungsstelle mehr als 180 000 Kurzzeitkennzeichen an Zulassungsdienste ausgegeben worden, die mit der Unternehmensgruppe des 55 Jahre alten Angeklagten kooperierten. Fällig wurde dabei nur eine Gebühr von 5,10 Euro statt der üblichen 10.20 Euro pro Kennzeichen. Etwa acht Millionen Euro soll der Unternehmer mit der Weitergabe zu deutlich höheren Preisen umgesetzt haben. Das enorme Auftragsvolumen brachte dem Kreis Einnahmen in Millionenhöhe.

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Es entwickelte sich ein florierendes Geschäft

Aus dem eigentlichen Nischenprodukt Kurzzeitkennzeichen wurde ein florierendes Geschäft. Eigentlich sind die gelben Kennzeichen für Überführungen von Fahrzeugen oder Probefahrten gedacht, sie sind nur fünf Tage gültig. Das machte sie auch für Kriminelle interessant. So war etwa Tankbetrug ein typisches Vergehen, bei dem Täter Kurzzeitkennzeichen verwendeten - weil den Behörden zunächst nur ein Antragssteller bekannt war, nicht aber, für welches Fahrzeug es verwendet wurde und wer letztlich am Steuer saß.

„Bis zum Himmel gestunken“ habe diese gesamte Verwaltungspraxis durchaus, nahm Andreas Lindenthal seinen Eingangssatz wieder auf. Bis hin zur Hausspitze, zum Kopf des Rhein-Neckar-Kreises hätten alle ihr Handeln darauf ausgerichtet, das Geschäft mit dem Angeklagten nicht zu gefährden. Also auch Landrat Stefan Dallinger selbst, der in der Hauptverhandlung als Zeuge ausgesagt hatte. Auch die beiden angeklagten Frauen hätten nach dieser Prämisse gehandelt. Korruption könne ihnen dabei aber nicht nachgewiesen werden, zumal sie selbst von dem komplexen System persönlich nicht profitiert hätten. „Sie haben sich nicht selbst bereichert“, so Lindenthal.

Die Zusammenarbeit begann im Jahr 2008

Nach der erfolgten Beweisaufnahme liege es fern, dass es im Jahr 2008, als die Zusammenarbeit zwischen Zulassungsstelle und Unternehmer begann, eine „Unrechtsabsprache“ zwischen den Angeklagten gegeben habe. Dass er die Kurzzeitkennzeichen zum Spottpreis von 5,10 Euro erhalten habe, könne dem 55-Jährigen nicht zur Last gelegt werden. „Ob der Angeklagte das eingefordert hat, ist unklar. Er bestreitet das“, so der Vorsitzende Richter. Und Gedanken über die Gebührengestaltung und deren Rechtmäßigkeit habe er sich aus Sicht der Kammer nicht machen müssen.

Lindenthal ist überzeugt, „dass alle Beteiligten an einer teils erstaunlichen, partiell auch rechtswidrigen Verwaltungspraxis mitgewirkt“ haben. „Sie wollten sich aber nicht bestechen lassen.“ Dieser Schluss ergebe sich auch daraus, dass Korruption grundsätzlich etwas Heimliches sei. Im vorliegenden Fall habe jedoch gewissermaßen das gesamte Haus von den Geschäften mit der Unternehmensgruppe und der Gebührenreduzierung gewusst. „Geheim war das alles nicht.“

Daten von ahnungslosen Personen missbraucht

Hinzu kam in diesem Fall aber, dass gut 800 der Kurzzeitkennzeichen mit den Daten von nur 14 Personen gebucht wurden - die davon überhaupt nichts wussten. Ganz straffrei kamen die drei Angeklagten deshalb nach 17 Verhandlungstagen in Mannheim nicht aus der Sache raus. Wegen Anstiftung zu Datenschutzvergehen und Anstiftung zu Falschbeurkundung im Amt verurteilte die Große Wirtschaftskammer den Angeklagten zu einem Jahr Haft, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Er muss zudem eine Auflage von 50 000 Euro an soziale Einrichtungen zahlen. Die Frauen wurden wegen Falschbeurkundung im Amt zu kleineren Geldstrafen verurteilt.

Richter: "Ein gewiefter und trickreicher Geschäftsmann"

Strafmildernd würdigte die Kammer, dass die Angeklagten nunmehr seit zehn Jahren unter dem Eindruck der Ermittlungen gegen sie gelebt hätten und die Taten lange Zeit zurückliegen. Die kriminelle Energie sei im unteren Bereich einzustufen. Sie hätten sich zudem alle kooperativ gezeigt. Richter Lindenthal ist sicher, dass der 55-Jährige ein „gewiefter und trickreicher Geschäftsmann“ sei. Er werde sich jedoch nach Überzeugung des Gerichts nicht mehr in strafrechtliche Gefilde begeben, die Prognose sei gut.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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