Prozess

Kurzzeitkennzeichen-Skandal: War Bestechung in der Zulassungsstelle Wiesloch im Spiel?

Vor dem Landgericht Mannheim hat ein weiterer Prozess um die Zulassungsstelle Wiesloch und die massenhafte Vergabe von Kurzzeitkennzeichen begonnen. Ein Unternehmer und zwei Referatsleiterinnen müssen sich verantworten

Von 
Michaela Roßner
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Die Richter unter dem Vorsitz von Andreas Lindenthal gehen der Frage nach, ob der Betrug mit Kurzzeitkennzeichen mit Bestechung einherging. © Thomas Tröster

Im Regal hinter dem Richtertisch des Mannheimer Landgerichts reihen sich die Rücken von mehreren Hundert Aktenordnern aneinander. Jahrelang haben Behörden aus ganz Deutschland und zum Teil auch aus dem Ausland in einem komplexen System von Zulassungsstellen und Behörden ermittelt. Die ersten Urteile sind gefällt. Jetzt stehen drei Personen vor Gericht, die im Skandal um die massenhafte Vergabe von Kurzzeitkennzeichen bei der Zulassungsstelle Wiesloch eine zentrale Rolle gespielt haben sollen: zwei Beamtinnen in leitender Position und der Unternehmer, der aus dem eigentlichen Nischenprodukt „Kurzzeitkennzeichen“ ein Riesengeschäft gemacht haben soll. Fast acht Millionen Euro hat der Heidelberger Unternehmer, der unter anderem Firmen in Mannheim und Hockenheim betrieb, laut Anklage umgesetzt. Im Falle einer Verurteilung muss er das Geld zurückzahlen.

Doch es geht für ihn um noch mehr: Die Staatsanwaltschaft wirft allen drei Angeklagten unter anderem Bestechlichkeit und Bestechung vor. Das Gesetzbuch sieht dafür ein weit gefasstes Strafmaß vor, das von einer Geldstrafe bis zu zehn Jahren Haft reicht.

Für den Vorsitzenden Richter Andreas Lindenthal steht im nun bis Oktober terminierten Hauptverfahren nicht mehr das „Ob“ im Zentrum – sondern darum, wie es strafrechtlich zu bewerten ist. „Nicht alles, was zum Himmel stinkt, muss strafbar sein“, kündigte er in einer Vorbemerkung ein „offenes Verfahren“ an.

Inhalt der Anklage

  • Von 2012 bis 2014 sollen der Unternehmer oder nahe Firmen rund 188 000 Kurzzeitkennzeichen erhalten haben.
  • Die Zulassungsstelle prüfte den Bedarf nicht – obwohl das vorgeschrieben war.
  • Rund 800 dieser Kurzzeitkennzeichen wurden mit Daten von 14 Personen beantragt, die davon nichts wussten.
  • Illegal erteilte die Behörde zudem Auskünfte aus dem Fahrerlaubnisregister

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Zusammenarbeit zwischen der Zulassungsstelle Wiesloch, einer Außenstelle des Landratsamtes des Rhein-Neckar-Kreises, und dem Unternehmer 2008 begann. In der am Dienstag verlesenen Anklage geht es um die gemeinsamen Geschäfte der beiden in den Jahren 2012 bis 2014. Rund 188 000 Kurzzeitkennzeichen sollen an mit der Unternehmensgruppe des Angeklagten kooperierende Zulassungsdienste erteilt worden sein. Zum Schnäppchenpreis: Statt der eigentlich fälligen Gebühr von 10,20 Euro sollen die Kurzzeit-Zulassungen für 5,10 Euro erteilt worden sein. Der Unternehmer wiederum machte sein Geschäft in der Weitergabe. Waren Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung Teil dieser Geschäftsbeziehung? Bislang hat die Anklagebehörde offenbar keinen Hinweis darauf, dass sich die beiden weiblichen Führungskräfte daran bereichert hatten. Vielmehr hatten sie sich intern bei Vorgesetzten abgesichert, heißt es in der Anklageschrift.

Bundesweit einmaliges System

Als einzige von 400 Zulassungsstellen bundesweit arbeitete die Wieslocher Behörde mit einer von dem Heidelberger Unternehmer installierten Software, mittels der Zulassungsdienste online Kurzzeitkennzeichen bestellen konnten. Die eigentlich für seltene Fälle, etwa der Oldtimerüberführung, gedachten gelben Spezialkennzeichen tauchten bald massenhaft im gesamten Bundesgebiet auf; die Kennzeichen „HD 04“ waren bald berüchtigt. Nach mehreren Beschwerden von Geschädigten, deren Personalien missbraucht wurden, schaltete sich 2013 das Regierungspräsidium ein. Weil die Behörde nur laxe Kontrollen der echten Identitäten durchführte, waren die Kennzeichen zum Beispiel für Tankstellenbetrüger interessant – die Nachverfolgung der Autofahrer war nicht möglich, denn die Kfz-Unternehmer nutzten die Personalien von nichts ahnenden Kunden, um die Kurzzeitkennzeichen zu ordern. Als diese Betrogenen indes Strafzettel für zu schnelles Fahren und andere unliebsame Post bekamen, flog der Schwindel auf – Geschädigte konnten nachweisen, dass sie an jenem Tag, an dem sie irgendwo im Land angeblich geblitzt wurden, ganz woanders waren – und dass die Blitzerfotos einen Unbekannten zeigten.

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In dem Ermittlungsprozess um die massenhaft ausgestellten Kurzzeitkennzeichen hat es bereits mehrere Urteile gegeben. So stand der nun mitangeklagte Unternehmer gemeinsam mit seiner Steuerberaterin sowie einem Angestellten im November 2022 bereits von der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Mannheimer Landgerichts. Der Vorwurf: Steuerbetrug. Die Verfahren wurden gegen die Zahlung von Geldauflagen eingestellt: 180 000 Euro. Den entstandenen Steuerschaden hatte die Staatsanwaltschaft auf mehr als 6,2 Millionen Euro taxiert.

Während eine der beiden angeklagten ehemaligen Führungskräfte bei Bekanntwerden der Vorwürfe freigestellt wurde, ist die zweite in einen anderen Bereich versetzt. Gegen beide laufen Disziplinarverfahren.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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