Rhein-Neckar. „Ich habe gegenüber den Dezernenten und der Amtsleitung stets klargestellt, dass wir rechtmäßig zu handeln haben und dass alle Weisungen des Regierungspräsidiums und des Ministeriums einzuhalten sind“: Im Prozess um Bestechung und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der massenhaften Erteilung von Kurzzeitkennzeichen in der Zulassungsbehörde Wiesloch zwischen 2012 und 2014 hat am Vormittag Landrat Stefan Dallinger (60) als Zeuge vor dem Mannheimer Landgericht ausgesagt.
Prozess um Kurzzeitkennzeichen: Landrat Dallinger weist Vorwürfe zurück
Er habe im Detail nichts von der rechtswidrigen Praxis der Behörde gewusst und darauf vertraut, dass seine zuständigen Dezernenten die Rechtmäßigkeit der Vorgänge im Blick haben, betont der Landrat des Rhein-Neckar-Kreises mehrfach während seiner mehr als dreistündigen Anhörung vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Mannheimer Landgerichts. Vom Regierungspräsidium Karlsruhe, der Aufsichtsbehörde, will er das Signal aufgenommen haben, dass die Praxis generell genehmigt werde. Dass der private Unternehmer Behördenleistungen zu einem „Schnäppchenpreis“ erhalten habe, habe er erst nach Beginn der Ermittlungen erfahren, sagt Dallinger aus.
Bei seiner Wahl im Mai 2010 habe er noch gar nichts von der sogenannten „Briefgruppe“ gewusst. Dabei handelte es sich um eine Abteilung der Zulassungsstelle, die nahezu ausschließlich Anträge auf Erteilung von Kurzzeitkennzeichen abarbeitete und dabei mehr oder weniger exklusiv - seit 2008 - mit dem 55-jährigen Unternehmer aus Heidelberg kooperierte. Dabei soll dieser mit angeklagte Geschäftsmann sogar zeitweilig Software in der Außenstelle des Landratsamts installiert sowie veranlasst haben, dass auf Druckern außerhalb der Behörde offizielle Zulassungspapiere gedruckt wurden. Rund acht Millionen Euro soll der Unternehmer so zwischen 2012 und 2014 eingenommen haben. Geld, das er im Fall einer Verurteilung möglicherweise zurückzahlen muss.
Ex-Amtsleiterin belastet den Landrat
Zu Beginn der Hauptverhandlung Mitte Juli hatte eine angeklagte frühere Amtsleiterin ihre Vorgesetzten und auch Landrat Dallinger belastet. Man habe auf die Einnahmen in Millionenhöhe, die die Praxis der Vergabe von Kurzzeitkennzeichen dank des Engagements eines Unternehmers in die Kassen des Rhein-Neckar-Kreises spülte, nicht verzichten wollen, hatte die frühere Führungspersönlichkeit in der vergangenen Woche erklärt. Sie habe stets in Absprache und auf Wunsch ihrer Vorgesetzten gehandelt. Eine mitangeklagte Kollegin und der ebenfalls auf der Anklagebank sitzende Unternehmer äußern sich bislang nicht zur Sache.
Der Kreishaushalt habe einen Umfang von einer Milliarde Euro, das Kerngeschäft von 700 Millionen Euro, setzt Dallinger die durch das „Kurzzeitkennzeichen-Geschäft“ in Aussicht gestellten Gebühreneinnahmen in Höhe von geschätzt 4,5 Millionen Euro ins Verhältnis.
Skandal um Vergabe von Kurzzeitkennzeichen: Ermittlungen dauerten Jahre
Jahrelang hatten Behörden im gesamten Bundesgebiet und zum Teil im Ausland in einem komplexen System aus Zulassungsdiensten und Behörden ermittelt. Ab Mai 2014 waren Polizei und Staatsanwaltschaft nahezu täglich vorstellig in der Außenstelle des Landratsamts. Von 2012 bis 2014 sollen der Unternehmer oder nahe Firmen rund 188 000 Kurzzeitkennzeichen erhalten haben. Die Zulassungsstelle prüfte den Bedarf nicht - obwohl das vorgeschrieben war, besserte später offenbar nach.
Rund 800 dieser Kurzzeitkennzeichen wurden mit Daten von 14 Personen beantragt, die davon nichts wussten. Illegal erteilte die Behörde zudem Auskünfte aus dem Fahrerlaubnisregister. Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten unter anderem Bestechlichkeit und Bestechung vor. Das Gesetzbuch sieht dafür einen Strafrahmen vor, der von einer Geldstrafe bis zu zehn Jahren Haft reicht.
Mir ging es ausschließlich darum, meine Arbeit gut zu machen. Selbst wenn ich Fehler gemacht haben sollte, heißt das nicht, dass ich kriminell bin.
Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richter Andreas Lindenthal betont Dallinger mehrfach, dass er sich an dieses oder jenes Schriftstück oder Gespräch „nicht mehr im Detail erinnern“ könne. Ohne Erklärung bleibt ein Schreiben ans Regierungspräsidium 2014, in dem Dallinger meldet, dass inzwischen 70 Prozent der Verfahren nicht mehr über den Dienstleister abgewickelt würden - aber 30 Prozent im bis dahin längst vom Ministerium verbotenen Modus weiterliefen. Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Zweifel an Unabhängigkeit
Dass Dallinger seiner später freigestellten Amtsleiterin noch 2014 erklärt haben soll, er halte die Vorwürfe für „konstruiert“? „Daran erinnere ich mich nicht.“ Wenig später wurde die Amtsleiterin, die nach Angaben ihres Dienstherren stets „einen übereifrigen Eindruck“ gemacht habe, suspendiert. Er habe erfahren, dass ein Familienmitglied der Amtsleiterin zeitweilig in einem Betrieb aus dem persönlichen Umfeld des nun mitangeklagten Unternehmers arbeitete. Da sei das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Amtsleiterin nicht mehr gegeben gewesen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-skandal-um-kurzzeitkennzeichen-landrat-im-prozess-kann-mich-im-detail-nicht-erinnern-_arid,2109266.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-kurzzeitkennzeichen-skandal-war-bestechung-in-der-zulassungsstelle-wiesloch-im-spiel-_arid,2106467.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-neuer-prozess-in-affaere-um-kurzzeitkennzeichen-_arid,2104870.html
[3] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html