Dritter Prozesstag

Beifahrer nach Raserunfall: „Es ist zu viel für meine Seele“

Am dritten Prozesstag nach dem tragischen Unfall im Kreis Bad Dürkheim mit drei Toten im September 2020 hat sich nun der Beifahrer des Angeklagten vor dem Frankenthaler Landgericht zum Unfall geäußert.

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Agnes Polewka
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Die Zweite Große Strafkammer um die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt. © Bernhard Zinke

Frankenthal. Steffen Kirchner harrt weiter im Gerichtssaal aus. Es ist der dritte Prozesstag, an dem vor dem Frankenthaler Landgericht der Unfall seziert wird, der sein Leben für immer verändert hat. Der sich am 19. September 2020 zugetragen hat. Seine Frau Sarah war mit einer guten Freundin und den beiden Kindern im Auto unterwegs. Auf dem Heimweg vom Einkaufen. Dabei prallte der Wagen frontal mit einem entgegen kommenden Jaguar zusammen. Die beiden Frauen und Steffen Kirchners 15 Monate alter Sohn starben. Nur seine vier Wochen alte Tochter überlebte schwer verletzt.

Strafmaß

  • Daniel M. ist wegen fahrlässiger Tötung und eines illegalen Kraftfahrzeugrennens angeklagt. Seit 2017 können Autofahrer wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens bestraft werden, auch wenn sie es nur gegen sich selbst fahren. Der Strafrahmen liegt zwischen einem und zehn Jahren Haft.
  • Sind mehrere Strafgesetze verletzt worden, wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht – in diesem Fall das verbotene Autorennen mit Todesfolge.

Schwerer Gang für Hinterbliebene

Der Fahrer des Jaguars, Daniel M., muss sich seit vergangener Woche vor dem Frankenthaler Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft hat den Mann aus Biblis wegen fahrlässiger Tötung und eines verbotenen Autorennens angeklagt. Er soll seinen Jaguar XF im Sportmodus auf eine Geschwindigkeit von etwa 150 Stundenkilometern beschleunigt haben. Mit rund 120 km/h soll er in einer Rechtskurve auf die linke Spur gedriftet sein. Auf die Spur, auf der Steffen Kirchners Familie unterwegs war.

Wieder trägt Kirchner sein schwarzes Shirt, auf das ein Foto gedruckt ist. Darauf ist seine Tochter Nora Luna vor dem Grab ihrer Mutter und ihres Bruders zu sehen. Kirchner hat seine Frau und seinen Sohn verloren. Menschen, die ihm alles bedeutet haben. Und nicht nur ihm. Mit im Gerichtssaal sitzen Großeltern, Eltern und Geschwister der drei Unfallopfer. Andere Angehörige warten zu Hause. Weil sie es selbst nicht schaffen, das Gericht zu betreten. Der 19. September 2020 hat für sie alle alles verändert. Einen tiefen Schmerz in ihr Leben gebracht. Drei Menschen, die sie geliebt haben, sind für immer verschwunden.

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Am Donnerstag sollte es vor dem Frankenthaler Landgericht deshalb auch um sie gehen, um die Angehörigen. Darum, wie sich ihr Leben nach der Tragödie vor knapp zwei Jahren verändert hat. Um ihren täglichen Kampf. Doch über ihr Leid zu sprechen, das vermögen sie an diesem Tag einfach nicht. Steffen Kirchner findet nur drei Wörter: „Ich kann nicht.“

Auch ein anderer Mensch fühlte sich lange nicht imstande, über das, was passiert ist, zu sprechen, reagierte mit ärztlichen Attesten auf Ladungen: der Beifahrer von Daniel M.. Während der ersten beiden Prozesstage fiel immer wieder sein Name. Zeugen berichteten von seinen Schreien unmittelbar nach dem Unfall: „Ich wollte das nicht - Ich will nach Hause - Ich will sterben“. Am Donnerstag schließlich betritt der der Freund des Angeklagten das Gericht. Er nimmt in einem anderen Raum Platz, um „audiovisuell“ vernommen zu werden. Weil seine Ärzte fürchten, dass sich sein Gesundheitszustand durch eine „normale“ Befragung wieder verschlimmern könnte.

„Auch er hat diesen Unfall erlebt und überlebt. Auch er ist traumatisiert“, sagt die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt, bevor sie die Tonverbindung zu dem 26-Jährigen anstellt, der sie von einem Bildschirm aus anblickt - und sich ihren Fragen stellt. Der 26-Jährige erzählt, wie er Daniel M. vorschlug, von Biblis aus in die Pfalz zu fahren. Wie sie in einem Weingut in Weisenheim am Berg Zeit verbrachten. Wie sie wieder losfuhren. Und er nur noch die weiße Motorhaube des Jaguars sah, einen Knall hörte. Auf dem Boden lag. Seine Erinnerung an alles, was nach dem Unfall passiert ist, sei verschwommen, sagt er. „Ich habe mich wie bewusstlos gefühlt.“

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Und: schuldig. Ja, er fühle sich schuldig, sagt der Mann aus Biblis. Hätte er Daniel M. nicht angerufen, wäre er gefahren, dann würden drei Menschen vielleicht noch leben.

Reihum befragen die Nebenkläger-Vertreter den Beifahrer von Daniel M.. „Mein Name ist Hans-Norbert Rempel. Ich vertrete den Ehemann und Vater der beiden Opfer“, sagt Steffen Kirchners Anwalt. Der 26-Jährige weint. Es vergehen einige Sekunden, dann wiederholt Rempel seine Frage. Es folgen weitere. Und weitere. Nach fast zwei Stunden endet die Befragung. Kurz vorher sagt der 26-Jährige: „Ich stand mit meinem Vater in der Küche und er sagte: Drei Menschen sind tot.“ Der Zeuge weint, wird geschüttelt von Schluchzern. „Es ist zu viel für mein Herz, für meine Seele“, sagt er. Und beschreibt einen Schmerz, der die Angehörigen ausharren lässt. Stundenlang. Prozesstag um Prozesstag.

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