Landgericht Frankenthal

Urteil im Frankenthaler Raserprozess: Drei Jahre und sechs Monate Haft

Vor dem Frankenthaler Landgericht ist ein Prozess zu Ende gegangen, der allen Beteiligten viel abverlangt hat. Den Profi-Juristen, vor allem aber den Hinterbliebenen der drei Unfallopfer.

Von 
Agnes Polewka
Lesedauer: 
Lichter, Blumen und Kuscheltiere erinnern an der Unfallstelle im Kreis Bad Dürkheim an die drei Opfer des Raserunfalls. © Bernhard Zinke

Frankenthal. Freitag Nachmittag, eine Bäckerei in der Frankenthaler Innenstadt: Steffen Kirchner holt sein Handy aus seiner Hosentasche, entsperrt das Display, öffnet die Galerie. Er drückt auf Play. Und dann ist Finn Maximilian wieder da, sein einjähriger Sohn. Unterwegs im Weinberg, auf einem Traktor. Der kleine Junge lacht und quiekt. Neun Minuten lang. Der Trecker stoppt. Zwischen den Reben steht seine Mama, Sarah, schwanger. Sie lacht, macht einige Schritte auf ihren einjährigen Sohn zu. Und da ist so viel Liebe.

Finn Maximilian und Sarah sterben drei Monate nach der Aufnahme, am 19. September 2020, bei einem Autounfall, der als Raserunfall durch die Medien geht. Das öffentliche Interesse an dem Fall ist groß, drei Menschen sind tot. Sarah und ihre gute Freundin, die auf dem Beifahrersitz saß, und Finn, ihr 15 Monate alter Sohn. Nora Luna, ihre vier Wochen alte Tochter, überlebt den Unfall mit einer schweren Verletzung des ersten Halswirbels.

Mit vielen Daten Fahrgeschindigkeit ermittelt

Am Freitag, zwei Stunden bevor Steffen Kirchner in der Bäckerei das Handyvideo abspielt, geht vor dem Frankenthaler Landgericht der Prozess gegen den Mann zu Ende, der den Unfall verursacht hat: Daniel M. Die Zweite Große Strafkammer verurteilt den 29-Jährigen zu drei Jahren und sechs Monaten Haft wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung. Außerdem verhängt sie eine zwei Jahre währende Sperre, die verstreichen muss, ehe M. versuchen kann, seinen Führerschein wieder zu bekommen.

Mehr zum Thema

Justiz

Urteil im Frankenthaler Raserprozess: Drei Jahre und sechs Monate Haft

Veröffentlicht
Von
Agnes Polewka
Mehr erfahren
Landgericht

Plädoyers im Raserprozess in Frankenthal: „Sie hatten keine Chance, sich zu verabschieden“

Veröffentlicht
Von
Agnes Polewka
Mehr erfahren
Dritter Prozesstag

Beifahrer nach Raserunfall: „Es ist zu viel für meine Seele“

Veröffentlicht
Von
Agnes Polewka
Mehr erfahren

Das Urteil markiert das Ende eines aufreibenden Prozesses, der auch den Profi-Juristen nahe gegangen ist. Immer wieder brachen ihre Stimmen ab, mussten sie innehalten. Die Richterin, der Oberstaatsanwalt, die Vertreter der Nebenkläger. Die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt rekonstruiert in ihrer Urteilsbegründung den Unfall. Sie stützt sich auf die Aussagen der Zeugen, die im Prozess erzählt haben, was sie beobachtet haben, und auf die Gutachten der technischen Sachverständigen.

Akribisch haben der Frankenthaler Ingenieur Hubert Mrugalla und sein Münchner Fachkollege Peter Stolle technische Daten ausgelesen und ausgewertet und so die Fahrgeschwindigkeit von Daniel M. ermittelt. Sie haben Anhaltspunkte für seine Fahrweise unmittelbar vor dem Crash zusammengetragen. Und in Computersimulationen nachgestellt, wie die beiden Fahrzeuge zusammenprallten: Daniel M. fuhr zu schnell in eine Rechtskurve. Viel zu schnell, mit 130 Stundenkilometern driftete er dann auf die Gegenfahrbahn und erfasste den Kleinwagen von Sarah Kirchner - mit 117 km/h.

Rasen macht noch kein Rennen

„Das war kein Augenblicksversagen, das war keine Unachtsamkeit, das war Wahnsinn“, sagt die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt in der Urteilsbegründung. Die Kammer habe keinen Zweifel daran, dass Daniel M. zu schnell fahren wollte. Bevor er in die Kurve einfuhr, habe er sein Auto auf 150 Stundenkilometer beschleunigt, 50 km/h mehr als erlaubt. „Das hört man, das fühlt man - das alles war willentlich.“

Damit habe er einem kleinen Jungen die Chance auf ein glückliches Leben genommen. „Hier im Gerichtssaal sitzen vier Eltern, die ihre Kinder begraben mussten“, sagt Hütt. Steffen Kirchner hält den Blick gesenkt. Er hat Sarah und Finn im gleichen Sarg bestatten lassen. Damit sein Sohn bei seiner Mutter ist. Dann spricht die Vorsitzende Richterin von Nora Luna, diesem kleinen Mädchen, das seine Mutter und seinen Bruder nie werde kennenlernen können. Steffen Kirchners kleines Mädchen.

Dafür hat die Kammer Daniel M. nun verurteilt. Einen weiteren Anklagepunkt hat sie hingegen fallenlassen: den Vorwurf, Daniel M. sei ein verbotenes Autorennen gegen sich selbst gefahren. Das Rasen allein mache noch kein Rennen, so Hütt. Daniel M. habe schnell fahren wollen, aber ihm sei es nicht darum gegangen, das Äußerste aus seinem Fahrzeug herauszuholen. Und: „Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte für eine Selbstprofilierung“, so Hütt. Der Angeklagte habe sich nicht gefilmt, kein Publikum gehabt.

Oberstaatsanwalt will Revision einlegen

Daniel M. hält seinen Blick auf den Boden gerichtet. „Wir haben in diesem Prozess einen stillen, fast schon apathischen Menschen erlebt“, sagt Hütt. Einen Mann, der anderthalb Jahre nicht arbeiten gehen konnte und seit dem Unfall psychische Probleme habe. Einen Mann, der während des Berichts der Rechtsmedizinerin in Tränen ausgebrochen sei. Und dessen Leben nun eine noch deutlichere Zäsur erfährt. Oberstaatsanwalt Wolfgang Seifert hatte in seinem Plädoyer vier Jahre und sechs Monate Haft und eine fünfjährige Führerscheinsperre gefordert. Gegen das Urteil will er Revision einlegen.

Zwei Stunden nach der Urteilsverkündung legt Steffen Kirchner sein Handy auf den Tisch. Er weint. Er spricht über Finn und Sarah. Und Nora. Und über die Hoffnung, dass „all das“ langsam ein Ende hat.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen