Mannheim. Man muss sich das klarmachen: Wenn am 18. Juni etwa 235 000 Mannheimer und Mannheimerinnen ein Stadtoberhaupt wählen, dürfen 42 500 hier Lebende nicht mitentscheiden, wer die Kommune künftig führen soll. In einer Stadt, die etwas mehr als 300 000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt, wird 42 500 über 16-Jährigen das verwehrt, was für eine Demokratie unverzichtbar ist: das Wahlrecht. Der Grund: Sie haben die falsche Staatsbürgerschaft.
Man kann darüber streiten, ob man einen deutschen Pass besitzen sollte, wenn man in Deutschland wählen will. Befürworter und Befürworterinnen argumentieren etwa, dass erst eine Einbürgerung die Integration als gelungen abschließe und das dann erlangte Wahlrecht als „Belohnung“ gesehen werden kann.
Entscheidungen auf kommunaler Ebene betreffen alle
Entscheidungen auf kommunaler Ebene betreffen aber alle. Es macht deshalb mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft allemal mehr Sinn, dass sich Menschen – die hier legal leben, arbeiten, Steuern zahlen und sich engagieren – auch an der hiesigen Politik beteiligen können statt Wahlen im tausende Kilometer entfernten Herkunftsland mitzuentscheiden. Deren Konsequenzen treffen sie im Alltag, wenn überhaupt, eher unmittelbar.
Dass Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten hier leben, am 18. Juni nicht wählen dürfen, ist ein Missstand der Demokratie.
Dass Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten hier leben, am 18. Juni nicht wählen dürfen, ist ein Missstand der Demokratie. Ein Missstand, der auf dem Kommunalwahlrecht fußt, das den gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu einer immer diverseren und internationaleren Gesellschaft angepasst gehört.
Nicht zuletzt durch wilde Partys und die große Unterstützung aus Deutschland für den autoritär regierenden Recep Tayyip Erdogan bei den türkischen Präsidentschaftswahlen hat die Debatte um Integration auch in Mannheim zu Recht wieder Fahrt aufgenommen. Dass in Deutschland gleichzeitig vielen die politische Beteiligung verwehrt wird, sollte dabei nicht vergessen werden. Integration und Bildung funktioniert schließlich auch durch Beteiligung – andersherum kann Verdrossenheit und der Hang zu Extremen steigen, wenn Beteiligung verhindert wird. Ein Ansatz wäre, das Wahlrecht Menschen zuzugestehen, die zwar keinen deutschen Pass haben, aber die seit mehreren Jahren legal hier leben. Vergleichbare Regelungen gibt es weltweit bereits vereinzelt.
In einer von Migration geprägten Großstadt ist es wichtig, dass sich Kandidatinnen und Kandidaten aktiv um die Stimmen jener bemühen müssen, die das hiesige Leben eben auch prägen: Als Taxifahrer, Hausmeister und Putzkraft genauso wie als Medizinerin, Unternehmer und Ehrenamtliche.
In einer von Migration geprägten Großstadt ist es wichtig, dass sich Kandidatinnen und Kandidaten aktiv um die Stimmen jener bemühen müssen, die das hiesige Leben eben auch prägen: Als Taxifahrer, Hausmeister und Putzkraft genauso wie als Medizinerin, Unternehmer und Ehrenamtliche. Im Jahr 2023 darf es in einer globalisierten Welt keine Frage des Passes sein, wer sich als Teil der wahlberechtigten Gesellschaft fühlen darf. Schließlich soll der neue Oberbürgermeister, die neue Oberbürgermeisterin ein Stadtoberhaupt für alle sein – und von allen akzeptiert werden.
Ausländische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen dürfen am 18. Juni übrigens durchaus wählen – wenn sie aus der Europäischen Union stammen. Der Gedanke an Bürgerinnen und Bürger erster und zweiter Klasse liegt da nahe. Das widerspricht einer Demokratie fundamental.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Mannheimer OB-Wahl: Fehlendes Ausländerwahlrecht ist ein Missstand der Demokratie
Wenn am 18. Juni etwa 235 000 Mannheimer und Mannheimerinnen ein Stadtoberhaupt wählen, dürfen 42.500 hier Lebende nicht mitentscheiden. Ein Missstand der Demokratie, kommentiert Sebastian Koch