Mannheim. Kinder sind in Corona-Zeiten die Verlierer. Schon mehr als eineinhalb Jahre versuchen sie - oft mit vereinten Kräften der Erwachsenen - beim monatelangen Homeschooling nicht den Anschluss in der Schule zu verlieren. Wer Eltern hat, die auswärts arbeiten, wer gar aus den sogenannten bildungsfernen Schichten kommt: Pech gehabt.
Ob mit Infektion oder ohne: Längst sind nicht alle Folgen der Pandemie bekannt. Eltern, Lehrer oder Psychologen berichten von Konzentrationsschwäche, Gewichtszunahme, Erschöpfung, gar von schweren Depressionen unserer Jüngsten. Da sollte wenigstens die Schule ein verlässlicher Ort der Präsenz sein, der Halt bieten kann in stürmischen Zeiten. Die Realität sieht anders aus: Zum Start des zweiten Corona-Schuljahres sind die ersehnten Luftfilteranlagen noch immer nicht installiert. Statt Geld in die Hand zu nehmen, um dauerhaft in den Nachwuchs zu investieren, preist die Politik das Öffnen der Fenster weit über ein Jahr als Allheilmittel an. Und schafft erst vor wenigen Wochen, Anfang August, die Grundlage dafür, dass Kommunen als Träger der Schulen die Geräte bestellen können. Ob das Mammut-Projekt bei über 70 000 Schulklassen in Baden-Württemberg dieses Jahr abgeschlossen werden kann, steht in den Sternen.
Es ist eine verkehrte Welt: In Hessen, wo die Schule bereits begonnen hat, müssen junge Menschen derzeit ihr Testheft mit den Stempeln aus der Schule dabei haben, um mit den Eltern essen zu gehen. Oder am Training im Fußballclub teilzunehmen, das endlich wieder stattfindet. Wer das Heftchen vergessen hat, darf nicht mitkicken - und wird nach Hause geschickt. Gleichzeitig erinnern sich viele junge Menschen an die Fußball-EM, bei der ihre Idole, angefeuert von Zehntausenden, gegen das runde Leder treten durften.
Nun startet auch in Baden-Württemberg das neue Schuljahr. Ohne Luftfilter, dafür mit Impfangeboten für alle Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren. Soll ihr Piks nun die Lösung sein, um diese Pandemie einzudämmen? Wer sein Kind impfen lassen möchte, wer diese Möglichkeit als junger Mensch wahrnehmen will, der sollte unbedingt die Möglichkeit dazu haben - ohne Frage. Doch eine Impfung darf nicht zum Ticket für den Unterricht werden. Der Nachwuchs kein Mittel zum Zweck. Angebote für junge Menschen zu schaffen, ist eine gute Sache. Doch die Zielgruppe beim Impfen muss eine andere sein. Es ist nicht die Aufgabe der Kinder, Erwachsene zu schützen, die sich bislang noch nicht haben impfen lassen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Kinder sind beim Impfen nicht die richtige Zielgruppe
Eva Baumgartner zur Impfung von Jugendlichen