Winfried Kretschmann hat offenbar wieder alles richtig gemacht. Der präsidiale Amtsinhaber der Grünen führte einen Wahlkampf, bei dem er trotz der unberechenbaren Corona-Krise zu keinem Zeitpunkt befürchten musste, die Hoheit über die Themen und ihre Deutung zu verlieren. Er gab den Pragmatiker, der glaubhaft für den Klimaschutz argumentiert, ohne dabei die Autoindustrie gegen sich aufzubringen. Und selbst, als Kretschmann mit seinem Vorschlag für verkürzte Sommerferien von allen Seiten Prügel einstecken musste, entzog sich der Landesvater elegant der Debatte: Er habe doch nur laut nachgedacht.
Seine politische Kunst, Konservative und Progressive in Baden-Württemberg gleichermaßen anzuziehen, macht ihm auch nach zehn Jahren im Amt so schnell keiner nach. Die Ära Kretschmann, 2011 von der CDU noch als Betriebsunfall als Folge von Fukushima belächelt, geht in die Verlängerung. Ob der 72-Jährige noch einmal volle fünf Jahre regieren will, ist für die Grünen dabei eine mindestens so wichtige Frage wie die nach dem künftigen Koalitionspartner. Ein Bündnis mit FDP und SPD scheint momentan genauso denkbar wie die Fortsetzung von Grün-Schwarz.
Womit wir bei Susanne Eisenmann wären. Schon vor der Masken-Affäre, die für die CDU-Spitzenkandidatin zu Unzeit kam, fehlte ihr die Überzeugungskraft, sich selbst und ihre Partei als ernstzunehmende Alternative zu Kretschmann zu positionieren. Als Krisenmanagerin verspielte die Kultusministerin durch ihr erratisches Handeln in der Pandemie mehr Vertrauen, als sie gewinnen konnte. Die CDU und ihre Spitzenkandidatin sind die eindeutigen Verlierer - nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Rheinland-Pfalz.
Und wer weiß, wie viele Bürger sich bei ihrer Stimmabgabe daran erinnert haben, dass sich in Berlin das Kanzleramt, das Wirtschafts- und Gesundheitsministerium in CDU-Hand befinden? Der Frust über das Impfversagen und das Schnelltest-Chaos dürfte Vertrauen gekostet haben. Anders ist auch die erneute, relative Stärke der AfD kaum zu erklären.
Glaubwürdigkeit und Persönlichkeit zählen in einer Krise wie dieser mehr als Parteiprogramme. Das zeigt auch der beeindruckende Wahlerfolg von Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Mainz. Dreyer ist Politikerin der SPD, jener Partei also, die in Baden-Württemberg und im Bund weiter in die Bedeutungslosigkeit schrumpft. Was lernen wir daraus für die Bundestagswahl? Inhalte allein beeindrucken die Wähler nicht mehr.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar (mit Video) Das CDU-Desaster hat nicht nur mit der Masken-Affäre zu tun