Mannheim. "Alarmierend“ nennt der CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Becker die in einer neuen Studie festgestellten Leistungseinbußen von Viertklässlern, seit die Grundschulempfehlung in Baden-Württemberg nicht mehr verbindlich ist. Die neue Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) will die Untersuchung des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in ihre „weiteren Überlegungen zum Umgang mit der Grundschulempfehlung einfließen lassen“. Die Beratung der Eltern sei für sie „dabei von besonderer Bedeutung“.
Die vom ZEW gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin erstellte Untersuchung sorgt in der baden-württembergischen Bildungspolitik für Aufregung. Wie berichtet schaffen verbindliche Grundschulempfehlungen zusätzliche Lernanreize, die zu einer Verbesserung der schulischen Kompetenzen am Ende der Grundschule führen. Nachdem die Eltern das letzte Wort über die Wahl der weiterführenden Schule bekommen haben, sind in Baden-Württemberg die in der vierten Klasse erworbenen Mathematikkompetenzen um 12,5 bis 17,5 Prozent gesunken, in Lesen, Zuhören und Rechtschreibung zwischen 10 und 20 Prozent. Das sind bis zu acht Wochen Unterricht. Die Kehrseite ist laut ZEW-Bildungsforscher Maximilian Bach ein sinkendes Wohlbefinden der Viertklässler Die Schüler hätten eine „deutlich erhöhte Noten- und Zukunftsangst“. Der Wissenschaftler verkneift sich eine Empfehlung zur Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung: „Das liegt im Ermessen von Eltern und Politik.“ Es geht um die Frage, ob man im Tausch für bessere Kompetenzen bereit ist, Grundschüler einem erhöhten Leistungsdruck auszusetzen.
Doch genau diese Debatte will die neue grün-schwarze Regierung nicht führen, obwohl Baden-Württembergs Schüler in Leistungsvergleichen zuletzt nur noch im Mittelfeld gelandet sind. Schopper beruft sich auf den Koalitionsvertrag. Da habe man sich geeinigt, die Schulwahl weiterhin den Eltern zu überlassen, aber die Empfehlung der Grundschule der weiterführenden Schule vorzulegen. Ob sich die Eltern bei ihrer Entscheidung beraten lassen, bleibt ihnen überlassen.
Becker fügt sich für den kleineren Koalitionspartner CDU in die Machtverhältnisse. Seine Partei habe die Abschaffung der verbindlichen Empfehlung im Jahr 2012 für falsch gehalten. Die seit 2016 sichtbar gewordenen Leistungseinbußen der baden-württembergischen Schüler in den Ländervergleichen seien dafür eine Bestätigung. Aber: „Eine weitergehende Verbindlichkeit war in der Koalition nicht zu vereinbaren.“
Uneins ist auch die Opposition. SPD-Landtagsfraktionschef Andreas Stoch zieht die Studie in Zweifel. Aus einer Vielzahl von Einflussfaktoren auf die Leistung werde allein die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung herausgezogen. Die Studie stellt seiner Ansicht nach die in Verantwortung einer SPD-Ministerin eingeleiteten Reform nicht in Frage. Dagegen zeigt sich FDP-Bildungsexperte Timm Kern von den Befunden nicht überrascht und fordert eine Korrektur. Sein AfD-Kollege Rainer Balzer plädiert für eine Rückkehr zur alten Regelung.
Die Lehrerverbände sind ebenfalls gespalten. Die Landeschefin der Gewerkschaft GEW, Monika Stein, sieht keinen Änderungsbedarf. „Eltern und die Lehrkräfte in den Grundschulen sind mit dem jetzigen Modell zufrieden“, sagt sie zur Begründung. Für den Realschullehrerverband fordert Landeschefin Karin Broszat dagegen die Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung: „Es darf keine Zeit mehr vergeudet werden.“
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