Mannheim. Diese Zahl lässt aufhorchen, klingt erschütternd, riecht nach Skandal: Mehr als 450 Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz hat es bei der Wohnungsbaugesellschaft GBG im vergangenen Jahr gegeben. Und das bei einem Unternehmen, das komplett der Stadt Mannheim gehört, also quasi ein öffentlicher Arbeitgeber ist. Doch so schnell der Blutdruck bei manchem steigen mag, so schnell kann er sich auch wieder senken. Denn es handelt es sich hierbei mitnichten um einen Skandal.
Das wird rasch deutlich, wenn man die Zahl in Relation setzt: Knapp 400 Frauen und Männer arbeiten im Kerngeschäft des kommunalen Unternehmens, um das es geht. Dies bedeutet also, dass jede und jeder im Durchschnitt an etwa einem Tag im Jahr länger als die erlaubten zehn Stunden gearbeitet hat. Ganz wenige auch an zweien. Von 220 bis 230 Arbeitstagen pro Jahr.
Manche Beschäftigte muss man sogar vor sich selbst schützen
Unbestritten ist Arbeitsschutz wichtig, und Arbeitnehmerrechte sind ein hohes Gut. Klar hat ein Unternehmen ebenso wie Vorgesetzte eine Fürsorgepflicht, die so weit reicht, dass sie manches Mal sogar die Beschäftigten vor sich selbst schützen müssen. Und wenn es in bestimmten Bereichen zu dauerhaften Überlastungen kommt – was sowohl die physische wie die psychische Gesundheit beschädigen kann – muss dem selbstverständlich Einhalt geboten werden. Aber davon kann nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen bei der GBG keine Rede sein.
Vielmehr müsste man mal darüber nachdenken, ob die relativ restriktiven Regelungen des deutschen Arbeitszeitgesetzes noch zeitgemäß sind. Und zwar nicht aus Sicht der Arbeitgeber, da ist die Antwort seit Jahrzehnten klar, sondern aus der der Arbeitnehmer.
Viele klotzen lieber vier Tage ran und haben den fünften dann frei
Unsere Arbeitswelt hat sich durch Homeoffice und immer flexibler werdende Modelle innerhalb weniger Jahre so rasant verwandelt, dass darin nicht nur Gefahren liegen, sondern durchaus auch große Freiheiten und Chancen.
Stille Revolution am Arbeitsplatz verlangt eine Neuabwägung zwischen Flexibilität und Arbeitsschutz.
Ein Beispiel: Nicht wenige Beschäftigte würden heutzutage lieber vier Tage ranklotzen, wenn sie dafür am fünften komplett frei hätten. Etliche Eltern lösen ihre Betreuungsengpässe durch Arbeitszeitvarianten, die vielfältiger sind, als es sich in einem Gesetzestext zusammenfassen lässt.
Diese stille Revolution verlangt nach einer Neuabwägung zwischen Flexibilität und Arbeitsschutz. Schließlich soll das Gesetz den Menschen dienen und nicht die Menschen dem Gesetz.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Arbeitszeit-Verstöße bei der Mannheimer GBG: Kein Skandal!
Warum die mehr als 450 Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz bei der Mannheimer GBG kein Drama sind - sondern eher Vorboten einer Veränderung.