Ist die Kirche noch zu retten, Frau Zoll?

Immer mehr Menschen treten aus der katholischen Kirche aus – aus vielerlei Gründen. Vor allem das Beharren auf der männlich-klerikalen Sonderrolle ist nicht mehr zu vermitteln. Es braucht eine Aufwertung von Laien – besonders von Frauen. Ein Gastbeitrag

Von 
Elisabeth Zoll
Lesedauer: 
Viele Gläubige treten aus Enttäuschung aus der Kirche aus. Manche bleiben, um etwas zu verändern. © Istock/Lars Schwerdtfeger

Es gibt scheinbar nur noch eine Richtung: raus aus der katholischen Kirche. Jedes Jahr werden neue Rekord-Austrittszahlen vermeldet. 2021 verließen rund 280 000 evangelische Christen und 360 000 Katholiken ihre Kirche. Für das Jahr 2022 wird mit insgesamt 830 000 Kirchenmitgliedern gerechnet. Das wäre ein Plus von 30 Prozent. Und der Strom ebbt nicht ab. Gründe dafür gibt es auf katholischer Seite zuhauf: die rigide Sexualmoral, das verkrampfte Verhältnis zu diversen Lebensformen, die fehlende Gleichstellung von Männer und Frauen und – über allem – die Missbrauchsverbrechen, die Mitglieder in beiden großen Kirchen bis ins Mark erschüttern.

Wer will da Enttäuschung, Wut und Zorn nicht begreifen? Und so markiert die aktuelle Austrittswelle weniger einen Exodus, denn mehr einen Abbruch. Nach der früheren Abkehr der Gleichgültigen oder Glaubensfremden, verlassen inzwischen immer mehr Aktive das Kirchenschiff. Noch viel mehr ringen mit dem Schritt.

Die gesellschaftliche Realität hat sich von der kirchlich-dogmatischen meilenweit entfernt

Austreten oder Bleiben? Die Frage stellen sich jetzt Menschen, die Gemeinden lebendig halten. Das sind in besonderer Weise Frauen. Gerade noch haben sie sich im Besuchskreis für Kranke in der Gemeinde engagiert, Kinder auf Erstkommunion und Firmung vorbereitet, haben während der Gottesdienste Bibeltexte vorgelesen oder Fürbitten formuliert, das Gemeindeblatt ausgetragen, den Hauptamtlichen von einsamen oder bedürftigen Menschen in der Kirchengemeinde erzählt. Jetzt liegt ihr Austritt auf dem Tisch. Sie hadern mit einer Institution, die eines nicht kann: Augenhöhe halten mit Frauen. Mit dem Weggang der Frauen schmilzt der Kern der katholischen Kirche in Deutschland.

Elisabeth Zoll

  • Elisabeth Zoll (59) ist Redakteurin bei der Südwest Presse in Ulm. Als Reporterin im Ressort Politik/Landespolitik beschäftigt sie sich immer wieder mit Themen der Kirchen und der Religionen. Aufmerksam verfolgt sie dabei auch den Reformprozess Synodaler Weg.
  • Sie hat an der LMU München Politik, Volkswirtschaft und Literatur studiert, unter anderem mit dem Schwerpunkt Mittelosteuropa.
  • Elisabeth Zoll ist Herausgeberin des Buches „Wir Bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“, das im Hirzel-Verlag Stuttgart erschienen ist (182 Seiten, 22 Euro).

 

Ganze Milieus haben die Kirchen in den zurückliegenden Jahren verloren. Davon zeugt die aktuelle Sinus Milieu Studie 2022 aus Österreich. Danach hat die Kirche die stabilisierende „nostalgisch konservative bürgerliche Mitte“ weitgehend verloren. Mit der Institution weiter verbunden sind das „konservativ-etablierte“ und das „traditionelle“ Milieu, das von der Wertewelt der 1950er Jahre geprägt ist und das – demografisch bedingt – wegstirbt. Die Entwicklung in unserem Nachbarland dürfte vergleichbar sein mit der in Deutschland. Die Kirchen verlieren die Mitte der Gesellschaft – und damit auch Anknüpfungspunkte für die jüngere Generation.

Gegen die theologisch fundierte Diakoninnen-Weihe spricht nur noch die Engstirnigkeit alter Männer

Die Dramatik ist in manchen Bischofshäusern noch nicht angekommen oder wird dort ignoriert, weil Kirche scheinbar am besten sektenartig funktioniert, als Verbindung von Klerikalen und wenigen Auserwählten. Andere Bischöfe ringen fast schon verzweifelt um ein neues Miteinander von Laien und Geweihten – und stoßen in Rom doch nur auf verschlossene Türen.

Die Probleme der Christen in Deutschland – und auch in anderen säkularisierten Gesellschaften Europas – sind der katholischen Weltkirche herzlich egal. In den christlich boomenden Regionen der Welt – in Afrika, Lateinamerika und Asien – gelten andere Prioritäten. Strukturdebatten, die sich um die Aufwertung der Laien und Weiheämter für Frauen drehen, gehören eher nicht dazu. Und in jenen Weltregionen, in denen Priester Gemeinden allenfalls ein oder zwei Mal im Jahr sehen können, wie zum Beispiel in der Amazonasregion, verrichten Frauen längst wichtige Kirchendienste – auch ohne gesonderte Beauftragung aus Rom.

Können also Strukturreformen, wie jene, um die im Reformprozess Synodaler Weg gerungen wird, die katholische Kirche in Deutschland retten? Werden Weiheämter für Frauen einen Ausweg aus der Glaubens- und Beziehungskrise in der Kirche weisen? Nur bedingt. Denn auch die evangelischen Kirchen, in denen viele Reformanliegen der Katholikinnen und Katholiken längst verwirklicht sind, stehen mitten im Sturm. Zudem stellt sich die Frage: Wird ein klerikales System deshalb zum Segen, weil Frauen es als Priesterinnen noch stabilisieren?

Warum also bleiben?

Trotzdem braucht es in der katholischen Kirche eine Aufwertung von Laien insgesamt, besonders aber der von Frauen. In einer Gesellschaft, in der der formale Ausschluss eines Geschlechts – und damit gut 50 Prozent der Bevölkerung – nicht mehr akzeptiert wird, ist ein Beharren auf eine herausgehobene, männlich-klerikale Sonderrolle nicht mehr zu vermitteln. Die gesellschaftliche Realität hat sich da von der kirchlich-dogmatischen meilenweit entfernt.

Das gilt auch für den Umgang der katholischen Kirche mit diversen Lebensformen. Veränderungen zum Beispiel im kirchlichen Arbeitsrecht, die unter anderem auf die mutige Initiative #outinchurch zurückzuführen sind, mögen in der katholischen Kirche als kleine Revolution betrachtet werden. Für die Gesellschaft ist es eine überfällige Anpassung kirchlichen Rechts an die Wirklichkeit.

Warum also bleiben? In dem gerade erschienen Buch „Wir Bleiben“ geben 18 Frauen eine Antwort darauf. Es sind persönliche Statements, in denen manchmal Wut, noch häufiger Ungeduld mitschwingen. Nie aber Naivität. Zwei Punkte verbindet die Frauen, unabhängig davon, ob sie jung oder älter sind, ob sie in Ost- oder Westdeutschland aufgewachsen sind: eine katholische Erziehung sowie eine innere Unabhängigkeit von der Kirchenhierarchie. Sie schauen nicht nach oben, dorthin wo Entscheidungen gefällt werden (oder auch nicht). Denn von oben wird die Rettung der katholischen Kirche nicht kommen.

Mehr zum Thema

Debatte

Wie nutzen wir unsere Zeit für ein gutes Leben, Herr König?

Veröffentlicht
Von
Jochen König
Mehr erfahren
Debatte

Warum sind Katastrophen-Prophezeiungen so gefährlich?

Veröffentlicht
Von
Bernhard Pörksen
Mehr erfahren
Debatte

Wie bringen wir Innovationen schneller und nachhaltiger auf den Weg?

Veröffentlicht
Von
Mathias Hafner
Mehr erfahren

Das Phänomen des „Klerikalismus“ wird zurecht kritisiert. Doch es hat für die Laien auch eine entlastend-bequeme Seite. Wo Kleriker das Heft des Handelns an sich gerissen haben, können sie sich in der Passivität einrichten. Sollen „die“ doch machen. Das haben „die“ da oben doch verbockt. Eine Kirche, die sich wirklich von Klerikalismus abwenden will, braucht ein hellwaches, aktives Kirchenvolk, das bereit ist, Verantwortung zu übernehmen – in der Kirche und geprägt von einem aufgeschlossenen, christlichen Wertegerüst, auch in der Gesellschaft.

Die Autorinnen des Buches finden ihren ganz persönlichen Weg in der katholischen Kirche. So ringt etwa die junge Theologin Claudia Danzer um eine nicht-diskriminierende Kirche. Und die Publizistin Johanna Beck, die selbst geistlichen Missbrauch erfahren hat, fordert einen ehrlichen Blick auf die systemischen Ursachen der Verbrechen von Klerikern an Kindern – und dass daraus Konsequenzen gezogen werden. Selbstbewusst beschreiben die Autorinnen ihr Verständnis von Kirche. Es ist geprägt von Verantwortungsbewusstsein und dem Wunsch, Gesellschaft und Kirche mitzugestalten.

Geht das ohne die großen Reformen von oben? Nein. Denn daran hängt die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche. In Fragen diverser Lebensformen und einer adäquaten Sexualmoral muss diese anschlussfähig werden an die heutige Zeit. Auch die systematische Missachtung von Frauen ist nicht mehr zu vermitteln. Gegen die theologisch fundierte Diakoninnen-Weihe spricht vermutlich nur noch die Engstirnigkeit einiger alter Männer. Deren Unbeweglichkeit schadet allen, sogar den Priestern, die in Gemeinden noch Dienst tun. Diese können die Fülle der ihnen übertragenen Aufgaben kaum mehr tragen.

Ist der Austritt tatsächlich die einzige Alternative? Nein. Denn das hieße ja, verstockten Männern die Macht über die eigene innere Heimat zu geben.

Es braucht Katholikinnen und Katholiken, die ihre Rolle neu definieren – und die nach vorne denken

Für die Mitgestaltung der Kirche von morgen braucht es Fantasie und neue Wertungen. Warum sollen Christinnen und Christen nicht ökumenisch zusammen Agape feiern, eine Form der Mahlfeier, die von Laien gestaltet werden kann und die nicht mit dem Kirchenrecht kollidiert? Minderwertig sind diese Feiern nicht, auch wenn ihnen kein Geistlicher mehr vorsteht.

Und warum sollen Laien in der Gemeinde nicht unabhängig von meist heillos überforderten Geistlichen Entscheidungen treffen? Für Beschlüsse zur Sanierung von Gemeindezentren oder die Instandhaltung von Toiletten in Kindergärten braucht es keine geistlichen Weihen, dafür aber wirtschaftlichen Sachverstand. Wo das bestritten wird, lohnt sich ein Aufstand der Willigen.

Mehr zum Thema

Debatte

Können wir lernen, mehr Glück zu haben, Herr Busch?

Veröffentlicht
Mehr erfahren
Debatte

Wie hebeln Gerichte den Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt aus?

Veröffentlicht
Mehr erfahren
Debatte

Was wäre, wenn wir alle weniger arbeiten?

Veröffentlicht
Von
Sara Weber
Mehr erfahren

Es braucht Katholikinnen und Katholiken, die in Freiheit und mit Selbstbewusstsein ihre Rolle neu definieren – und die nach vorne denken. Was braucht es, damit ich bleiben kann? Das wäre eine Frage! An welcher Kirche lohnt es sich, mitzuarbeiten – über Konfessionsgrenzen hinweg und auch mit Menschen, die aus Enttäuschung ihre Kirche verlassen haben, ihr innerlich aber weiter verbunden sind?

Es ist an der Zeit, dass Katholikinnen und Katholiken den Blick von der Kirchenspitze abwenden und auf jenen Grund richten, den sie selbst mitgestalten können. Das schafft Befriedigung und Perspektive – unabhängig von den Ränkespielen in Rom.

Denn, so bringt es der Religionssoziologe Detlef Pollack auf den Punkt: „Möglicherweise können nur die Gläubigen die Kirche noch aus ihrem Tief holen“. Dieser Mann hat Recht.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen