Debatte

Wie bringen wir Innovationen schneller und nachhaltiger auf den Weg?

Damit innovative Lösungen auch im Leben der Menschen ankommen, muss der Transfer von der Forschung in die Anwendung in vielerlei Hinsicht gestärkt werden. Wie kann das gelingen und welche Rolle spielen die Hochschulen dabei? Ein Gastbeitrag

Von 
Mathias Hafner
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Setzt sich dafür ein, den Wissenstransfer in die Gesellschaft zu beschleunigen: die Hochschule Mannheim. © Stephan Ditgens, Hochschule Mannheim

„Mit Lichtgeschwindigkeit zum Impfstoff“: Unter diesem Titel würdigte eine Dokumentation des TV-Senders Arte die herausragende Leistung und den unternehmerischen Mut der Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci. Nur Monate nach den ersten Berichten über Covid-19-Ausbrüche in China gelang es ihnen, einen mRNA-basierten Impfstoff auf den Markt zu bringen, dem heute weltweit hunderte Millionen Menschen einen wirksamen Schutz gegen das Virus verdanken.

Die schnelle Entwicklung des Corona-Impfstoffes darf jedoch nicht davon ablenken, dass der Weg von der Idee zur Innovation - also dem Nachweis ihrer Nützlichkeit und erfolgreichen Anwendung - meistens lang ist und steinig verläuft. Selbst in normalen Zeiten gleicht er dem Besteigen eines Bergs der Kategorie Achttausender, nachdem vorher eine Wüste zu durchqueren war - im Gepäck ein Lunchpaket.

Wir haben Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Ideen in neue Produkte oder Dienstleistungen

Auch der Corona-Impfstoff fiel nicht vom Himmel. Bereits in den späten 1980er Jahren hatte Robert Malone, damals noch Doktorand am Salk Institut für Biologische Studien in San Diego, erstmals die Idee, mRNA in kleine Fetttröpfchen zu verpacken und diesen Cocktail lebenden Zellen anzubieten. Und tatsächlich: Die importierte mRNA-Bauanleitung wurde von den Zellen aufgenommen, korrekt abgelesen und in ein Proteinprodukt umgesetzt. Schon damals notierte Malone in seinem Laborbuch, dass es möglich sein könnte, die mRNA-Mixtur als Medikament einzusetzen. Und dennoch dauerte es 30 Jahre und unzählige weitere Experimente von hunderten Menschen weltweit, bis aus der Idee im Laborbuch ein innovatives Arzneimittel wurde.

Wie lassen sich derartige Innovationsprozesse beschleunigen? Und um welche Kriterien müssen sie in Zeiten neuer ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen ergänzt werden? Gilt die Gleichung noch: mehr Forschung, mehr Patente, mehr Wirtschaft istgleich mehr Wohlstand?

Eine dringende politische Maßnahme ist die Einrichtung einer dezentralen und autonomen Förderinstitution

Im neuen Staaten-Ranking des Global Innovation Index der Vereinten Nationen (UN) wird Deutschland nach wie vor eine hohe Forschungskompetenz bescheinigt. Als Land landen wir unter den Top 10, was Investitionen in die Grundlagenforschung und die Zahl der Patente betrifft, zeigen aber eine schwache Dynamik bei der Ausgründung von Hightech-Unternehmen und der Einführung digitaler Technologien (Rang 73!). Der Erfolg von Biontech darf daher nicht den Blick darauf verstellen, dass wir Schwierigkeiten bei der Umsetzung neuer Ideen und Umwandlung von Ergebnissen aus der öffentlichen Forschung in neue Produkte oder Dienstleistungen haben.

Zudem werden aus unerwarteter Richtung neue Töne laut: Die global agierende BASF etwa will mit ihrem „Value-to-Society“-Ansatz eine ganzheitliche Unternehmenskultur entwickeln, die nicht nur dem Shareholder-Profit verpflichtet ist. Selbst ein Hedgefonds-Manager vom Kaliber eines Ray Dalio ruft nach mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft. Es scheint, das Mantra vom Wachstum um jeden Preis weicht der Einsicht, dass die wirtschaftliche Entwicklung mit Werten für die Umwelt und Gesellschaft in Einklang zu bringen ist.

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Nicht in Frage gestellt wird indes die Notwendigkeit von Wachstum. Doch man muss ihm eine neue Richtung geben und Fatales von Richtigem trennen, was beispielsweise heißt, massiv in erneuerbare Energien zu investieren und die Ölindustrie hinter sich zu lassen. Auch UN-Generalsekretär Guterres äußert sich kritisch über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als das Maß aller Dinge. Denn absurderweise bezeichnen wir dessen Anstieg als Wohlstandszuwachs, selbst wenn er durch Naturzerstörungen wie Überfischung oder Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt wurde.

Den normativen Rahmen hin zu einem alternativen Brutto-Ökosystem-Produkt (BÖP), das den Wert der Natur mit internalisiert, bildet die Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Ihr Kernstück sind 17 ökonomische, ökologische und soziale Ziele (Sustainable Development Goals), die notwendig sind, um weltweit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu bewahren.

Der Gastautor

  • Prof. Dr. Mathias Hafner ist Prorektor für Forschung und Technologietransfer und Leiter des Instituts für Molekulare Zellbiologie der Hochschule Mannheim.
  • Er ist habilitiertes Mitglied der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und im Direktorium des Instituts für Medizintechnologie. Daneben engagiert er sich als Vorsitzender des Kuratoriums im Life Science Cluster BioRN und als Mitglied der AG Forschung in der Hochschulrektorenkonferenz.
  • Wissenschaftlich beschäftigt er sich mit der Entwicklung von Zellkulturen als Modelle für Krankheiten und der Mikroskopie zellulärer Signalwege. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht er populärwissenschaftliche Arbeiten zum Thema Meeresbiologie. Sein neues Buch über marine Lebensgemeinschaften („Mittelmeerleben“) ist im Condoc-Verlag erschienen.

Dieses als Chance für ein neues Innovationsverständnis zu begreifen, setzt nicht nur eine ambitionierte missionsorientierte Politik und hohe Führungskompetenz in der Wirtschaft voraus. Insbesondere Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die ihren Fokus auf Problemlösungen und Innovationen legen, haben eine besondere Verantwortung, ihr Wissen in den Dienst der gesellschaftlich notwendigen Transformationen zu stellen.

Welche Instrumente sind für den erfolgreichen Transfer von im Labor entwickelten Erfindungen in die Unternehmen und letztlich in die Gesellschaft hinein nötig? Eine dringende politische Maßnahme ist die Einrichtung einer dezentralen und autonomen Förderinstitution. Sie sollte eigens auf Transfer ausgerichtet sein und ohne hemmende Bürokratie agieren können.

Noch tut Deutschland sich mit der gezielten Förderung der transferorientierten Forschung schwer. Schuld ist die vorherrschende Anschauung, dass die Entwicklung zur Marktreife bei den Unternehmen liegt, weil diese letztendlich daran verdienen und nicht notwendigerweise Sache der Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen ist. Diese Sichtweise trug dazu bei, dass allein der Begriff Innovation und die damit einhergehende angewandte Forschung weniger gut akzeptiert sind als die erkenntnisorientierte Grundlagenforschung. Letztere fördern wir intensiv, stellen aber noch zu wenige Mittel zur Verfügung, um die Schritte in die Anwendung konsequent zu unterstützen. Es gibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit einem jährlichen Etat von drei Milliarden Euro, jedoch immer noch keine „Deutsche Transfergemeinschaft“.

Das soll sich mit der Einrichtung der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) jetzt ändern. Immerhin hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages der Entsperrung eines kleinen Teils der Mittel zugestimmt. Bleibt es beim ursprünglichen Konzept, könnte sie helfen, eine zeitgemäße Transferkultur zu etablieren, in der Forschung und Entwicklung nicht mehr auseinander dividiert werden.

Eine Innovation zu erschaffen erfordert stetiges Experimentieren, Lernen und Anpassen

Nach Thomas Sattelberger, dem prominenten Vordenker der DATI, muss die Transformation der Forschungsförderung mit einer gründlichen Entbürokratisierung des Systems einhergehen. Von den Hochschulen fordert er, dass sie sich das Thema forschungsbasierte Innovationen zu eigen machen und in regionalen Verbünden die Menschen zusammenbringen, die gemeinsam Lösungen finden wollen.

Unsere traditionellen Stärken bündeln sich im Allgemeinen innerhalb bestimmter Branchen, so dass jeweils im Bereich eines speziellen Industriezweigs Technologie entsteht. Dieses „Silodenken“ muss durch einen disziplinen- und sektorübergreifenden Netzwerkgedanken abgelöst werden. Denn eine Innovation zu erschaffen ist mehr als nur die Reproduktion bestehenden Wissens. Es erfordert stetiges Experimentieren, Lernen und Anpassen.

Hinzu kommt, dass Wissens- und Technologietransfer zunehmend an den Schnittstellen zwischen digitalen Innovationsfeldern und den „analogen“ Technologiesektoren erfolgt. Und wo früher wenige Ingenieurinnen und Ingenieure ausreichten, braucht es heute etwa im Bereich der Biomedizin zusätzlich IT-Spezialistinnen, Biotechnologen und Medizinerinnen. Nach dieser Vorstellung ist der Innovationsprozess als ein wechselseitiges Gemeinschaftsprojekt angelegt, in dem unterschiedliche Partner aus Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft, ihre jeweils eigenen fachspezifischen Sichtweisen beitragen. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), denen teils Ressourcen, spezielles Know-how oder die Forschungsinfrastruktur fehlen, profitieren von diesen neuen Lösungsräumen.

Ein erfolgreiches Beispiel hierfür ist die BMBF-geförderte Innovationspartnerschaft „Multimodale Analytik und intelligente Sensorik für die Gesundheitsindustrie“ (M2Aind). Sie wird federführend vom Forschungszentrum CeMOS der Hochschule Mannheim geleitet. Die eng mit der Region verbundene innovationsgetriebene und forschungsintensive Allianz besteht aus 30 Großunternehmen und KMU aus der Pharma-, Chemie- und Lebensmittelbranche. Ihr übergeordnetes Ziel ist es, Beiträge für eine wirkungsvolle Bekämpfung von Volkskrankheiten zu leisten.

Wenn Wissenschaft ihre Nähe zum Menschen nutzt, kommen wir gemeinschaftlich vom Wissen ins Handeln

Die Vernetzung der beteiligten Unternehmen mit jeweils eigenen wirtschaftlichen Interessen ist keine triviale Angelegenheit und erfordert eine Einigung auf gemeinsame Normen. Eigene Ziele müssen so definiert werden, dass sie sich nicht mit den Zielen anderer überschneiden. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass jeder Partner vom Netzwerk profitieren kann und sich Erfolge schneller einstellen. Innerhalb von nur fünf Jahren wurden 24 Produkte und Dienstleistungen entwickelt, 15 Schutzrechte angemeldet und circa 100 Folgeprojekte gestartet. Es ist gelungen, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln und mit ihnen einen bedeutenden Spitzenplatz einzunehmen - auch international.

Die kooperativen Innovationsvorhaben der Hochschule Mannheim richteten sich bisher mehrheitlich an Wirtschaftsunternehmen. Die Debatten rund um ethische Fragen bei der Anwendung mRNA-basierter Impfstoffe oder der Künstlichen Intelligenz unterstreichen die Notwendigkeit, Innovation nicht mehr rein linear zu denken, sondern offen zu gestalten und die Zivilgesellschaft in den Austausch mit einzubeziehen. Mit dem Projekt TransforMA des Bund-Länder-Programms „Innovative Hochschule“ werden die Hochschule Mannheim im Verbund mit der Universität Mannheim ihre Verankerung als „Reallabore“ in der Region stärken, um den wechselseitigen Transfer von Wissen und Ideen mit Gesellschaft und Wirtschaft zu beschleunigen. Dieser Strategie liegt ein ganzheitliches Innovationsverständnis zugrunde, das die Bandbreite technologischer und sozialer Innovationen umfasst und gleichzeitig geeignet ist, eine nachhaltige Wirkung im Unternehmenskontext zu erzeugen. Als Teil einer lokalen Agenda der Metropolregion werden dafür neue Formen der Wissenschaftskommunikation sowie Begegnungs- und Experimentierräume eingerichtet. Wenn Wissenschaft ihre Nähe zum Menschen nutzt und deutlich machen kann, dass Wandel per se nichts Negatives ist, sondern positiv gestaltet werden kann, steigt die Chance, dass wir gemeinschaftlich vom Wissen ins Handeln kommen.

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