Zeitzeichen

Selbsttest in Sachen Wokeness

Beim Nachdenken über die Renaissance des Dialektrock ist unser Kolumnist auf Wolle Kriwaneks Schwaborock-Nummer "I bin für Di nur der N" gestoßen - und kam nicht viel weiter als bis zum N

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Mannheim. Der nicht ganz kleine Teil identitätspolitischer Durchschnittsverbraucherinnen und - verbraucher schüttelt längst nur noch den Kopf über die Maßlosigkeit, mit der manche Debatten auf den extrem entgegengesetzten Seiten geführt werden: Vor allem darüber was man noch sagen darf. Oder zum Beispiel ob es Warnhinweise in der ARD-Mediathek vor dem Sprachgebrauch von Comedy-Klassikern Marke Otto oder Harald Schmidt geben soll. Wobei so eine kleine, völlig sachliche Einordnung ja eigentlich der ideale Kompromiss ist, keine Zensur. Und empfindsame Menschen sind gewappnet.

Manchmal weiß man selbst ja gar nicht genau, wie sensibel das eigene Empfinden ist. Beim Nachdenken über die Renaissance des Dialektrock von Gringo Mayer über Neo-Austropop bis zu Sophie Hunger bin ich auf den ultimativen Selbsttest gestoßen. Er stammt von Wolle Kriwanek (1949-2003). Ein des Rassismus völlig unverdächtiger Verehrer afroamerikanischer Musik, im Zivilberuf Sonderpädagoge und als Sänger ein prominenter Teil der erfolgreichen Mundartpopwelle um BAP ab 1982. Und das als Schwabe!

Nun, 1982 veröffentlichte er die gut im Radio vertretene Single „Ich bin für Di nur der N...“. Eigentlich war beim ersten N schon Schluss bei mir. Den permanent mit leidenschaftlicher Expressivität geschmetterten Refrain habe ich zweimal durchgehalten. Das geht nicht mehr. Für mich. Auch wenn es nur eine damals übliche Redewendung ist, gemünzt auf eine Frau, die ihren Typen ausnutzt. Probieren Sie es gern selbst. Aus John Lennons „Woman Is The N Of The World“ mache ich den nächsten Wokeness-Test. Vielleicht hilft der emanzipatorische Inhalt.

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Und Wolle Kriwanek? Wer jetzt die nach ihm benannten Straßen in Stuttgart und Backnang umbenennen will, reagiert genau so über wie Leute, die meinen, das Lied jetzt permanent aus dem Autofesnster brüllen lassen zu müssen. Manche Dinge haben ihre Zeit. Jedes Wochenende mit Tabletts voller Asbach-Cola zu begehen oder Autoreifen im Garten zu verbrennen, ist ja auch noch nur etwas für speziell veranlagte Zielgruppen. Übrigens: Woke-Punkte hat der Schwaborocker Wolle auch gesammelt - mindestens mit „I fahr Daimler“, der spöttischen Hymne über das Selbstverständnis von Mercedes-Fahrern.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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