Ein Kuss. Das war das Letzte, was ich von Bela und Alya gesehen habe. Das ist schon mehr als einen Monat her. Es war noch kalt. Seitdem treibt mich eine Frage um: Sind die jetzt ein Paar? Okay, es gibt auch noch ein paar andere Fragen, die mich umtreiben, aber die lasse ich heute mal außen vor. Die beiden gehen mir also gerade durch den Kopf, als ich genüsslich italienische Langnudeln auf eine Gabel drehe. Da höre ich plötzlich ein fröhliches „Hi“. Ich sehe auf und erblicke sie. Hand in Hand stehen sie da, wobei erwähnt werden muss, dass Alya in der anderen Hand eine Packung Bio-Windeln und Bela einen Kinderwagen hat, in dem eigentlich nur eine liegen kann: Elin. Alyas Tochter.
Ich bin perplex und glaube schon an die These, es gäbe keine Zufälle, da sitzen mir die beiden auch schon gegenüber. Ungefragt. Und während Alya an meinem Drink nuckelt (ungefragt), fragt sie stattdessen: „Wie geht’s?“ Ich lüge: „Gut.“ Aber mein Hirn beschäftigt etwas Anderes: Wie sieht das Leben dieser so unterschiedlichen Personen aus? Alya, die hippe, intelligente, die emanzipierte, ökologisch-aktive und alleinerziehende Mutter mit Migrationshintergrund, auf der einen Seite. Und dann Bela, der anachronistisch Porsche fahrende Luxus-Typ mit Begabung zum Kurpfälzer Oscar Wilde. Wie sieht das aus, wenn sie – sagen wir – die symbolische Zigarette danach rauchen, noch nach dem anderen riechend, aber Bela schon wieder an sein Auto und Rachmaninow denkt und Alya an den miesen Zustand der Welt und die Doppelmoral ihrer Bewohnenden? Die beiden, denke ich in dem Moment, haben, rein mathematisch gesehen, nur eine einzige Schnittmenge: Sie kennen mich!
Bela: „Du wirkst so verträumt und abwesend. Was ist los?“ Ich lüge: „Ach, nichts Besonderes, ich gehe einfach noch mal meine To-Do-Liste durch.“ Aber mein Hirn beschäftigt etwas Anderes: Hat Alya Bela auch schon mit dem Satz bombardiert, mit dem sie mich noch letzten Sommer attackiert hatte? „Weißt du“, hatte sie mich angegangen, „dass du mit jedem einzelnen Kilometer, den du mit deiner Dreckschleuder fährst, die Zukunft von Elin hässlicher, unerträglicher und gefährlicher machst? Du wirst mit Schuld sein daran, wenn sie krank wird und früher stirbt, wenn andere ertrinken und verdursten.“
„Halt“, hatte ich gerufen und dann erklärt, dass es quasi nichts ändere, wenn ich aufhörte mit dem Autofahren (was ich mittlerweile getan habe), denn (1.) würde ich total wenig fahren und (2.) gäbe es noch viel miesere Sünder als mich. Sie entgegnete: „Nach dieser Logik brauchst du auch nicht mehr wählen gehen. Deine Stimme ist ein Staubkorn.“
„Und du, Alya“, frage ich, „fährst du jetzt mit Belas Porsche durch die Landschaft?“ Alya räuspert sich. „Wir …“ Pause. „… sprechen darüber“, sagt sie etwas verlegen und lächelt ihr Schätzchen von der Seite an. Ich finde gut, dass zwei so verschiedene Menschen versuchen, sich zusammenzuraufen. Wenn die Gesellschaft das auch täte, wenn sie, obwohl in vielen Blasen lebend, aufeinanderzugehen würde, spräche, dann gäbe es weniger Hass. Man wird mir vorwerfen, ich sei ein Träumer.
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