Was haben wir uns gestritten. Gestritten über die barbusigen Nymphen im Gemälde von John William Waterhouse, die vorübergehend sogar aus der Manchester Art Gallery entfernt worden waren, weil die mit langem rotem Haar ausgestatteten Schönheiten den Jüngling Hylas nackt in einen Teich voller Seerosen locken. Gestritten auch über ein Gedicht, das mit den Worten endet: „alleen und blumen und frauen und / ein bewunderer“; Studentinnen der Salomon-Hochschule Berlin sahen da eindeutig Sexismus, weil Frauen angeblich mit Dingen gleichgesetzt werden. Na ja.
Aber während nahezu täglich über so etwas gezankt wird, während selbst ernannte Political-Correctness-Advokaten nach immer neuen Verbotsmöglichkeiten fahnden, während sie Dinge und Wörter aus in der Vergangenheit entstandenen Kunstwerken tilgen wollen (ohne die Urheber zu befragen, weil die meist schon tot sind), während man sich streitet über Wörter wie Indianer, wie Karl May in „Winnetou“ den Wilden Westen darstellt oder wie der humanistisch und antirassistisch gepolte Michael Ende im Kinderbuchklassiker „Jim Knopf“ einmal das Wort „Neger“ benutzt hat (was der Verlag jetzt irrsinnigerweise streicht), während all dies also streitender Status quo der Gesellschaft ist, die schwerer wiegende Probleme hätte, schreibt einer wie Volker Kutscher – ja, der von „Babylon Berlin“ – im neuen Roman einfach weiter munter das N-Wort für meine Brüder und Schwestern dunklerer Hautfarbe.
Schon auf Seite 17 ist in „Olympia“, dem Roman über die Nazi-Spiele 1936, von „Negersportlern“ die Rede, davon, dass sie „doch Tiere seien“ und: „Man lässt einen Menschen ja auch nicht gegen ein Pferd um die Wette rennen“ – eine widerliche Entschuldigung dafür, dass die tumben Teutonen damals einfach lahmarschig hinter Leuten wie Jesse Owens her trottelten. Der Hakenkreuz-Spaziergänger Erich Borchmeyer brauchte damals 0,4 Sekunden mehr für die 100 Meter als Owens – das sind rund fünf Meter Abstand.
Die vielen N-Wörter bei Kutscher sind ekelhaft zu lesen. Ich schlucke jedes Mal. Harter Tobak, der sich nur dadurch rechtfertigt, dass die Nazis ja so gedacht und gesprochen haben und Kutscher in den inneren Monologen seiner Figuren den Geist seiner literarischen Zeit verbal aufnimmt.
Aber als Michael Ende (oder andere aus dem Club der toten Dichter) 1960 das N-Wort niederschrieb, tat er nichts Anderes. Er nahm den Geist seiner Zeit stilistisch auf, die ja noch voller Nazis war. Wie man heute vermutet, wollte er eher den, der das Wort benutzt, als affigen Besserwisser aussehen lassen: Herr Ärmel. Und dann kann man Endes eskapistisches Werk auch als Exorzismus nationalsozialistischer Mythen deuten, die auf rassenideologisch (besser: rassenidiotisch) angewandten Darwinismus beruhten.
Ich bin gegen Geschichtsklitterung. Wenn wir sagen: Wir dürfen die Geschichte nicht vergessen, sonst können wir nicht aus ihr lernen, so müssen wir sie auch existieren lassen – und zwar nicht nur in Geschichtsbüchern, wo viele von uns viel zu selten reingucken.
Schreiben Sie mir: mahlzeit@mannheimer-morgen.de
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben_artikel,-ansichtssache-olympia-1936-und-das-n-wort-_arid,2178849.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/themen-schwerpunkte_dossier,-olympische-spiele-2021-in-tokio-_dossierid,246.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.demailto:mahlzeit@mannheimer-morgen.de