„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ So lautet ein berühmter Spruch von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Auch Regisseure sollten aufpassen, wenn sie ein allzu großes Faible für das Übersinnliche hegen. Denn nicht immer ist das gut für einen Film. In Marco Righis „Where The Wind Blows“ sorgt die Wendung zum Mystischen für eine Art, pardon, religiösen Kitsch. Da säuselt es bedeutungsschwer in den Bäumen, Zweige rascheln rätselhaft, es windet geheimnisvoll im Wald, und dann hört man gar die Engel singen. Schließlich trottet ein herrenloser Esel durch die Szenerie, offensichtlich eine Anspielung auf den zuvor gefeierten Palmsonntag, und er trabt zu einem frischen Grab, das leer ist. Schon ein bisschen viel des Wundersamen.
Im Grab wurde Antimo bestattet, ein Bauer, der das Priesterseminar abbrach, aber ein gottesfürchtiges Leben führte, dann jedoch Suizid beging. Im realistisch gehaltenen Teil seines Filmes zeigt Righi die kärgliche Existenz des jungen Mannes (glänzend dargestellt von Jacopo Olmo Antinori) zwischen Kuhstall, Kirche und Küchentisch in langen Einstellungen und langsamen Schwenks. Antimo hat eine Freundin, man liebkost sich, aber zum Sex kommt es nicht. Eigentlich sei Heiligkeit sein Ziel, sagt er.
Als er dem ungetauften Landarbeiter Lazzaro begegnet, den Fiorenzo Mattu grandios wie einen archaischen Typen aus einem Pasolini-Film verkörpert, bringt Antimo ihm das Beten bei. Und schließlich tauft er ihn, die Szene wird langweilig minutenlang in allen Details dargestellt. Danach kippt der Film ins Unwirkliche. Ist er ein Plädoyer für eine mystische Religiosität im Gegensatz zu kirchlichen Konventionen? Es bleibt im Unergründlichen.
Traumsequenz unter Wasser
Auch „Dreaming & Dying“ von Nelson Yeo (Indonesien/Singapur) mündet – ähnlich spannungslos – ins Märchenhafte. Er erzählt von einem Mann und einem Ehepaar mittleren Alters, die zu einem Klassentreffen gekommen sind, an dem sonst niemand teilnimmt. Der Film umkreist zunächst die drei. Sie necken sich wie alte Freunde, führen Smalltalk über die Hitze und den Klimawandel. Der zurückhaltende Heng ist sportlich und viril, sein vorlauter Kumpel dagegen ist fett geworden und kränkelt. „Eigentlich sah ich auch mal gut aus“, sagt er zu sich. Seine Gattin denkt über Heng nach und möchte fragen, warum er keine Frau und keine Familie hat. Offensichtlich waren beide sich einmal zugetan.
Nun denkt man als Zuschauer, das Spannungsgeflecht der drei Figuren würde zum Thema werden. Aber es kommt anders, es wird fantastisch. In einer Art Traumsequenz trifft die Frau den Wassermann Wen Xin, stilecht mit Flosse ausgestattet. Schließlich erscheint sie selbst als Meerjungfrau, Arm in Arm mit ihm. Ihr Ehemann dagegen begegnet einem sprechenden Fisch, der ihm erklärt, beide seien schon ewig miteinander verbunden.
„Unser Schicksal ist das Ergebnis von Karma aus dem vorherigen Leben“, philosophiert der Fisch, der erklärt, er sei Heng. Dazu wabern Nebel, der Vollmond schimmert und ein mysteriöses Pochen erklingt. Am Schluss ist das Ehepaar plötzlich wieder zusammen zu sehen, doch am Ende ist der Gatte tot. Seine Frau verstreut die Asche im Meer. Der mitteleuropäische Betrachter bleibt angesichts der buddhistischen Mystik ratlos zurück.
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