Zeitreise

Bewährtes Arbeitstier: Der Lanz-Bulldog wird 100 Jahre alt

Von 
Peter W. Ragge
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Ein stationärer Bulldog, der eine Dreschmaschine antreibt. © John Deere Archiv

Mannheim. Muskelkraft, Ochsengespanne, Pferde, die man nicht ohne Grund „Ackergäule“ nennt - Landwirtschaft ist lange schwere, anstrengende Handarbeit, von Tieren unterstützt. Bis zum Jahr 1900 erzeugt ein Landwirt gerade mal so viele Nahrungsmittel, um etwa vier Personen ernähren zu können - heute dagegen macht, statistisch gesehen, ein Bauer 140 Personen satt. Einen großen Anteil daran hat neben den Düngemitteln die Mechanisierung der Landwirtschaft. Und dabei spielt eine Erfindung aus Mannheim eine ganz wichtige Rolle.

Bulldog-Erfinder Fritz Huber. © John Deere Archiv

Zunächst sind es die Engländer, die transportable Dampfmaschinen, Lokomobile genannt, den Bauern anpreisen, damit sie deren Kraft beim Pflügen und Dreschen nutzen. Das setzt sich auch in Deutschland durch, und das will Heinrich Lanz nutzen. 1859 tritt er in die 30 Jahre zuvor von seinem Vater gegründete Spedition ein, eröffnet eine Abteilung für die Vermittlung landwirtschaftlicher Maschinen. Deren Anschaffung habe sich „auch in unserer Gegend als ein Bedürfnis herausgestellt, dessen Befriedigung unsere Anstalt sich zur speziellen Aufgabe gemacht hat“, preist er sein Unternehmen an, das für „prompte Beschaffung unter größtmöglicher Ersparnis an den Bezugskosten“ stehe.

Reparaturen als Probelauf

Lanz importiert englische Maschinen und liefert sie, das ist der Clou, zum Fabrikpreis plus Verpackung, Transport und Zoll. Sein Gewinn ist zunächst nur der Rabatt, den ihm als Großabnehmer die Produzenten von der Insel einräumen. Das funktioniert zunächst gut, aber nicht lange. Als nämlich die ersten Reparaturen fällig werden und weder die Bauern noch die örtlichen Schmiede mit den neuen Maschinen zurechtkommen, muss er reagieren. Er gründet 1860 in der Schwetzingerstadt eine Reparaturwerkstatt, schickt seine Arbeiter regelmäßig zu Schulungen nach England und beginnt, Ersatzteile selbst herzustellen.

Das ist quasi der Probelauf. 1867 entschließt sich Lanz, selbst landwirtschaftliche Geräte zu produzieren. Im Jahr darauf entwickelt er gar eine Futterschneidmaschine, unter dem Namen „Mannheimer Maschine“ bekannt und bei der Landwirtschaftlichen Ausstellung Straßburg mit einer Goldmedaille bedacht. Schnell wächst sein Unternehmen. 1873 errichtet Lanz in der damals sich gerade entwickelnden Schwetzingerstadt, etwa zwischen dem Tattersall und der heutigen Heinrich-Lanz-Straße, eine Gießerei, 1888 bis 1890 folgt der Ausbau eines zweiten Firmensitzes auf dem Lindenhof.

Umzug nach Berlin?

Plötzlich droht Mannheim aber, Lanz zu verlieren. Er will expandieren, doch die Stadtväter weigern sich 1899, ihm Grundstücke auf dem Lindenhof zu verkaufen. Im letzten Moment, in einer Sondersitzung im Februar 1900, lenken die Kommunalpolitiker ein - weil Oberbürgermeister Otto Beck mitbekommt, dass Lanz kurz vor einem Vertragsabschluss mit Berlin-Tegel steht.

Es beginnt das Jahrhundert der Mechanisierung, was aber auch zu Widerstand führt. So wird in einer Streitschrift der „Untergang der deutschen Pferdezucht“ befürchtet, von „Ruin“ und „Katastrophe“ gesprochen, wenn sich der „eisernes Pferd“ genannte Motorpflug durchsetzen sollte. Heinrich Lanz treibt aber die Entwicklung weiterer Maschinen voran, bis er 1905 stirbt. Seine Witwe Julia Lanz und die vier Kinder führen die Firma weiter, verlegen sie 1906 ganz auf den Lindenhof.

Ein Bulldog mit Pflug auf einem Feld 1926. © John Deere Archiv

In dieses Unternehmen tritt im September 1916 Fritz Huber als Konstrukteur und Leiter einer Entwicklungsgruppe ein, nachdem er im Ersten Weltkrieg gedient, eine Sanitätsabteilung geleitet hat und wegen Verwundung aus dem Heer ausgeschieden ist. 1881 geboren, stammt er aus einer Technikerfamilie aus Wasserburg in Oberbayern, studiert an der Technischen Hochschule München Maschinenbau und spezialisiert sich auf Motoren. Mit seinen Antrieben ausgestattete Rennjachten erzielen sieben erste Preise.

Aber bei Lanz wirkt er zunächst am Bau von Zugmaschinen für die Artillerie mit. Als der Erste Weltkrieg vorbei ist, beginnt er wieder zu tüfteln. Ein sparsamer, einfacher Glühkopfmotor ist sein Ziel. „Der Motor des Bauern kann gar nicht einzylindrig genug sein“, wird als Leitsatz von ihm später überliefert, dazu „Die Landmaschine ist einfach, oder sie ist keine Landmaschine!“ Unempfindlich und robust soll sie sein, ganz leicht zu bedienen und genügsam, sprich mit billigsten Kraftstoffen, ja sogar Teerölen, Destillationsrückständen oder Spiritus zu betreiben.

Schon im Januar 1921 gelingt es Huber, dass seine Erfindung auf dem Fabrikhof auf dem Lindenhof tuckert. Da soll aber, so ist in einer alten Chronik zu finden, Huber die Maschine vor wartenden Journalisten beim Start rückwärts in die Dekoration gesetzt haben. Anders dann vom 16. bis 21. Juni 1921 in Leipzig, wo die Erfindung auf dem Stand Nummer 56 der Ausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft öffentlich präsentiert wird - als erster Rohölschlepper der Welt, ausgestattet mit 12 PS.

Gereimte Werbung

Unbestätigten Überlieferungen zufolge sollen es Arbeiter der Firma Lanz sein, die diese Maschine wegen ihres ungewöhnlichen, gedrungenen und bullig wirkenden Erscheinungsbilds „Bulldog“ taufen - weil sie eine Parallele zu der grimmig schauenden und gedrungen wirkenden Hunderasse ziehen. Aber dieser Name setzt sich schnell - und positiv besetzt - durch, wird als Synonym für „Ackerschlepper“ gar in den Duden aufgenommen, wo er heute noch mit dem Zusatz „Zugmaschine mit Einzylindermotor“ steht. „Hier zieht der Bulldog Lasten schwer, bedeutend schwerer noch als er“, reimt die Lanz-Werbeabteilung und preist ihn damit ebenso an wie mit den Worten „Es drischt der Bulldog ohne Stocken, Gerste, Hafer und den Roggen“. Ein weiterer Werbespruch auf einer Postkarte lautet: „Das alles tut der Bulldog willig, und dabei ist der Bulldog billig. Er schafft aufs Wort, zu jeder Frist. Gemeines Oel sein Fressen ist“.

Ein Foto von 1924 von der „Dauerprüfungsfahrt“ nach Berlin mit Werbeanhänger vor der Siegessäule. © Marchivum

Das deutet darauf hin, wie genügsam und universell einsetzbar die Erfindung von Huber ist. Sie wird als mobiler „Gespannbulldog“, sprich für Transport und Antrieb für Dreschmaschinen, ebenso geliefert wie stationär als Triebkraft für Maschinen, als „Eisenbulldog“ mit Eisenrädern und als „Verkehrsbulldog“ mit Elastikbereifung. Legendär ist bis heute, wie der Start erfolgt: Erst das Vorheizen des Glühkopfes mit der Lötlampe, dann muss das Lenkrad am Motor angesetzt und als Schwungrad genutzt werden, um ihn auf Touren zu bringen.

Aber was in den 1920er Jahren zunächst nicht auf Touren kommt, ist die Wirtschaft, weshalb vielen Bauern die Preise für die Erfindung anfangs viel zu hoch sind. Was den Absatz ankurbelt, ist die Entwicklung eines vollgummibereiften Verkehrsbulldog, der 1924 auf eine spektakuläre Tour geschickt wird: eine Leistungsfahrt, ununterbrochen Tag und Nacht, von Mannheim auf die 1100 Kilometer lange Strecke nach Berlin. Als das Mannheimer Erzeugnis dort nach 17 Tagen - ohne Panne oder Unfall - ankommt und die Siegessäule umrundet, gibt es „viel Aufmerksamkeit und Beifall“, wie die Firmenchronik stolz vermerkt.

Das erste Fließband

Im Jahr darauf wird die Firma Lanz in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, wenngleich die Familie zunächst - bis 1931 - die Mehrheit hält. Zudem laufen ab 1925 Traktoren vom Band. Die Mannheimer Firma führt erstmals in Deutschland das Fließband ein; es hat 175 Meter Länge zur Großserienfertigung von Bulldogs mit 22 und 26 PS.

Das bringt den Durchbruch auf dem Markt - zumal die Mannheimer Erfindung bei einem offiziellen Vergleich mit dem inzwischen von der amerikanischen Firma Ford gebauten Ackerschlepper bei Abnutzung, Brennstoffverbrauch und Zugkraft viel besser abschneidet. Die „Neue Mannheimer Zeitung“ meldet daher 1927, dass der „in Fließarbeit hergestellte Rohölschlepper sehr erfolgreich“ sei und die Firma daher eine zweite Fabrikationsabteilung einrichte. Nun könnten 18 Exemplare pro Tag gefertigt werden. „Beschäftigung und Auftragsbestand hierin ist laufend gut“, heißt es in dem Bericht.

Besucher-Tipps

John-Deere-Forum: Im John-Deere-Forum (John-Deere-Straße 70/Ecke Landteilstraße, 68163 Mannheim, werktags 9 bis 16 Uhr, an Sonntagen 11 bis 16 Uhr) gibt es bei freiem Eintritt eine Ausstellung moderner Traktoren, Mähdrescher und vieler landwirtschaftlicher Geräte, Informationen zu moderner Landtechnik und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion, eine Kinder-Erlebniswelt mit Modellbauernhof und Spieltraktoren sowie einen „Fanshop“.

Werkstouren: Das Unternehmen bietet für interessierte Personen oder Gruppen von Juli bis September Führungen durch die Traktorproduktion an. Kontakt per E-Mail an PublicTours@JohnDeere.com (z. Zt. nicht wegen Corona-Pandemie).

Werk: Mit rund 2780 Mitarbeitern ist das John Deere Werk Mannheim seit über 50 Jahren Deutschlands größter Hersteller landwirtschaftlicher Traktoren. Das Produktionsprogramm für den weltweiten Markt umfasst 21 verschiedene Grundmodelle. Zwei Drittel der in Deutschland produzierten Traktoren stammen aus Mannheimer Fertigung.

Technik Museum Sinsheim: Im Technik Museum Sinsheim (Museumsplatz, 74889 Sinsheim, täglich 9 bis 18, Wochenende bis 19 Uhr) gibt es eine große Sammlung historischer Traktoren und Zugmaschinen, insbesondere zahlreiche historische Lanz-Bulldogs sowie amerikanische Traktoren, dazu mit Dampf betriebene Motorpflüge, Lokomobile und Zugmaschinen und vieles mehr.

Technoseum: Das Technoseum (Museumsstraße 1/Friedensplatz, 68165 Mannheim, täglich 9 bis 17 Uhr) dokumentiert die Mechanisierung der Landwirtschaft mit Schwerpunkt auf den Produkten der Firma Heinrich Lanz. pwr

In Zusammenarbeit mit der Firma Continental entschließt sich Huber, seine Maschinen alle serienmäßig mit luftbereiften Rädern zu versehen - weil sich das bei den Schleppern der Amerikaner bewährt hat. „Erst der Luftreifen ermöglichte die Entwicklung zum Vielzweckschlepper für Feldarbeit und Transport“, so Gerhard Zweckbronner, der sich für das Technoseum mit der Entwicklung befasst hat. Zuvor hätten die Bauern immer umrüsten müssen - Vollgummi auf der Straße, Eisenräder auf dem Acker. Das kostet Zeit. Ab 1936 gibt es sogar „Eilbulldogs“ für den Nahverkehr.

„Genialer Schöpfer“

Ehe der Zweite Weltkrieg ausbricht, ist Lanz der größte deutsche Landmaschinenhersteller. „Etwa die Hälfte aller Schlepper, die jährlich im Deutschen Reich zugelassen wurden, stammte aus Mannheim“, vermerkt die Firmenchronik stolz. Zum 60. Geburtstag wird der mittlerweile zum Direktor der Firma ernannte Fritz Huber in der Mannheimer Presse als der „geniale Schöpfer“ gerühmt. Mit seinem „kraftvollen, aufgeschlossenen Charakter“ stehe er gleichberechtigt neben den Motorenerfindern Otto und Diesel, habe er doch der Landwirtschaft mit dem Glühkopfmotor „die dritte Motorenbauart geschenkt“ und werde „immer der Pionier der Schlepperentwicklung bleiben“.

Allerdings dient der Bulldog nun auch als „Waffe im Wirtschaftskampf dieses Krieges, als wichtiger Garant der ernährungswirtschaftlichen Unabhängigkeit“, wie es in der Propaganda der Nationalsozialisten heißt. Sie schwören ganz auf die „Heimische Scholle“, pochen auf eine Autarkie der deutschen Bauern bei der Ernährung der Bevölkerung.

Noch 1942 verlässt der 100 000. Bulldog das Werk auf dem Lindenhof, und in diesem Jahr stirbt auch der Erfinder Fritz Huber. Für Neuentwicklungen bleibt im Zweiten Weltkrieg ohnehin keine Zeit. Bei Bombenangriffen werden 90 Prozent aller Gebäude zerstört. Von 3500 Werkzeugmaschinen sind noch 800 verwendbar, als der Krieg 1945 endet. Aber der Wiederaufbau gelingt, und 1952 rollt im Februar der 150 000. Bulldog vom Fließband, 1956 schon das 200 000. Exemplar.

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Insgesamt werden 219 253 dieser Traktoren gebaut - bis 1960, aber zuletzt nicht mehr unter dem Namen „Lanz“. 1956 fusioniert das Mannheimer Unternehmen mit dem amerikanischen Landmaschinenhersteller John Deere. 1958 verschwindet das charakteristische Blau als Karosseriefarbe, stattdessen werden die Farben von John Deere, Grün und Gelb, für die Bulldogs und Landmaschinen von Lanz übernommen, 1960 zudem der Firmenname in „John Deere-Lanz AG“ geändert, bis es ab 1967 nur noch John Deere Werke Mannheim heißt.

Das Unternehmen gilt heute in der Präzisionslandwirtschaft als Vorreiter - mit GPS für Traktoren sowie Sensoren, die messen, wo wie viel Dünger ausgebracht worden ist. An den Firmengründer erinnert bereits seit 1910 auf dem Werksgelände ein riesiges, 3,60 Meter hohes Denkmal mit einer Bronzefigur auf einem 3,31 Meter hohen Sockel aus Muschelkalk. Nach dem Erfinder Fritz Huber ist dagegen nur eine kleine Straße, eine Sackgasse im Gewerbegebiet Fahrlach, benannt.

Redaktion Chefreporter

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