Institut für Deutsche Sprache

Wie Lindenberg den Mannheimer Songkorpus ins Rollen brachte

Songsprache spiegelt Alltagssprache wider. Um Sprache zu erforschen, hat Roman Schneider vom Mannheimer IDS einen Songkorpus angelegt, der nun die Fünf-Millionen-Wörter-Zählmarke überschritten hat.

Von 
Martin Vögele
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Musiker und Künstler Udo Lindenberg hat seine Songs für den Mannheimer Songkorpus zur Verfügung gestellt. © picture alliance/dpa

Es ist Udo Lindenberg gewesen, in gewisser Weise zumindest, der ein wegweisendes sprachwissenschaftliches Projekt aus Mannheim mit auf den Weg brachte: das Songkorpus. Wobei dessen Urheber Roman Schneider ist, habilitierter Computerlinguist und Leiter des Programmbereichs Sprachinformationssysteme am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim.

2019 hat Schneider seine digitale Referenzsammlung deutschsprachiger Songtexte aus der Taufe gehoben, die inzwischen ungefähr 15.000 Beiträge aus über fünf Jahrzehnten umfasst und damit unlängst die Fünf-Millionen-Wörter-Zählmarke überschritten hat.

Das Songkorpus



Professor Roman Schneider leitet seit 2016 den Programmbereich Sprachinformationssysteme in der Abteilung Grammatik am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (www.ids-mannheim.de).

Der Computerlinguist und Sprachwissenschaftler hat in Trier in Medienwissenschaften und Computerlinguistik promoviert und in Leipzig und in Mannheim habilitiert.

Für sein 2019 online gegangenes Songkorpus-Projekt (www.songkorpus.de) haben die Künstlerinnen, Künstler und Bands Udo Lindenberg, Konstantin Wecker, Stoppok, Element of Crime, Ulla Meinecke, Hannes Wader, Fettes Brot, Ohrenfeindt und Dota ihre Texte zur Verfügung gestellt. mav

Mit dieser Sammlung sollen sich Sprachgebrauch, Sprachwandel, neue Wörter oder auch die Alltagssprache empirisch untersuchen lassen, erläutert der Wissenschaftler und blickt im Gespräch mit dieser Redaktion darauf zurück, wie alles seinen Anfang genommen hatte.

Um Studierende für die empirische Analyse sprachlicher Phänomene und Systematiken zu begeistern – das habe er in der Lehre gemerkt -, „sind Songtexte eine extrem motivierende Fundgrube“. Als Schneider aber nachforschte („Was gibt es denn überhaupt an entsprechenden Materialien für die Lehre?“), stellte er fest: „Da haben sich bislang wenige Sprachwissenschaftler wirklich mit beschäftigt“.

Schneider vom IDS in Mannheim will Popkultur in der Linguistik spürbar machen

Daraufhin beschloss er, besagte Datensammlung für Songtexte selbst aufzubauen und somit „Popkultur auch in der Linguistik untersuchbar zu machen.“ Natürlich, sagt Schneider, haben sich auch andere zuvor mit Pop-Texten beschäftigt. „Aber das waren eher Literaturwissenschaftler oder Soziologen, also Leute, die durch die lyrische oder gesellschaftspolitische Brille darauf schauen“.

„Die Frage ist natürlich, wo fängt man an?“ Womit wir bei Udo Lindenberg wären, an den Schneider als Erstes dachte, nachdem er den Entschluss gefasst hatte, „ein paar populäre, wirkmächtige Künstler“ anzufragen. Er schrieb dem Sänger, freilich ohne große Hoffnungen zu hegen. „Aber am nächsten Tag klingelt mein Telefon. Und dann ist wirklich Udo dran und sagt: ‚Super Idee, lass doch mal machen!“ Die beiden trafen sich, Lindenberg unterzeichnete die entsprechenden Nutzungsrechte für seine Songs. „Und dann gab es einen kleinen Schneeballeffekt“: Wenn Schneider bei anderen nachfragt und anmerkt, dass Lindenberg mit dabei sei, „dann öffnet das Türen.“

Datenbank des IDS in Mannheim beinhaltet Liedermacher, Singer-Songwriter und Hitparaden-Texte

Sukzessive erweiterte sich fortan die Sammlung um Bands und Solo-Musikschaffende, die ihr Werk der Forschung zur Verfügung stellten. Das Spektrum reicht von Liedermachern wie Hannes Wader und Konstantin Wecker bis zu Singer-Songwriterin Dota oder den Hardrockern Ohrenfeindt. Zwar gibt es im Songkorpus einen umfassenden Bereich zu Hitparaden-Texten der vergangenen fünf Jahrzehnte, die wissenschaftlich ausgewertet werden. Aber aus urheberrechtlichen Gründen können diese nicht respektive nur in abgeleiteten Formaten öffentlich zur Verfügung gestellt werden.

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Neben den neun Hauptkünstler-Rubriken und besagten, fortlaufend erfassten „Chart Songs“ finden sich auf der Internetseite die Themenarchive „GDR“ (Stücke aus der DDR), „HipHop“, „NDW“ und „Miscellaneous“ (Verschiedenes). Im Songkorpus werden die Texte mit computerlinguistischen Werkzeugen digital aufbereitet und hinsichtlich Wortschatz und Grammatik analysiert. Auf Zeichen-, Wort, Strophen- oder Song-Ebene können überdies Visualisierungen erstellt werden.

Schneider: In Songtexten spiegelt sich Alltagssprache wider

Die Sammlung lasse sich verwenden, „um sprachliche Dynamiken zu dokumentieren“, sagt Schneider über das sich ständig weiterentwickelnde Projekt. Wobei sich in Songtexten etwas finden lasse, was sich in vielen anderen Textsorten nicht widerspiegelt: „nämlich Alltagssprache“. Neben Sprachwissenschaftlern könne diese Ressource etwa auch für die Kulturwissenschaften, die Musikwissenschaft oder aus soziolinguistischer Perspektive interessant sein.

Rückmeldung über die Relevanz dieses Themas erfährt Schneider zudem aus dem Deutschunterricht, etwa im Bereich des Spracherwerbs: So würden beispielsweise in Sprachkursen an der Mannheimer Abendakademie Songtexte eingesetzt, „um zu vermitteln, wie man mit Sprache spielerisch umgehen kann.“

Auch im grammatischen Informationssystem des IDS (grammis.ids-mannheim.de) tauchen Songtexte als Belege sprachlicher Kreativität auf. Doch genauso können Hobby-Pop-Forschende hier (nach rasch angelegtem Benutzerzugang) in die Sprachtiefe tauchen und daraus so wundersame Neologismen wie „sternhagelschön“ (aus Dotas „Kein Morgen“) zu Tage fördern. Musikerinnen und Musiker dürfen Schneider übrigens gerne anschreiben: „Über Songtextspenden freue ich mich jederzeit.“

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