Mannheim. Eng ist der Bezug von Schillers „Kabale und Liebe“ zu Mannheim - und zur 23. Auflage der Internationalen Schillertage am Nationaltheater. Das Stück entstand nicht nur zu großen Teilen in des Dichters großer Mannheimer Zeit, die Theater und Stadt seit 1978 mit diesem Festival feiern. Schillers 1784 erst in Frankfurt, dann gleich auch in Mannheim aufgeführtes Drama steht heuer gar im Zentrum des Festivalgeschehens. Und es liefert diesmal sogar das Festivalmotto „Wenn Menschen nur Menschen sind“, Luises frommer Wunsch nach einer besseren Welt, in der das Ständewesen und die Vormacht der Privilegien aufgehoben sind. Gleich zweimal wurde das Stück zum Festivalauftakt daher in Eigenproduktionen des NTM auf die Bühne gebracht, wenn auch in sehr freien Bearbeitungen.
Ein bürgerliches Trauerspiel aus Indien
Im Theaterhaus G7 ist noch bis zum Festivalende am 29. Juni die Uraufführung der deutsch-indischen Koproduktion „Still I Choose to Love“ zu sehen, die sehr lose auf Schillers bürgerlichem Trauerspiel fußt. Die barocken deutschen Standesgrenzen sind hier von Lakshman Kachanahalli Poojahanumaiah, der sich kurz Lakshman KP nennt, auf die des indischen Kastenwesens übertragen. Ein wahrlich spannender Ansatz, ist dieses, wenngleich offiziell längst abgeschafft, doch immer noch prägend für die indische Gesellschaft.
Das intensive psychologische Spiel von Chandrashekara Kempaiah, Devaki Rajendran, David Smith und Larissa Voulgarelis arbeitet sie heraus, die Befürchtungen, Ablehnungen, Tabus und Hindernisse, die eine Liebe über Kastengrenzen mit sich bringen kann. Gespielt wird (kaum) auf Deutsch, im Kannada der Karnataka-Region und im Malayalam Südindiens. Zur Vermeidung babylonischer Sprachverwirrung findet man gemeinsam ins Englische, das auch zur Übertitelung bereitsteht.
Die Sache hat Tiefe und Humor, ist aber nicht ganz einfach. Verschiedene Handlungsebenen sind eingezogen, eine familiäre, ein Fall aus den Medien und ein mythologische. In Unkenntnis der indischen Eigennamen steigt man da durchaus mal aus. Es wird musiziert, gesungen und manche Szenen werden auch in Masken gespielt, eine Prise Exotismus schwebt hier also auch durch Lakshman KPs Inszenierung, die darüber hinaus ein sehr traditionelles Verständnis von dialogischem Kammerspiel offenbart.
Das Publikum schreibt Liebesbriefe
Man ist gefühlig, das ist schön. Mutter (Devaki Rajendran) und Vater (Chandrashekara Kempaiah) blicken am heimischen Küchentisch, sie gehören der Dalit-Kaste, also „den Unberührbaren“, an, ängstlich auf die Beziehung ihrer Tochter zu einem jungen Mann aus besseren Kreisen. Wird man beim Antrittsbesuch seiner Eltern das Bild des Politikers und Sozialreformers Babasaheb Ambedkar (1891-1956) abhängen müssen, um sie nicht zu verprellen? Grenzen beginnen meist in unseren Köpfen.
Luise Millers Wunsch, den Zeitpunkt erleben zu dürfen, „wenn Menschen nur Menschen sind“ scheint also auch im heutigen Indien noch in weiter Ferne zu liegen. Einziges probates Mittel zur Grenzüberschreitung: die Liebe. Zu diesem Behufe wird das Publikum aufgefordert, Liebesbriefe zu schreiben, die im Foyer in eine Kiste geworfen werden können. Die Wahl, es naiv oder poetisch zu nennen, hat jeder selbst …
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