Mannheim. Surprise, Surprise – aber eins ist sicher: Der Überraschungsgast auf der Sommerbühne des Mannheimer Kulturzentrums Alte Feuerwache garantiert einen guten Abend. Am Sonntag ist das eine Wiederholungstäterin: Mine, die schon 2017 den Part des „Surprise Acts“ übernommen hatte. Im Vorjahr war es Futurebae, ansonsten gab es schon Größen wie Das Lumpenpack oder Mono & Nikitaman.
Obwohl die Feuerwache ihre erklärte Lieblingskünstlerin typisch Überraschung wie gewohnt kurzfristig, am Samstagabend, angekündigt hat, ist der Saal mit etwa 700 Fans sehr gut gefüllt. Da die Seitentüren offen und das Wetter angenehm ist, verfolgen viel Leute die Show auch vom Außenbereich aus. Das lohnt sich immer bei Mine. Denn diese extrem wandelbare Künstlerin ist ein Einhorn, weil sie so viele Fähigkeiten und Stile in sich vereint, wie kaum jemand sonst im deutschen Pop. Auch die optische Selbstinszenierung ist nicht nur in Videos und sonstigem Artwork spektakulär. Meist mit einfachen Mitteln – Licht, Farben, Requisiten wie die Verkleidung ihres Keyboards. Und natürlich Mode. Eine einfache Fellmütze, natürlich künstlich, im Stil von Jamiroquai reicht in der Feuerwache, um den Glamour-Faktor hochzuhalten.
Künstlerisches Einhorn mit enormer Klangbandbreite
Dass die 1986 in Stuttgart als Jasmin Stocker geborene Musikerin mal Jazz-Gesang in Mainz studiert hat, erklärt die vielfältigen Möglichkeiten, die sie als Sängerin präsentieren kann: hoch, tief, wuchtig, filigran, sensibel, wütend – eindrucksvoll! Der Master-Studiengang an der Mannheimer Popakademie half vor allem durch das mitgelieferte, bis heute tragende Netzwerk ihr breites Spektrum auszureizen. So ist Mine eine immer noch fast einzigartige Kombination aus Songwriterin, Produzentin, Sängerin, Multiinstrumentalistin und Arrangeurin. Deren Einflüsse eine Klangbandbreite zur Folge hat, die man auch selten hört: Indie, Electro, Hip-Hop, Chorisches, Orchestrales, Kammer- und Art-Pop, Barock, Afrobeat, Funk … eine wundersame Wundertüte, die immer auch Tanzbares und inzwischen auch einfachere Popsongs enthält.
„Ich mache gerade meine dritte Therapie“
Trotz ihrer enormen Ambition ist Mine auf der Bühne und in ihren Texten nahbar – bis zur totalen Offenheit, was politische und psychologische Themen angeht. Auch ihre Verbindung zur Quadratestadt stellt die Wahl-Berlinerin gern heraus: „Das heute ist unser persönlicher Tourabschluss - und wo kann man ihn geiler verbringen als in Mannheim in der Feuerwache.“ Sie verbinde „so viel mit dieser Stadt: Ich habe hier studiert und gelebt. Und ich habe immer das vielfältige Kulturangebot geschätzt. Mal sehen, wie das weitergeht“, sagt sie mit Blick auf die CDU-geführte Kommunalpolitik. Und als sie vor „Weiter gerannt“ mit dem Satz „Ich mache gerade meine dritte Therapie“ die Scheu vor psychologischen Hilfsangeboten nehmen will, bricht großer Jubel aus.
Der ist ohnehin angesagt. Egal, ob bei tanzbaren Nummern wie „Elefant“ und dem technoiden „Nichts ist umsonst“, das Chöre mit Kanon-Effekt veredeln. Oder um anrührende, schonungslos offene Texte etwa über Krankheit und Tod ihrer Mutter wie „Klebstoff“ und politische Appelle. Etwa als sie ausführt, dass ihr Gefühl, alles schaffen zu können, „wenn du dich richtig anstrengst“, überhaupt nicht stimmt. Die Lebenschancen hingen vom Geldbeutel der Eltern ab, wie es ihr Song „Unfall“ ausführt: „Worein bin ich geboren? Was bleibt mir verborgen? Was liegt in meinem Schoß? Von wo aus bin ich los? (…) Was ist Freiheit? Wer beengt mich? Was ist Arbeit? Wer beschenkt mich? Wer hat stets genug für sich. Wer starrt hungrig auf den Tisch?“ Auch deshalb reiche es heute nicht mehr, eine private Meinung zu haben. Man müsse aktiv Einfluss nehmen, etwa für Minderheiten einstehen.
Auf die stürmischen Zugabewünsche nach 70 Minuten reagiert Mine emotional: „Ich bin sehr gerührt. Es ist immer wieder krass - dass das mein Job ist.“ „Ich weiß es nicht“ liefert dann noch mal einen Höhepunkt und startet als Pianoballade mit Chor – in den sich schließlich das von der Frontfrau dirigierte Publikum. Als Finale gibt es „für die ganz Eingefleischten“ den fast zehn Jahre alten Klassiker „Das Ziel ist im Weg“ vom Duettalbum mit Rapper Fatoni. Dass Mine ansonsten fast nur neueres Material spielt, unterstreicht noch mal ihre Ambition.
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