Das Wichtigste in Kürze
- Das Musical „Cabaret“ nach dem 1972 auch der Film mit Liza Minnelli entstand, wurde 1966 in New York uraufgeführt.
- Berühmte Songs wie „Willkommen“, „Money“ oder „Mein Herr“ kennt fast jeder, doch auf der Bühne haben das Stück nur Wenige gesehen.
- Premiere der Capitol-Eigenproduktion mit neunköpfiger Jazz-Band ist am 11. September, weitere Aufführungen gibt es am 24. Oktober, 25. November und 28. Dezember(Karten: 39-53 Euro).
Mannheim. An Energie, das merkt man im Hinblick auf Uhrzeit und Temperatur schnell, mangelt es beiden nicht. Mit Schwung öffnet Regisseur Jens Ravari „seiner Sally Bowles“ die schwingende Capitol-Tür. Drinnen hat er mit Fotograf Thomas Tröster schon erste Ideen geteilt und Absprachen getroffen, an denen sich die offensichtlich nicht minder quirlige Jennifer Siemann gleich rege beteiligt.
Große Songs, ein berühmter Film und ein Weltstar
Hier im Capitol, Mannheims 1927 fertiggestelltem Baujuwel zwischen Spätexpressionismus und Art Déco beginnt die Saison mit einem Musical-Großklassiker. Den großen Fisch hier an Land zu ziehen, ist bereits mehr als respektabel, sind die Aufführungsrechte doch schwer zu bekommen und die Auflagen des Broadway hoch. Das Haus hat es geschafft und die Castings dazu frei auf den großen Künstlerportalen ausgeschrieben. Über 500 Bewerbungen gab es, 80 Kandidaten wurden eingeladen. Unter der Musikalischen Leitung von Marcos Padotzke wurde zudem eine neunköpfige Band mit Begabung für Ragtime und Jazz gecastet.
Am 11. September ist hier am Alten Meßplatz Premiere für „Cabaret“, mit Musik John Kanders und Gesangstexten von Fred Ebb, die jeder kennt: dem Titelsong „Cabaret“, „Money Money“ mit der berühmten Refrainzeile „Money aakes the world go around“, „Maybe This Time“, „Two Ladies“, „If You Could See Her Through My Eyes“ oder „Mein Herr“ – alle berühmt durch den ikonischen Film von Bob Fosse aus dem Jahr 1972, in dessen Zentrum Liza Minnelli zum Inbegriff des verrucht-frivolen Show-Girls der 1930er Jahre wurde.
Wie bringt man einen zigfach imitierten Weltstar auf die Bühne? Wie geht man damit um, dass alle unfreiwillig den Vergleich machen werden?
„Cabaret“ im Capitol
- Jens Ravari wuchs als Sohn einer deutschen Krankenschwester und eines iranischen Diplom-Ingenieurs in Mittelhessen auf, studierte Germanistik und Musik in Gießen.
- 2002-2010 stand er in 35 Rollen als Sänger, Tänzer und Schauspieler auf der Bühne und nahm an der vierten Staffel von Deutschland sucht den Superstar teil. Bis 2013 war er Regieassistent für Musiktheater am Stadttheater Bern. Er arbeitet als freier Regisseur und leitet seit 2023 das Kulturforum Fürth.
- Jennifer Siemann stammt aus Berlin und machte an der Leipziger Hochschule Felix Mendelssohn Bartholdy ihr Diplom zur Schauspielerin und Pop-Sängerin . Engagiert war sie etwa in Udo Lindenbergs „Hinterm Horizont“, „Fuck jo Göhte“ oder „Hair“ am Staatstheater Saarbrücken.
- Premiere im Capitol, Waldhofstraße 2, ist am 11. September, 20 Uhr . Weitere Aufführungen am 24. Oktober, 25. November und 28. Dezember. Karten (39-53 Euro) gibt es unter der Tickethotline 0621/40171420 (Mo., Di. & Sa. 11-14 Uhr) oder per Mail an karten@capitol-mannheim.de rcl
„Ich wollte schon immer und unbedingt Sally Bowles spielen, aber diese Fragen habe ich mir in der Tat erst gestellt, als es plötzlich endlich so weit war und ich in Mannheim den Zuschlag beim Casting hatte“, antwortet Jennifer Siemann, die in Dresden schon mal als Kit-Kat-Girl auf der Bühne stand und nun endlich die Hauptrolle spielen darf.
Jennifer Siemann: „Man muss seine eigene Sally Bowles sein.“
„Ich habe mir sämtliche verfügbaren Aufzeichnungen gegriffen, selbst unerlaubte Mitschnitte, und festgestellt, dass keine der Minnelli-Nachfolgerinnen, den Fehler gemacht hat, auf der Musical-Bühne rein auf Film-Imitation zu setzen. Allen ist es gelungen, eine eigene Figur, eine andere Person zu entwickeln: Michelle Williams, Emma Stone, Judi Dench oder in Deutschland auch Anna Loos.“
Wie sieht die Geschichte des amerikanischen Literaten Cliff, der in den 30er Jahren sein Glück in Berlin versucht und in das Umfeld des frivolen Kit-Kat-Clubs und somit an Sally gerät, denn in Mannheim aus? „Wir bleiben im Kolorit, setzten die Geschichte aber so, dass der Zuschauer erkennt: Das ist ja wie heute!“ Jens Ravari ist der Meinung, dass dieses Einsicht ein wenig Verfremdung braucht.
Ein amerikanischer Literat gerät in einen frivolen Berliner Nachtclub
Ein Veranstaltungsort, der die Originalspielzeit architektonisch mitbringt, ist ein Glücksfall für den Musical-Regisseur und Leiter des Kulturforums Fürth. Dass das Capitol als ehemaliges Kino bekanntlich nicht allzu viel Bühnenmöglichkeiten mitbringt, findet er nicht tragisch.
Man dürfe nicht vergessen, dass der Berliner Kit-Kat-Club der 1930er Jahre kein glamouröses Hochglanz-Varieté sei, sondern ein eher schäbiges Cabaret, wo man Mangel verwalte und das vor dem Aus stehe: „Epoche und Branche wurden mittlerweile von verklärendem Glitter bestäubt, etwa durch ,Moulin Rouge’ oder ,Babylon Berlin‘“, mit dem Berliner Kit-Kat-Club des Stücks habe das wenig zu tun, weiß Ravari. „Hier residieren Gefahren namens Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit, Drogensucht und politische Radikalisierung.“
Das Capitol als idealer Spielort mit Originalkolorit
Ein Stück über das Ende der Weimarer Republik, in der die Nationalsozialisten Überhand gewinnen, denunzieren, schlägern und verhaften als Unterhaltungsstück? „Ja, sogar ein unfassbar gutes, ein Juwel in der Geschichte des Musicals, das es seit 1966 ja ist – und das vor dem Film da war.“ Dass es funktioniert, dass man das aushält, liegt nach Ansicht von Jens Ravari auch an den grandiosen Dialogen von Joe Masteroff: „Es ist in vielerlei Hinsicht ein Stück über Verführbarkeit.“
Und da schließen sich Politik, Kunst und Eros nicht aus. Jennifer Siemann wünscht sich daher besonders viel junges Publikum: „Als ehemalige Zeugin Jehovas war meine jugendliche Welt leider völlig frei von Politik. Das ist heute mit dem Wiedererstarken rechter Kräfte allerdings noch viel gefährlicher. „Cabaret“ zeigt auch, wie Toleranz und Vielfalt schleichend verloren gehen.“
Wer das Stück kennt, weiß, dass darin Energie, Frivolität und politisches Bewusstsein zu Wort kommen - auch in den berühmten Songs, die, Trommerlwirbel, erstaunlicherweise auf Deutsch gesungen werden. Regisseur Ravari ist der Ansicht, dass diese „zum einen zwar klassische Nummern des Cabaret-Programms, zum anderen aber auch Weiterträger und Vorboten der Handlung sind.“ Wer wissen will, ob das aufgeht, ist ganz sicher, so versprechen Regisseur und Hauptdarstellerin, ab 11. September am Alten Meßplatz „Willkommen, Bienvenue, Welcome“.
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