Schauspiel

„Theaterthriller“ mit Sturm und Drang in Schwetzingen

So bewegend war die Premiere der „Räuber“-Inszenierung von Joerg Steve Mohr am Schwetzinger Theater am Puls.

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
Lesedauer: 
Start in die neue Spielzeit: Am 3. Oktober feiert Jörg Mohrs Inszenierung von Schillers "Die Räuber" feiert Premiere am Theater am Puls. © Nicole Boehm

Schwetzingen. Fast zweieinhalb Jahrhunderte ist es her, dass Schillers Drama „Die Räuber“ das Publikum in Wallung brachte. Natürlich fallen sich bei heutigen Aufführungen des Schauspiels rund um Bruderrivalität, Intrigen und Machtmissbrauch, aber auch Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit aufgewühlte Menschen nicht mehr schluchzend in die Arme, wie es laut überlieferter Augenzeugenberichte bei der Uraufführung im Mannheimer Nationaltheater gewesen sein soll. Gleichwohl berührt, ja bewegt der Stoff auch anno 2025. Insbesondere wenn es gelingt, Werktreue mit zeitloser Spielfreude und zeitgemäßen Regieeinfällen zu verbinden – was die Inszenierung von Joerg Steve Mohr am Schwetzinger Theater am Puls auszeichnet.

Karl und Franz Moor: Zwei Brüder, ein Schauspieler

„Theaterthriller von Friedrich Schiller“ prangt auf dem Plakat. Die Premiere am symbolträchtigen „Tag der Deutschen Einheit“ erweist sich fürwahr als spannender Abend, der 160 Minuten ohne szenischen Durchhänger in Bann hält. Als Clou verkörpert der schauspielerisch herausragende Nikolas Weber beide Moor-Brüder: Karl, der mit der Ungerechtigkeit hadert, vom Vater aufgrund einer Intrige samt Lügengespinst verstoßen worden zu sein. Und Franz, den umtreibt, als zweitgeborener und obendrein missgestalteter Sohn weder die Liebe noch das Erbe des Vaters erringen zu können.

Die Doppelrolle als Regiekniff vertieft die Erkenntnis, dass die Brüder zwar höchst unterschiedliche Charaktere und Lebensziele haben, aber gleichwohl beide scheitern und obendrein Schuld auf sich laden. Weil eben nicht nur niedrige Beweggründe, sondern auch hohe Ideale zu Unrecht mit blutigem Ausgang führen können – ein Phänomen, das keineswegs auf die Vergangenheit oder auf Schillers Jahrhundert beschränkt ist. Und so changiert die Zeit in der Inszenierung augenfällig: Zu Beginn taucht Franz im väterlichen Schloss arrogant-neckisch mit wild gemustertem Versace-Hemd und Shorts samt Mona-Lisa-Socken auf. Zwei entstellende (Kunststoff-)Hasenzähne künden davon, dass der Zweitgeborene schon äußerlich nicht mit dem auf einem Gemälde makellos porträtierten älteren Bruder zu konkurrieren vermag.

Mehr zum Thema

Künstlergespräch

Schillertage Mannheim: Theatermacher sehen Kunstfreiheit weltweit unter Druck

Veröffentlicht
Von
Frank Barsch
Mehr erfahren
Musiktheater

„Manon Lescaut“ von Puccini im Theater Heidelberg

Veröffentlicht
Von
Raimund Frings
Mehr erfahren

Mit Perücke und historisch anmutender Kluft erscheint Familienoberhaupt Maximilian von Moor – überzeugend von Rüdiger Hellmann gespielt. Amalia, die von Karl geliebt und Franz begehrt wird, durchblättert mal in freizügigem Outfit ein Frauenmagazin, mal tritt sie voll herausbrechender Wut-Trauer in einem schwarzen zeitlosen Spitzenkleid auf. Die einzige Frau in der Testosteron-Runde ist nicht nur modisch facettenreich – auch im Spiel von Lisa Pellegrinon.

Musik als zusätzliche Dimension

Kraftvolle Dialoge wie emotionale Selbstreden durchzogen von zugespitzten Formulierungen – sie haben entscheidend zum Supererfolg des Schiller-Dramas beigetragen. In der Theater-am-Puls-Inszenierung gibt es noch eine weitere dramatische Dimension – die der Musik. Ob nun Drummer Dean Seibt am Schlagzeug sitzt, von der Sindelfinger Band Heisskalt die Songs „Zweifel“ und „Angst hab“ erklingen, der doppelte Moor-Mime in die Saiten der E-Gitarre greift.

Zum Stück

  • Nächste Aufführung von „Die Räuber“ Schauspiel von Friedrich Schiller am Samstag, 18. Oktober, 19 Uhr. Außerdem im November am Sonntag, 16. um 19 Uhr und am Freitag, den 21. um 20 Uhr. Mehr Termine: theater-am-puls.de
  • Das Theater am Puls hat sein Domizil in Schwetzingen, Marstallstraße 51 .
  • Karten gibt es an der Abendkasse und im Internet unter theater-am-puls.de. Außerdem in allen Kundenforen und telefonisch unter 06202/ 9269996. wam

Szenen und Schauplätze gehen fließend ineinander über – und zwar so, dass es das Publikum bewusst mitbekommt. Dank einer Drehscheibe verwandelt sich das gräfliche Schloss in den Rückzugsort der Bande mit ihrem Hauptmann Karl und all den anderen Akteuren. Von wegen nostalgisches „im Wald da sind die Räuber“. Es geht um Töten, Brandschatzen, Vergewaltigen, Rauben – und damit um Macht und Herrschaft. Das Publikum im Saal fühlt sich in manchen Momenten aktuellen Kriegen und Krisen erschreckend nah.

Dramatik ohne Melodrama in Schillers Erstling

Zu den Herausforderungen einer Inszenierung des Schiller-Erstlings gehört, sich in der Handlung samt Kettenreaktion von Katstrophen nicht langatmig zu verheddern. Wie die Geschehnisse im Tod des Vaters, im Selbstmord von Franz, der Ermordung von Amalia münden und warum sich Karl selbst der Justiz stellt, wird dramatisch, aber nicht angestaubt melodramatisch über die Rampe gebracht – von Leandro Labantey (Spiegelberg), Nico Weiland (Schweizer), Georg-Alexander Geck ( Razmann), Lorenz Niestroy (Schuftlerle/Kosinski), William Corbett (Roller) und Dean Seibt (Grimm).

Das Publikum zeigt sich in dem kleinen Schwetzinger Kult-Theater von der Klassiker-Interpretation begeistert. Auch, weil Schillers „Sturm und Drang“ so gar nicht vom Winde verweht ist. Das Ensemble und die Regie bekommen lang anhaltenden Applaus. Und anschließend gibt es traditionsgemäß eine Premierenfeier mit Suppe. Und an den Tischen wird heiß diskutiert – auch über aktuelle Katastrophen dieser Welt, die denen in dem Schiller-Drama in nichts nachstehen.

Freie Autorin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke