Ludwigshafen. Er gibt sein Debüt bei Enjoy Jazz. Vielleicht ein bisschen spät, denn im Dezember wird Wadada Leo Smith schon 84. Im Gesellschaftshaus der Ludwigshafener BASF kommt eine Guru-artige, Respekt gebietende Erscheinung auf die Bühne, lange graue Rastalocken inklusive.
An die 60 Jahre ist es her, dass Smith, aus Mississippi stammend, in Chicago der AACM beitrat, die dem „Advancement“ kreativer Musiker gewidmet war und ist. Also der Förderung der Avantgarde. Anthony Braxton war ein früher Mentor des Trompeters. Um den (Post-)Freejazzer Smith wurde es seither manchmal etwas ruhiger, aber seinen Idealen abgeschworen hat er nie. Von einem matten, mürben Altersstil ist nichts zu spüren. Seine Kreativität scheint ungebrochen.
Auch beim Enjoy-Jazz-Konzert in Ludwigshafen, nur Smith‘ Sprechstimme wirkt etwas brüchig. Doch sein Tonansatz auf der Trompete ist noch immer felsenfest und sicher, das klingt kantig, kernig, manchmal sogar aufbrausend. Es passt hervorragend zum Titel seiner neuen Duoplatte mit dem Pianisten Vijay Iyer, der auch im Gesellschaftshaus die Bühne mit ihm teilt: Die Aufnahme nennt sich „Defiant Life“ und möchte Wut und Trotz bekunden angesichts des Zustands dieser Welt mit ihren Katastrophen und Gewaltsamkeiten.
Bei Vijay Iyer und Wadada Leo Smith ist oft ein latenter Requiem-Charakter zu hören
Manchmal kann das allerdings fast sprachlos machen, und die Wut schlägt dann in Trauer um. Dann stöhnt Wadada Leo Smith‘ Trompete wie verwundet. Ein latenter Requiem-Charakter ist des Öfteren zu registrieren, manchmal ist er einzelnen Personen zugeeignet, wie das „Floating River Requiem“ für die Symbolfigur der Unabhängigkeitsbewegungen in Afrika, Patrice Lumumba. Und vielleicht wird auch des eben erst verstorbenen berühmten Schlagzeugers Jack DeJohnette gedacht – den Smith und Iyer sehr gut kannten.
Doch in all dem Dunkel finde sich ein großes Reservoir an Energie, erklärt der Pianist. Die dringt auch unwirsch an die Oberfläche, insbesondere, wenn Iyer das akustische Klavier bedient, besitzt der Jazz von heute, an der Schnittstelle zur zeitgenössischen Musik, durchaus noch „Avantgarde“-Furor.
Aber der Pianist setzt auch viel (Tasten-)Elektronik ein, die flächig, atmosphärisch und ein bisschen „spacig“ anmutet, um kurz darauf in erdig warme, irgendwie doch ziemlich analoge E-Piano-Wohlfühlsounds zu gleiten. Herzschlagtöne, Puls und Atem sind fast körperlich zu fühlen.
Dabei ist das Spielverständnis zwischen Smith und Iyer in den mehr als 20 Jahren, die sie sich schon kennen, vollends blind geworden. Jeder weiß vom jeweils anderen, was er als Nächstes, wenn nicht Übernächstes tun wird. Und auch das mag dazu beitragen, dass im Verlauf des Abends im Gesellschaftshaus die Stücke eher mehr als weniger von Schönheit künden. Statt von Wut und Trotz.
Wo nehmen Smith und Iyer ihre Hoffnung her? Vielleicht kann das ein „Artist Talk“ am Ende des Konzerts aufklären, den die Radiojournalistin Sarah Seidel führt. Wadada Leo Smith erklärt, er glaube eben an die schiere Macht der Liebe als die Urkraft allen Seins. Schon vor dem Urknall sei sie dagewesen. Vijay Iyer scherzt: „Da sagt er solche Sätze - und drückt einfach mir das Mikro in die Hand.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-so-war-das-konzert-von-vijay-iyer-und-wadada-leo-smith-in-ludwigshafen-_arid,2337391.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/firmen_firma,-_firmaid,20.html