Schauspiel

„Shame“ im Pfalzbau Ludwigshafen: Eine Begegnung mit sich selbst

Das Junge Ensemble Stuttgart zeigt im Ludwigshafener Pfalzbau das Musical „Shame“. Das Publikum folgt den Darstellern gebannt ins Museum der Gefühle.

Von 
Susanne Klinger
Lesedauer: 
Gar nicht so leicht zu verstehen - sowohl die Kunst als auch die eigenen Gefühle. Das Junge Ensemble Stuttgart zeigt das Musical "Shame". © Dominique Brewing

Mannheim. Banksys Balloon Girl und Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes. Kunstmuseumsbesuch mit Arbeitsauftrag ohne Lehrperson. Vier Jugendlichen von der Schule aufgezwungen. Die leuchtende Schreibschrift „Cringe“ passt auf die Stimmung von Samira, Birte, Bulli und Elvis. „Der Zugang zum Museum ist so viel komplizierter als der zu euren Gefühlen“, weiß der Museumswärter (Maximilian Schaible) und verteilt Klemmbretter, auf denen die Kids ihre Gedanken festhalten sollen, die aus dem Dialog mit der Kunst entstehen. Hä? Wer ich bin? „Hallo Bild!?“ Ein Penis. „Oh mein Gott.“ Mädchen mit Perlenohrring. „Ich liebe Schmuck, bin aber allergisch. Womöglich wird mein Text laut vorgelesen. Wie peinlich ist das denn?“

Junges Ensemble Stuttgart bringt Gefühlschaos auf den Punkt

JES, das Junge Ensemble Stuttgart, bringt das adoleszente Gefühlschaos angesichts frustrierender Identitätssuche und verwirrend erster Liebe genau auf den Punkt. Im Pfalzbau war „Shame“, das Musical von Kirsten Fuchs und David Pagan, im Rahmen des „Theaterfrühling Ludwigshafen“ jetzt vor entsprechend jungem Publikum zu erleben. Das die zumeist tabuisierten Gefühle gebannt wiedererkennt. Nur von spontanem Szenenapplaus unterbrochen, folgt man den Schülern auf der Bühne ins imaginäre Museum. Wo die „Kunst“, personifiziert in der berühmten roten Anita Berber von Otto Dix, im Gedankenaustausch mit den Kids eine Reise in die persönliche Selbstsuche initiiert. Erfolgreich. Die vier verlassen das Museum verändert, selbstbewusster, vielleicht sogar ein wenig gereifter.

Wenn Unsicherheiten auf der Bühne sichtbar werden

Svea Kirschmeier hat nicht nur die musikalische Leitung, singt, tanzt und spielt, sondern treibt die Handlung voran, indem sie als Kunstfigur immer wieder aus dem Rahmen hervortritt. Der verschüchterten Birte (Daniela Ruocco) hört sie geduldig zu, wenn die gesteht, dass die Wörter in ihrem Kopf festhängen und sich dort dann vor aller Augen ein Alptraumkino mit tausend Missgeschicken abspielt. Auch Bulli (Lola Merz Robinson) schämt sich in Grund und Boden, weil er das ungute Gefühl hat, von allen immer angeschaut zu werden. Wer hätte solche Qualen noch nie empfunden? Jetzt endlich werden sie ausgesprochen. Die an sich selbstbewusste Sami (Estelle Schmidlin) kämpft mit Schmetterlingen im Bauch, der coole Elvis mit Kapuze (Gerd Ritter) weiß auch noch nicht so recht, wo’s langgeht. Ganz normale Kids halt.

Mehr zum Thema

Theaterfrühling Ludwigshafen

„Archipelago“ stellt im Pfalzbau kindgerechte Fragen

Veröffentlicht
Von
Christina Altmann
Mehr erfahren
Geschichte

Ludwigshafener Eberthalle: Ein Magnet für Rock- und Schlagerfans

Veröffentlicht
Von
Thomas Schrott
Mehr erfahren
Musiktheater

Astrid Vosberg vom Pfalztheater Kaiserslautern bei „Chicago“ in Passau

Veröffentlicht
Von
Ralf-Carl Langhals
Mehr erfahren

David Pagans poppig-rockiger Score kleidet die so unsagbaren wie unsäglichen Emotionen in elf eingängige musikalische Porträts, die vier Studierende der Popakademie Mannheim (Klavier, Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang) mal einfühlsam, mal mitreißend umsetzen: instrumental begleitender Sprechgesang, Hip-Hop-Nummern wie „Ich bin so peinlich“, das perfekt getanzte Tango-Duett „Denk um die Ecke und denk die Ecke weg“, rappige Ensembles wie „Ich bin ich“, gefühlige Musical-Duette („Eis essen“, „Brücke“).

Mit leichter Hand und gut gearbeiteten Dialogen führt Regisseurin Grete Pagan die authentisch wirkenden Sängerdarsteller in ihren uniformierten blauweißen Bomberjacken. Nur nicht auffallen! Praktikabel und ästhetisch das Bühnenbild mit verschiebbarem Bilderrahmen (Ausstattung: Caroline Stauch). Für junge Leute wird „Shame“ zur durchaus hoffnungsvollen Begegnung mit sich selbst.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen