Mannheim. Es klingt dramatisch: „Im Zuge eines Zusammenbruchs hat Max Gruber den Soloartist Drangsal gekillt und die Band Drangsal gegründet“, heißt es in der Pressemitteilung zu „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“, dem vierten Album des Indie-Popstars aus Herxheim bei Landau. Das Werk mit 17 Songs erscheint am Freitag, 13. Juni, und ist nicht nur besetzungstechnisch völlig anders als seine hochgelobten Vorgänger. Da ist zuerst einmal der epische Titel, bewusst ohne Kommasetzung, der nach „Harieschaim“ (2016), „Zores“ (2018) und dem ersten Top-Ten-Album „Exit Strategy“ (2021) besonders ins Auge stickt. Der erste Song „Love will See“ beginnt mit einer in jeder Hinsicht dunkel gestimmten Querflöte – ein Vorbote für ungewohnt opulente, fast durchgehend organische Instrumentierung. Das ist eine Herausforderung für Drangsal-Fans, die an forsche Synthie-Pop-Kaskaden voller popkultureller Referenzen und hinreißender Refrains gewöhnt sind. Letztere gibt es immer noch. Aber Drangsal ist jetzt nun mal kein Einzelinterpret mehr und hat den Kreativdruck auf mehrere Schultern verteilt.
Neue Songs waren beim letzten Maifeld Derby zu hören
Das war beim letzten Maifeld Derby vor einer Woche in Mannheim zu bewundern, als Max Gruber sich inmitten einer sechsköpfigen auf der Bühne pudelwohl zu fühlen schien. Und der 31-Jährige hat offensichtlich Zutrauen zum neuen Material: Fünf der zehn Songs des Festival-Sets stammen vom neuen Werk - „Die satanischen Fersen“ (in dem der Albumtitel quasi als Refrain auftaucht) , „Hab Gnade!“, „Pervert The Source“, „Bergab“ und „Mein Eid“. Nur drei davon konnte das Publikum schon über die Streaming-Dienste kennen. Sie funktionierten trotzdem, weil die ausgesuchten Nummern meist druckvoll und eingängig wirken.
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„Die satanischen Fersen“ kommt zum Beispiel bisher typischen Drangsal-Fan-Favoriten wie „Turmbau zu Babel“. „Pervert The Source“ läuft dagegen auf einem dominanten Wave-Basslauf auf ein sphärisches Jazz-Techno-Funk-Intermezzo mit Saxophon zu, das abrupt endet – hier lassen Level 42 oder The Style Council grüßen. Das altvertraut nach vorne startende „Bergab“, das auch mit einem überraschenden Instrumental-Part voller origineller Streicher aufwartet, ist eine muntere Selbstanalyse (von mehreren): „Glaube, Liebe, Hoffnung / Holt uns hier nicht raus / Den Käfig, in dem wir leben, haben wir uns selbst gebaut / Glaube, Liebe, Hoffnung / Ach, hör mir damit auf / Die Hand rund um unsere Kehlen – ein – und dieselbe Haut. / Aus Traum wird Trauma / Bergab, es geht bergab …“
Statt Synthesizer-Sounds und kühlen Kunst-Drums dominieren Gitarre und Klavier, im Einzelfall sogar nah an Blues, Funk und Gospel. Dazu gibt es Orgel, Klavinet, Cembalo, Xylophon, Violine, Cello, Chöre, Technobeats – und besonders unerwartet die von Ralph Heidel gespielten Querflöte und Saxophon. Im Kern besteht Drangsal nun aus Sänger und Texter Max Gruber. Die Last der restlichen Kreativität teilt sich der Wahl-Berliner mit Lukas Korn und Marvin Holley. Was wohl auch möglich wurde, weil der Frontmann mit All-Star-Projekten wie Die Benjamins und Die Mausis inspirierende Erfahrungen in All-Star-Kollektiven gesammelt hat.
Im Kern ist Drangsal jetzt ein Trio mit Gruber, Korn und Holley
Korn ist Gitarrist und Produzent, spielt bei Lyschko und seit 2020 Bass in der Drangsal-Liveband. Holley hat Jazz- und klassische Gitarre sowie Komposition in Stuttgart und Wien studiert, arbeitet mit Sam Vance-Law oder Fil Bo Riva und für Film und Theater. Was dieses Trio an vermeintlichen Demos mit „richtigen“ Instrumenten aufnahm, erklärte Hauptproduzent Max Rieger (Die Nerven) sehr kurzentschlossen zum fast fertigen Album. Eine gute Entscheidung, auch wenn man mit diesem warmen Sound eine Weile warmwerden muss.
Doch des Pudels Kern bleibt ja gleich: Grubers Stimme, seine charakteristische Intonation, die Achterbahn seiner persönlichen und professionellen Entwicklung. Aber auch hier vollzieht sich eine allmähliche Metamorphose, denn der lange einfach drauflos singende Indie-Popstar macht seit zwei Jahren eine klassische Gesangsausbildung zum Countertenor. Die höchsten Höhen peilt er in den 17 neuen Songs zwar nur selten an. Aber generell singt er akzentuierter, noch etwas effektvoller und interessanter. Da bleibt wenig zu Mäkeln bis auf ein paar Wiederholungen zu viel am Albumanfang und die Tatsache, dass die nächste Tour an seiner Heimatregion bislang vorbeigeht. Unter dem Motto „Verbrannte Erde“ spielt die Band Drangsal unter anderem am 25. September im Stuttgarter Wizemann, am 26. im Frankfurter Zoom und am 27. Im Bürgerhaus Stollwerck in Köln. An diesem Wochenende waren und sind sie bei Rock am Ring und im Park zu Gast. Karten unter eventim.de
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