Mannheim. Der letzte nachhallende Gitarrenton der Band Bilderbuch klingt um Punkt 22 Uhr im Palastzelt aus und markiert, man muss das so sagen, das Ende einer Ära: In diesem Moment ist das Maifeld Derby Geschichte geworden - das letzte Konzert der letzten Ausgabe des Indie-Festivals auf dem Mannheimer Maimarktgelände ist vorbei.
Es ist eine mit exzessiver Rock-Energie aufgeladene Version ihres Hits „Spliff“, mit dem die vier Österreicher hier nach einer fulminanten Show den Schlusspunkt setzen. Zuvor verleiht Sänger Maurice Ernst seiner Hoffnung Ausdruck, „dass Deutschland und Österreich und dieser ganze mitteleuropäische Raum auf alternative Festivals wie das Maifeld Derby bitte aufpasst. Wir sind froh, dass so etwas existiert.“ Für Mannheim steht diese Freude wohl nun im Präteritum.
Sonntags so viele Gäste wie nie beim Maifeld Derby
Eine gewisse Sentimentalität ist am buchstäblich letzten Festival-Tag zu spüren. Viele Gespräche drehen sich um eine mögliche Rückkehr von Timo Kumpfs Festival. Auffällig ist: Noch nie war ein Sonntag beim Derby so gut besucht – ausverkauft mit 5000 Gästen, wie die beiden Vortage. An allen drei Abenden ließ das Interesse trotz Hitze oder Unwetter nie rapide ab – viele wollten offenbar jede Minute auskosten. Davon profitierten die Nachtschichtler wie DJ Koze oder Tukan.
Bereits vor dem Bilderbuch-Finale liefert auch der abschließende dritte Veranstaltungstag also keinen gemütlich ausklingenden Sonntags-Konzertbummel, sondern eine ganze Reihe denkwürdiger Auftritte. Als ziemlich eindrucksvoll erweist sich etwa, was die britische Gruppe Deadletter zur nachmittäglichen Stunde im Palastzelt servieren: Der expressiv performende Sänger Zac Lawrence hat offenkundig seinen Ian Curtis und Iggy Pop genau studiert und treibt zusammen mit seiner Band einen vehement-wuchtigen Post-Punk durch den Saal.
Wo Deadletter eine noch sehr junge Gruppe ist, haben die 2015 gegründeten Porridge Radio Anfang des Jahres angekündigt, sich aufzulösen zu wollen. Schlagzeuger Sam Yardley habe gerade angemerkt, „dies könnte die letzte Show sein, die wir jemals in Deutschland spielen“, sagt Sängerin Dana Margolin auf der Open-Air-Bühne, deren ausdrucksstark-larmoyanter Gesang vom lakonischen Indie-Rock ihrer Mitmusiker in Violent-Femmes- und Pixies-Tradition aufs Schönste umspielt wird. Man wird Porridge Radio schmerzlich vermissen.
Das dänische Trio Efterklang lotet zwischen versponnen-folkigen Klängen, Sphären-Reisen, Vocoder-Akzenten und Psychedelic-Rock-Elementen ein bestechend weites avantgardistisches Feld aus. Zum Abschluss begeben sich die Drei von der Freiluftbühne mitten ins Publikum, das auf den Boden Platz nimmt und in der akustischen Version von „Getting Reminders“ den Chorgesang übernimmt: Auch diesem Moment wird man so schnell nicht vergessen.
Nilüfer Yanya ist längst kein Alternative-Rock-Geheimtipp der Londoner Szene mehr. Mit „My Method Actor“ legte die Sängerin und Gitarristin vergangenes Jahr ein exzellentes viertes Album vor, dessen Coolness bei gleichzeitiger melodischer Zugänglichkeit die Engländerin und ihre Band auch live auf der Open-Air-Bühne eindrücklich zum Klingen bringen.
Drangsal ruft dem Maifeld Derby zu „Ruhe in Frieden“
Wohl kaum jemandem wird man Max Gruber vorstellen müssen, den Kopf hinter dem Indie-Pop und New-Wave-Projekt Drangsal - insbesondere nicht der Regionalbevölkerung, schließlich stammt der Musiker aus Herxheim. Zusammen mit seiner Band operiert er auf der Palastzelt-Bühne stürmisch und rauschhaft-rockig („Life Is A Killer“), taucht bisweilen in düstere Gefilde ein, um dann wieder eine helle, an Vorläufern wie Die Ärzte geschulte Belcanto-Punk-Strahlkraft aufleuchten zu lassen („Schnuckel“). „Rest in Peace“, wird er dem Festival zurufen: Ruhe in Frieden.
Olli Schulz ist vieles: Schauspieler, Moderator, Satiriker, Podcaster. Aber vor allem scheint er mit jeder Faser seinen Daseins Musiker zu sein. Die Kraft, Intensität und Spiellust, mit der Sänger und Gitarrist im Verein mit seiner Band am frühen Abend die Palastzelt-Bühne für sich einnimmt, ist jedenfalls mindestens umwerfend. Der schwingende Pop von „Dann schlägt dein Herz“, der Hip-Hop von „Passt schon“, der stiebende Country von „Die Ankunft der Marsianer“, die leidenschaftliche Sentimentalität von „So schreibt man seinen Song“: Ein großer Auftritt.
Große Auftritte gibt es am Sonntag auffallend viele, vor allem von sogenannten „kleinen Künstlern“ – als ob Veranstalter Timo Kumpf es seiner Derby-Gemeinde besonders schwer machen wollte, loszulassen. So kam jeder, der die 60-jährige Solomusikerin Beatrice Graf mit ihrem Kofferschlagzeug entdeckt hatte, nicht aus dem Schwärmen heraus. Nicht ganz so extrem wie bei der Schweizerin, aber ähnlich euphorisch waren die Reaktionen auf die Songwriter-Kunst der englischen Band Getdown Services und den umwerfenden norwegischen Sänger und Gitarristen Beharie. Was der mit Rocker-Kutte bewehrte Joe Love mit seiner Londoner Techno-Punk-Band auf der kleinen Arena-Bühne neben dem Reitstadion bis zum Festivalende abreißt, ist buchstäblich Wahnsinn. Und ein perfekter Kontrapunkt zum Bilderbuch-Finale im Palastzelt. Speziell auch wie dieser Tag begonnen hat - mit Station 17 aus Hamburg, einer der wenigen über Jahre aktiven inklusiven Bands der Republik.
Der Hashtag #maifelderbye wird geprägt
Danach bleibt der zentrale Platz des Derbys noch eine Weile belebt. Timo Kumpf verzichtet auf große Ansprachen. Die Derbyaner, die sich teilweise mit T-Shirt- und Banner-Aktionen beim Veranstalter bedankt machen Gruppenfotos und verweilen noch eine Weile an den Getränke- oder Essensständen. Der Hashtag maifeldderbye wird geprägt. Loslassen fällt schwer, auch wenn der Abschied schön war.
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