Schillertage

„Mannheimer Räuber*innen“ erobern den Käfertaler Wald

Das Festival dringt mit dem Stadtensemble in das Dickicht vor der Stadt. Schillers Drama wird blutig fortgesetzt.

Von 
Ute Maag
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Mannheimer Räuber*innen..eine Fortschreibung von Leo Lorena Wyss und dem Mannheimer Stadtensemble..Auftragswerk | Uraufführung.. ..Regie: Beata Anna Schmutz..Bühne & Kostüm: Susanne Hiller..Licht: Cedric Wilhelmy..Sounddesign: Friedrich Byusa Blam..Dramaturgie: Annabelle Leschke..Organisation: Lukas Renner..Inhaltliche Mitarbeit & Recherche: Zita Hoefer.. .. © Natalie Grebe

Mannheim. Der Wald bietet eine Fülle von Assoziationen: grüne Idylle, geheimnisvolles Dickicht, Angst- ebenso wie Schutzraum, Welt der Tiere und ihrer Jäger, Heimat, Verwurzelung.

Drei Kinder führen das Publikum mitten hinein in diesen Resonanzraum, auf eine Lichtung im Käfertaler Wald, an den, so sagen es die Kinder im Chor, „Beginn einer Geschichte, die nach und nach aus unseren Mündern dringt“, „die sich nach und nach um unsere Körper schlingt.“

Hier, an diesem „Spielplatz“, schreibt das Mannheimer Stadtensemble mit dem Stück „Mannheimer Räuber*innen“ gemeinsam mit Leo Lorena Wyss Schillers 1782 in Mannheim uraufgeführtes Drama „Die Räuber“ fort. Wyss, Nestroy-preigekrönt und aktuell Hausautor*in am Nationaltheater, beerbt also den Nestor aller NTM-Hausautorinnen und-autoren mit einer weiteren Uraufführung, die als Auftragswerk für die 23. Internationalen Schillertage entstand.

Hausautor*in führt Schillers Drama blutig fort

Der Text nimmt in rhythmischer, kraftvoller Sprache zahlreiche Bezüge auf das Original, bürstet dieses aber durch den radikalen Wechsel von der männlich-weißen hin zu feministischen, queeren und migrantischen Perspektiven kräftig gegen den Strich.

Die dominierende Farbe in der Freiluft-Arena (Bühne und Kostüme: Susanne Hiller) ist Blutrot: Baumstämme sind mit roten Bändern umwickelt, von hohen Ästen hängen rote geknotete Laken herab, auch der Hochsitz ist rot lackiert.

Dominant sind auch die Frauenrollen: Zehn weiblich gelesenen Akteuren steht ein einziger männlicher Darsteller gegenüber: Karl, „unser Protagonist“, dessen oft erzählte Geschichte hier ein neues Narrativ erhält. Vom idealistischen, freiheitsliebenden und schuldeinsichtigen Rebellen bleibt wenig übrig.

Der Karl im Käfertaler Wald ist auch Franz, auch Spiegelberg, ein Stereotyp des toxischen Mannes, der vielleicht gar keiner sein will: ein Faltenrockträger, sicher kein Überflieger, der – die Geschichte der Kurpfalz lässt grüßen – einen Wald als Jagdgebiet anlegt und sich das Wild vor die Flinte treiben lässt.

Karl Moor ist ein Jäger - und vieles mehr...

Ein Jäger, der sich (Achtung Triggerwarnung!) in einer sehr explizit und aufwühlend gespielten Szene mit Gewalt eine Frau nimmt und ihren Körper schultert wie ein Stück erlegtes Vieh. Ein Vergewaltiger, der – so berichtet es eine der Darstellerinnen in Schillers Original-Wortlaut - ein Kloster überfällt und das Greuel für einen „Spaß“ hält. Und dessen Geschichte nun auserzählt sein soll, um anderen Geschichten Platz zu machen.

Zum Beispiel der Geschichte der einzigen Frauenfigur in den Original-Räubern: Amalia. Bei Schiller treu, liebend und passiv, bricht die Amalia der Gegenwart mit der gängigen Erwartung an klassische deutsche Dramen. Fort also mit der Frau als Fußnote, „eine von uns stirbt immer“, soll von nun an nicht mehr gelten. Niemand drückt ihr mehr die Worte auf die Zunge, „so wie der Pastor dem Mädchen die Oblate an den Gaumen drückt“.

Mannheimer Räuber*innen im Waldeinsatz - eine Fortschreibung von Leo Lorena Wyss und dem Mannheimer Stadtensemble, die als Auftragswerk in der Regie von Beata Anna Schmutz zur Uraufführung kam. © Natalie Grebe

Zur Erarbeitung der „Mannheimer Räuber*innen“ haben Leo Lorena Wyss und Beata Anna Schmutz, die Leiterin des beeindruckend aufspielenden Mannheimer Stadtensembles und Regisseurin des Stücks, biografische Interviews mit den Darstellenden geführt.

Auch während der Proben wurde offenbar heftig und emotional diskutiert. Entsprechend breit und bisweilen auch verwirrend ist die Themenfülle, die sie in die 90-minütige Handlung packen. Kindheitserinnerungen, Kriegs- und (sexualisierte) Gewalterfahrungen, innerfamiliäre Konflikte und transgenerationale Traumata kommen zur Sprache.

Zahlreiche Bezüge aus der Popkultur

Fragen nach Prägung, Herkunft oder Umgang mit Erwartungen werden aufgeworfen. Daneben bedient sich Wyss zahlreicher Referenzen aus der Popkultur wie dem Song „Toxic“ der Chemnitzer Indie-Pop-Band „Blond“, die Patin steht für die Metapher vom wuchernden Pilz, der von Karl Besitz nimmt, und dem Film „Sister Act“, der mit „I will follow her“ eine Hymne der Selbstermächtigung liefert.

Auch ChatGPT hat mitgewirkt. „Anfrage vom 19. Februar 2025: Fasse mir die Räuber von Friedrich Schiller in sechs Worten zusammen“, heißt es zu Beginn des Stücks. Die Antworten der KI würgen die Frauen hervor: „Freiheit, Heimat, Liebe, Schuld, Brüderschaft und Verrat.“

Aber, die Frage sei erlaubt: Sind das nicht ziemlich deckungsgleich die Themen, die die Mannheimer Räuber*innen in den von ihnen geforderten Geschichten verhandelt wissen wollen?

Womöglich sind es also gar nicht Schillers Themen, die aus der Zeit gefallen sind. Es sind die Protagonistinnen und Protagonisten, die im Heute und für die Zukunft ergänzt werden müssen, und die Blickwinkel, aus denen ihre Geschichten erzählt werden. Idealerweise von ihnen selbst. Und von uns allen.

„Mannheimer Räuber*innen“

In „Mannheimer Räuber*innen“ schreibt NTM-Hausautor*in Leo Lorena Wyss gemeinsam mit dem Stadtensemble Friedrich Schillers 1782 in Mannheim uraufgeführtes Drama „Die Räuber“ fort.

Regie führt Beata Anna Schmutz , die Inszenierung thematisiert sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung und Krieg.

„Spielplatz“ ist eine Lichtung im Käfertaler Wald nahe dem Wasserwerk .

Alle Vorstellungen im Rahmen der Schillertage sind ausverkauft. Für die weiteren Aufführungen am 24., 25., 26. und 27. Juli jeweils um 20 Uhr im Käfertaler Wald sind Tickets zum Preis von 20 Euro (ermäßigt zehn Euro) an der Theaterkasse, Telefon 0621/1680-150, oder online über www.nationaltheater-mannheim.de erhältlich.

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