Interview

Mannheimer Produzent Jules Kalmbacher: „Ich sehe mich als Sparringspartner“

Der erste Gewinner des Popländ-Awards in der Kategorie Producing spricht über seinen größten Hit und den Karrierestart mit Hilfe von Xavier Naidoo.

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Produzent Jules Kalmbacher hat u.a. mit Mark Forster, Jazeek, Xavier Naidoo, Imagine Dragons und Jamie Cullum gearbeitet. © Phil Hessler

Mannheim. Vom Praktikanten zum Nummer-Eins-Produzenten: Dieses Musikmärchen hat der Odenwälder Jules Kalmbacher vor 13 Jahren im Studio von Michael Herberger und Xavier Naidoo geschrieben. Inzwischen zählt der 35-Jährige zu den erfolgreichsten Produzent, Songwritern und Filmkomponisten der Republik. So war es keine Überraschung, dass der Mitgründer des Mannheimer Labels Good Kid Records am 16. November in der Alten Feuerwache als einer der ersten drei Preisträger des neuen Popländ Awards ausgezeichnet wird.

Herr Kalmbacher, herzlichen Glückwunsch zum ersten Popländ Award. Was bedeutet so eine neue Auszeichnung für einen derart erfolgreichen Produzenten wie Sie es seit zwölf Jahren sind?

Jules Kalmbacher: Ich habe mich wirklich sehr gefreut, muss ich sagen. Mir wurde mal von der Popakademie zugerufen, dass es einen neuen Preis geben soll, bei dem auch Producing berücksichtigt wird und dass sie es cool fänden, mich dafür vorzuschlagen. Da habe ich mich natürlich geschmeichelt gefühlt und das gerne angenommen, aber ehrlich gesagt dann nicht mehr richtig verfolgt. Plötzlich bekam ich morgens einen Anruf – ich dachte erst, jemand will mir ein Auto verkaufen (lacht). Am Telefon war dann Staatsekretär Arne Braun aus dem Kunstministerium, der mir gratuliert hat. Ich habe mich wirklich total gefreut. Klar, ich bin durch die vielen Jahre auch ein bisschen erfolgsverwöhnt, habe immer mal wieder eine goldene Schallplatte bekommen. Aber das ist jetzt ein Preis vom Land Baden-Württemberg – da sind viele Leute beteiligt, denen ich auch viel zu verdanken habe, zum Beispiel der Popakademie. Ohne so eine Institution wäre ich bestimmt nicht da, wo ich bin. Also nehme ich das als eine warme, herzliche Anerkennung gerne an.

Eindrucksvolle Sammlung: Jules Kalmbachers Sammlung von Nummer-eins-Awards. © Phil Hessler

Wie viele Goldene oder Platin-Schallplatten haben Sie schon im Regal?

Kalmbacher: Ich kann es nicht auf die genaue Zahl sagen, aber es sind auf jeden Fall über fünfzehn. Langsam wächst aber auch die Sammlung an Nummer-eins-Awards. Die kommen von der GfK aus Baden-Baden, immer wenn man Nummer eins in den Single- oder Albumcharts erreicht hat. Davon habe ich jetzt auch schon elf Stück. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit Ihnen vor Jahren, da haben Sie gesagt: „Irgendwann ist die Wand voll.“ So langsam stimmt das tatsächlich. Viele schöne Erinnerungsstücke – und jetzt noch so ein Preis, das ist einfach eine schöne Anerkennung.

Deswegen schmunzle ich manchmal selbst, wenn ich bei einem Konzert mit 12.000 Jugendlichen bin und die singen den Song komplett mit.

Was würden Sie selbst als Ihre fünf erfolgreichsten Veröffentlichungen bezeichnen?

Kalmbacher: Das könnte man theoretisch nach Umsatz ausrechnen, aber wenn ich an die Strahlkraft denke, ist mein jüngster Erfolg wohl am bemerkenswertesten: dieses Jahr der Song „Akon“ von Jazeek, den ich mit Menju, Jazeek und Jens Schneider gemacht habe. Der war vier Wochen auf Platz eins der Singlecharts und ist auf dem besten Weg, innerhalb eines Jahres 100 Millionen Streams zu knacken. Das ist wahrscheinlich mein erfolgreichster Song, wenn man es auf die Zeitspanne betrachtet. Dann gab es natürlich in den Jahren davor auch große Songs – zum Beispiel Mark Forsters „Sowieso“ ist ein Evergreen geworden, der immer noch oft für Kinofilme oder Schulbücher lizenziert wird. „Auf das, was da noch kommt“ war ein großer Song mit Max Giesinger und Lotte, noch aus der „Radio-Ära“. Es gab immer wieder Nummern, die herausstachen. Aber die „Akon“-Nummer ist auch deshalb besonders, weil wir mit Jazeek einen ganz jungen Künstler seit zwei, drei Jahren auf dem Label haben, der sich rasant nach oben gespielt hat.

Und ein Rapper wie 1986zig, der lange der erfolgreichste Act bei Good Kid Records war.

Kalmbacher: Ja. Dabei bin ich ja eigentlich nicht der umtriebigste Hip-Hop-Produzent. Deswegen schmunzle ich manchmal selbst, wenn ich bei einem Konzert mit 12.000 Jugendlichen bin und die singen den Song komplett mit. Das ist schon krass, wie sich das entwickelt hat.

Jules Kalmbachers Mannheimer Arbeitsplatz bei Good Boy Records. © Phil Hessler

Viele können sich unter der Arbeit eines Produzenten wenig vorstellen. Die Arbeit wird gern mit der von Filmregisseuren verglichen. Trifft das auch auf Sie zu?

Kalmbacher: Ich sehe mich oft als Sparringspartner für Künstlerinnen und Künstler. Ich passe meine Rolle je nach Art der Zusammenarbeit an. In erster Linie bin ich dabei Musiker: Ich schreibe Songs, spiele Instrumente, und als Produzent ist es meine Aufgabe, alles gut klingen zu lassen – genretypisch, professionell, handwerklich auf höchstem Niveau. Es gibt auch eine technische Komponente. Wenn ich es jemandem auf der Straße erklären müsste: Ich sitze acht bis zwölf Stunden am Tag mit Künstlern im Studio, wir denken uns Songs aus und nehmen sie auf. Manchmal bin ich nur der Freund, der sie durchcoacht, auch auf einer psychologischen oder mentalen Ebene. Dann helfe ich ihnen, Themen zu finden, die ihnen wichtig sind. Manchmal bin ich auch der strenge Fußballtrainer, der sagt: „Da geht noch was! Lass uns noch einen Take machen, ich glaube, da ist noch mehr drin.“ Es ist eine Mischung aus Fordern und Fördern, um die beste und emotionalste Performance einzufangen.

Sie spielen aber auch viele Instrumente selbst ein, richtig?

Kalmbacher: Genau, ich mache den ganzen Tag auch selbst Musik.

Jemand wie der Pfälzer Mark Forster hat es geografisch nicht weit zu Ihnen nach Mannheim, im deutschen Pop kennt ja ohnehin fast jeder jeden. Aber wie kommen zum Beispiel internationale Acts wie Imagine Dragons auf Sie?

Kalmbacher: Mit denen habe ich vor sechs, sieben Jahren eine sogenannte „Remix-Produktion“ gemacht. Das ist eine Praxis, bei der Bands aus den USA oder England, wenn sie in Deutschland auf den Markt wollen, eine neue Version ihres Songs anfertigen lassen. Die Plattenfirma fragt dann Produzenten wie mich, ob wir den Song an die hiesigen Marktgegebenheiten anpassen können – zum Beispiel Arrangement, Timing, Sound. Aber das mache ich nur mit positivem Feedback der Band und des Managements, auch für Jamie Cullum und andere. Das ist natürlich etwas anderes, als wenn ich mit einem Künstler von Grund auf im Studio arbeite. Aber es ist spannend, auch mal mit internationalen Kollegen an Spuren zu arbeiten.

Gibt es dabei große Unterschiede zwischen Märkten, etwa zwischen den USA, Großbritannien und Deutschland?

Kalmbacher: Es geht tatsächlich oft um Klanggewohnheiten oder das Arrangement. In den USA will man Songs oft „mittiger“ und lauter, während in Europa manches anders klingt. In Deutschland etwa möchte man schnell wissen, wann man mitklatschen kann, und stellt die Instrumente früh vor. Die Amerikaner und Briten gehen oft etwas filigraner ran. Manchmal macht man einen Song größer, manchmal poppiger, je nach Markt. Wichtig war mir aber immer, dass das in Absprache mit Künstlern oder zumindest der Plattenfirma geschieht, damit niemand das Gefühl hat, sein Werk wird verunstaltet.

Kalmbacher und die Award Show

  • Zur Person: Jules Kalmbacher wurde am 18. Oktober 1990 in Erbach geboren. Mit sechs Jahren bekam er ein Schlagzeug, ein Jahr später Klavierunterricht, die erste Gitarre mit 13. Kurz darauf hatte er seine erste Band. Schon als 17-Jähriger sammelte er Erfahrung im Peripherique-Studio der Krings-Brüder in Bad König. Nach dem Abitur 2010 studierte Kalmbacher Musikwissenschaft und Geschichte in Heidelberg, bewarb sich aber schnell an der Popakademie.
  • Zu Karriere: Als Singer/Songwriter wurde Kalmbacher nicht angenommen, dafür aber im Bereich Musikbusiness für das Wintersemester 2011. Als Praktikant im Studiokomplex von Michael Herberger und Xavier Naidoo 2012 produzierte, schreib und spielte er fast das komplette Nummer-eins-Album „Bei meiner Seele“ (2012) von Naidoo . Mittlerweile zählt Kalmbacher zu den erfolgreichsten Produzenten, Songwritern und Filmkomponisten im deutschen Pop. 2020 gründete er in Mannheim mit Moritz Schunk und Jens Schneider u.a. das Label Good Kid Records mit Künstlern wie Jazeek, ESC-Teilnehmer Isaak und Civo.
  • Zum Award: Der Popländ Award soll die Musikszene in Baden-Württemberg fördern und noch sichtbarer machen. Er wird am 16. November in Mannheims Alter Feuerwache erstmals vergeben, in den mit jeweils 10.000 Euro dotierten Kategorien Live-Act, Livemusik-Spielstätte und Producing . A usgezeichnet werden die Mannheimer Alternative-Rock-Band Nikra als Live-Act, Produzent Jules Kalmbache r und das Reutlinger Kulturzentrum Franz.K .
  • Zur Verleihung: Bei der ersten Popländ-Award-Show am Sonntag, 16. November, 18 Uhr, in der Alten Feuerwache werden neben der Preisverleihung Nikra ihre Live-Qualitäten unter Beweis stellen. Außerdem treten drei Acts aus dem Bandpool-Förderprogramm der Popakademie auf: Ottolien, Karo Lynn und Marlo Grosshardt. Der Eintritt ist frei . jpk

Gibt es in Baden-Württemberg derzeit überhaupt erfolgreichere Produzenten als Sie, die nicht zu den populären Marken Fanta Vier, Bausa oder PUR gehören?

Kalmbacher: Ja, das kann man schon sagen. Zum Beispiel mein Kollege Menju, mit dem ich auch die Akon-Nummer gemacht habe, arbeitet viel mit dem Rapper Dardan zusammen, der mittlerweile einer der größten deutschen Künstler ist. Dann gibt es Produzenten wie Cubeatz, die Zwillinge Kevin und Tim Gomringer aus dem Schwäbischen, die weltweit für Acts wie Travis Scott Samplemaker sind. Die liefern musikalische Skizzen, auf denen später Hip-Hop-Beats entstehen. Die haben weltweit erfolgreiche Songs. Baden-Württemberg ist also definitiv gut aufgestellt, was Musikproduzenten angeht. Der Fokus liegt zwar auf Stuttgart und Mannheim, aber es gibt überall Talente. Gerade auf der Beatcon in Berlin habe ich wieder einen jungen Producer aus Heidelberg kennengelernt, Yungpidi808, der richtig stark ist. Wir haben ihn gleich mal eingeladen. Es kommen viele gute Leute nach – die Frage ist eher, ob es Strukturen gibt, Talente vor Ort zu fördern. Das versuche ich auch, weil ich selbst von solchen Förderern profitiert habe.

Spielt Künstliche Intelligenz (KI) inzwischen eine Rolle für Sie?

Kalmbacher: Ich beschäftige mich viel damit. Man kann viele meiner Kollegen fast in zwei Gruppen einteilen: Die einen haben Respekt oder ein ungutes Gefühl, wenn sie sehen, wie gut die Ergebnisse inzwischen sind. Die anderen sehen die Chancen. Ich versuche, neugierig zu bleiben. Wir engagieren uns auch dafür, dass das Urheberrecht nicht vergessen wird – Jens und ich sind im Vorstand bei Verso, dem Verband der Songwriter in Deutschland, und versuchen, für die Rechte und Vergütung von Musikurhebern einzutreten.

Ein bislang ungelöstes Problem…

Kalmbacher: Das wird bei KI ein zentrales Thema: KI ist so gut, weil sie die Musik von Menschen analysiert und daraus lernt. Es sollte so sein, dass die, die das Material liefern, auch am Erfolg beteiligt werden. Wie das rechtlich und finanziell geregelt wird, ist die große Frage der Zukunft.

Im besten Fall ist KI ein toller Co-Songwriting-Partner: unendlich kreativ und braucht keinen Schlaf.

Ist der App-Store für Sie also interessanter als der Guitar Summit?

Kalmbacher: Auf keinen Fall – beides! Mein Beruf war schon immer eine Mischung aus technischer Neugier und künstlerischer Ebene. Im besten Fall ist KI ein toller Co-Songwriting-Partner: unendlich kreativ und braucht keinen Schlaf. Aber ob die Ergebnisse die emotionale Tiefe erreichen wie ein Song, an dem man zehn Stunden arbeitet, wird sich zeigen. Die Ergebnisse sind manchmal schon cool, aber es bleibt die Frage, wie es um die Vergütung steht. Musik ist geistiges Eigentum und das muss geschützt bleiben.

Wie werden Sie das Popländ-Preisgeld von 10.000 Euro verwenden?

Kalmbacher: Gute Frage – ich habe mich damit tatsächlich noch nicht beschäftigt und erst nach der Benachrichtigung so richtig verstanden, wie hoch das dotiert ist. Ich hätte mich auch ohne das Geld sehr gefreut, aber ich werde eine gute Verwendung dafür finden. Vielleicht spende ich es oder finanziere eine Produktion für jemanden, der sich das sonst nicht leisten könnte. Am Ende geht es nicht um persönliche Bereicherung, sondern darum, etwas Gutes damit zu machen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es damals einen anderen großen Künstler gab, der einem 21-Jährigen Praktikanten die Verantwortung für sein Album übertragen hätte.

Spielen Sie bei der Preisverleihung am 16. November in der Alten Feuerwache auch live?

Kalmbacher: Ich führe zumindest etwas vor. Mehr darf ich noch nicht verraten, glaube ich.

Und wir sprechen seit Jahren auch über die Veröffentlichung eigener Musik…

Kalmbacher: Ich habe mit meinem Freund Menju ein eigenes Projekt namens Neibour angefangen. Wir schreiben ständig Songs zusammen und haben jetzt aus Spaß einfach mal eigene Songs hochgeladen. Das kommt jetzt auch regelmäßig auf den Streaming-Diensten raus. So gehe ich schrittweise, wenn auch schüchtern, wieder der Liebe nach, selbst Musik zu veröffentlichen.

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Vor zwölf Jahren haben Sie als Musikbusiness-Student der Popakademie eine märchenhafte Geschichte geschrieben: Vom Praktikanten im Studio von Xavier Naidoo und Michael Herberger zum Produzenten des letzten Nummer-eins-Albums des umstrittenen Popstars. Ist das durchgängig eine gute Referenz gewesen?

Kalmbacher: Ich habe Xavier und Michel wahnsinnig viel zu verdanken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es damals einen anderen großen Künstler gab, der einem 21-Jährigen Praktikanten die Verantwortung für sein Album übertragen hätte. Das werde ich ihm nie vergessen.

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