Mannheim. Mit „Freisein“ von Joana Tischkau soll am Nationaltheater Mannheim in den kommenden eineinhalb Jahren ein semi-fiktionales Musical über einen deutschen Star of Color entstehen, ein Star, der – zunächst als antirassistisches Idol gefeiert – unter den Einfluss rechter Verschwörungsideologien gerate. Das Leben des Mannheimers Xavier Naidoo soll darin genau so eine Rolle spielen wie das von Kanye West. Schauspielintendant Christian Holtzhauer wird ein bisschen konkreter.
Herr Holtzhauer, Sie planen im NTM-Schauspiel nun ein Musical, bei dem das Leben Xavier Naidoos und Kanye Wests eine Rolle spielt. Wie kam es dazu?
Christian Holtzhauer: Wir hatten die Idee, ein Projekt über die Geschichte der Popmusik in Mannheim zu machen und wollten dafür auf die wirklich tolle Choreografin und Regisseurin Joana Tischkau zugehen. Und dann meldete sich Joana von sich aus bei uns und schlug uns ein Projekt vor über schwarze Popstars bzw. Popstars „of Color“, die unter den Einfluss von Verschwörungstheorien geraten. Mehr als diese Idee gibt es noch gar nicht, der Stücktext muss erst noch geschrieben werden. Inwieweit man am Ende Ähnlichkeiten zu lebenden Personen erkennen kann, werden wir sehen.
Aber welchen Bezug haben Sie, welchen die Choreografin zu Naidoo?
Holtzhauer: Für Joana Tischkau kann ich natürlich nicht sprechen, glaube aber, dass er für sie anfänglich schon eine Identifikationsfigur war. Ich selbst kenne seine Musik natürlich aus der Hochphase der Söhne Mannheims. Zu ihm persönlich habe ich gar keinen Bezug, sondern nur professionelle Neugier. Aber es geht ja auch gar nicht um Naidoo als Person, und auch nicht um Kanye West.
Sondern?
Holtzhauer: Joana Tischkau hat sich in ihren bisherigen Arbeiten mehrfach mit der Rolle, aber auch der Wahrnehmung Schwarzer bzw. als „Schwarz“ gelesener Personen in der Popkultur beschäftigt, von Michael Jackson bis Roberto Blanco. Ausgangspunkt für den Theaterabend, den wir in den kommenden anderthalb Jahren entwickeln wollen, ist die Frage: Was passiert, wenn schwarze Identitäten, Popkultur und reaktionäre Ideologien aufeinandertreffen? Wenn man bedenkt, wie wirkmächtig gerade die Bildsprache der Popkultur inzwischen ist, eine unglaublich spannende Frage. Trotzdem wird die Geschichte, die Joana erzählen wird, vor allem eines sein: Fiktion.
Ich denke, Sie treffen damit einen Nerv – gerade in Mannheim. Spannend wäre doch, mit dem Stoff eben andere Menschen als sonst zu erreichen. Wäre es mit Blick auf die Popularität Naidoos nicht sogar klug, die Sache konkreter zu machen, oder gibt das rechtliche Probleme? Stichwort: Persönlichkeitsrechte.
Holtzhauer: Na klar, konkret soll es werden, sowohl der Text als auch die Form – es wird auf jeden Fall ein Abend mit viel Musik. Und was die Persönlichkeitsrechte angeht: Wir interessieren uns für die mediale, also die öffentliche Figur Xavier Naidoo, nicht für die Privatperson. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass wir ja erst ganz am Anfang der Arbeit stehen. Wir wissen seit zwei Wochen, dass wir das Projekt machen können – dank einer Förderung durch den Bund. Jetzt geht die Arbeit los, und da werden die beteiligten Künstlerinnen und Künstler sich mit all diesen Fragen beschäftigen.
Holtzhauer und das Projekt
- Der Intendant: Christian Holtzhauer, geboren 1974 in Leipzig, studierte Musik- und Theaterwissenschaften in Berlin und Toronto und war von 2001 bis 2004 Mitglied der künstlerischen Leitung der Berliner Sophiensäle. Anschließend arbeitete er als Dramaturg und Projektleiter am Schauspiel Stuttgart und übernahm 2014 die künstlerische Leitung des Kunstfests Weimar. Seit September 2018 ist er Schauspielintendant und künstlerischer Leiter der Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim.
- Das Musical: „Freisein“ von Joana Tischkau soll ein semi-fiktionales Musical über einen deutschen Star of Color werden, wie das NTM neulich mitteilte, ein Star, der – zunächst als antirassistisches Idol gefeiert – unter den Einfluss rechter Verschwörungsideologien gerate. Anhand der Biografien von Ye (Kanye West) und Xavier Naidoo frage man „wie rechte Ideologien mit Schwarzen Identitäten kollidieren und sich diese gefährliche Verbindung in der medialen Öffentlichkeit manifestiert“.
- Die Förderung: Die Produktion wird vom Fonds Darstellende Künste gefördert und ist eine von bundesweit sieben Neuproduktionen, die für die Zusammenarbeit zwischen freier Szene und Stadt- bzw. Staatstheatern zur Förderung ausgewählt worden sind.
Sie sprechen die Musik an. Erklingen Songs der beiden „Vorlagen“ Kanye West und Naidoo?
Holtzhauer: Das weiß ich jetzt noch nicht, das müssten Sie bitte Joana Tischkau fragen.
Was ist für Sie spannend an dem Projekt? Was erwarten Sie sich davon?
Holtzhauer: Eine Auseinandersetzung mit regionaler und internationaler Popgeschichte, mit den Dynamiken einer durch Social Media und Spektakel geprägten Öffentlichkeit und mit Ursachen und Konsequenzen politischer Radikalisierung unter anderem am Beispiel eines kontrovers diskutierten Mannheimer Idols. Und das in Form eines Musicals. Also im besten Fall gute und intelligente Unterhaltung.
Finden Sie, in einem solchen Musical sollte auch die Thematik der zweiten Chance eine Rolle spielen, also, wenn jemand sagt: Ich bereue, ich habe Fehler gemacht?
Holtzhauer: Klar, warum nicht auch in einem Musical? Die Theatergeschichte ist voll von Beispielen, wo das wunderbar gelingt. Ob die zweite Chance eine Rolle spielt, weiß ich noch nicht – das Autorenteam fängt ja jetzt erst an zu schreiben. Was ich jedoch weiß, ist, dass sich Joanna Tischkau nicht für die Inszenierung moralischer Urteile, sondern für mediale Ikonen interessiert und die Frage, wie und wofür sie gefeiert werden. Ob ich persönlich finde, dass jemand eine zweite Chance verdient hat, steht auf einem anderen Blatt. Ich habe schon den Eindruck, dass wir heutzutage sehr schnell darin sind, mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie auf Dinge, die sie einmal gesagt oder getan haben, festzulegen. Dabei schließen wir die Möglichkeit, dass sie ihre Meinung ändern oder aus Fehlern lernen, oftmals aus. Das ist nicht gut. Damit sage ich aber noch nichts über den Fall Naidoo.
Wie kommt so etwas zustande? Auf jede zweite Frage sagen Sie: Das weiß ich nicht oder fragen Sie Joana Tischkau. Trotzdem bekommen Sie schon 125.000 Euro für das Projekt. Reicht da so eine vage Idee, um den Förderantrag zu stellen?
Holtzhauer: Die Idee ist gar nicht vage, sondern sehr konkret. Man stellt einen Förderantrag und beschreibt das Thema, mit dem man sich beschäftigen, und das Material, aus dem man schöpfen möchte. Man beschreibt auch, mit welchen Künstlerinnen und Künstlern man arbeiten und wie man vorgehen möchte.
Und die Form?
Holtzhauer: Natürlich auch die Form, die das Ganze annehmen soll – ohne den Ergebnissen des Recherche-, Schreib- und Probenprozesses vorzugreifen. Die Jury, die uns diese sehr stattliche Summe zugesprochen hat, findet Thema, Material und Künstlerin offensichtlich spannend. Das ist ja der Sinn von Kulturförderung: Man fördert eine Idee, nicht das fertige Produkt. Sonst würde ja nichts Neues mehr in die Welt kommen. Ihre Fragen zielen dagegen auf das Ergebnis. Aber einen Autor, der Ihnen von der Idee zu einem neuen Buch erzählt, würden Sie doch auch nicht fragen; „Ah, und wie machen Sie jetzt nach dem ersten Satz, den Sie geschrieben haben, mit dem zweiten weiter?“, sondern sich auf den fertigen Roman freuen.
Passt dieser Vergleich?
Holtzhauer: Ich kann nur sagen: Lassen Sie sich überraschen! Joana Tischkau weiß sehr genau, was sie tut – davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man sich mit ihrer bisherigen Arbeit beschäftigt. Und übrigens: Es sind bundesweit insgesamt nur sieben Institutionen in dem sehr hoch dotierten Förderprogramm XZLLNZ! (von Exzellenz, d. Red.) gefördert worden. Das Nationaltheater ist eine davon. Das ist eine tolle Anerkennung unserer Arbeit. Darauf kann man in Mannheim stolz sein.
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