Kunst

Mannheimer Galerientage: Kunst zwischen Alltag und Avantgarde

Die 30. Galerientage im Mannheimer Kunstverein bieten Kunst zwischen Alltag und Avantgarde mit acht Ausstellern. Dabei ist dem raschen Blick nicht überall zu trauen.

Von 
Christel Heybrock
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Blick in die 30. Galerientage im Mannheimer Kunstverein: Vorn ein Porzellanobjekt aus Buchstaben des Japaners Ruiko Imai bei Marianne Heller, dahinter zwei Gemälde von Heinz Rabbow bei Döbele. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Auf einem weißen Sockel steht eine braune Einkaufstüte, rot beschriftet: „No emotions, please/ Thank you“. Ähm, soll man das ernst nehmen? Na klar, es ist Kunst. Ilse Ermen arbeitet mit Wörtern, mit der normalen Flut von Banalitäten und wichtigtuerischen Anweisungen. In der Staatsbibliothek Leningrad platzierte sie ein rotes Schild: „Während der Belüftungszeiten werden die Leser nicht bedient“ – so ein Schild hängt jetzt auch an der Wand der Galerie Kim Behm bei den Mannheimer Galerientagen, und auf dem Boden eine Reihe vertikal gestellter weißer Schilder: „Tatsachen“, „Kopflastig“, „Waschsalon“…

Es ist eine Einstimmung für die Besucher, sich auf so manchen verborgenen Haken von anscheinend simplen Verhältnissen einzulassen. Doch mit sensiblen Papierarbeiten des Neuseeländers Stephen Bambury beweist Kim Behm, dass sie nicht nur Künstler im Programm hat, die an der Oberfläche des Alltags kratzen.

Beim Rundgang kann man diese Herausforderung auch erstmal vergessen, denn Döbele Kunst Mannheim fesselt mit Beispielen aus der aktuellen Hausausstellung, nämlich Bildern des Berliner Malers Heinz Rabbow, und die scheinen völlig aus der Zeit gefallen. Ton-in-Ton-Malerei, ebenmäßige Gesichter, meist von elegant behüteten Damen, viel Rosa, zartes Violett, Hauttöne – und viele gucken einen frontal mit ruhig intensivem Blick an. Es ist eine bewusste Gegenwelt zu unserer von Zerreißproben geschüttelten Wirklichkeit, eine Rückbesinnung auf Stille, Gleichklang und Harmonie. Rabbow erinnert daran, dass eine tiefere Bewusstseinsschicht womöglich haltbarer ist als alle täglichen Irritationen und zunehmenden Unsicherheiten.

Aus Japan kommen ein Radio und ein Herrenhemd aus Glas

Sehr fantasievoll geht es zu bei der Keramikgalerie Marianne Heller, die Skulpturen von fünf japanischen Künstlern den Arbeiten des Thailänders Wasinburee gegenüberstellt. Wasinburee, international gefragter Star, tritt auf mit „Metamorphosen einer Schale“, also einer uralten Traditionsform, und die scheint sich nicht nur rau und ursprünglich auf zerklüfteten rohen Brocken zu erheben, sondern auch aktuelle Nutzungen zu erfahren. Auf dem Objekt „NFT 37“ schwappt eine gelbe Flüssigkeit aus einer kleinen braunen Schale und bildet eine Pfütze auf dem Tisch – natürlich alles aus Keramik. Aber auch die Japaner können sich sehen lassen, ein Porzellanobjekt aus Wörtern und zwei große Glasobjekte, ein Radio und ein Herrenhemd, von Ruiko Imai … da sollte man schon näher hinsehen.

Galerientage Mannheim

  • Eröffnung im Kunstverein ist Freitag, 26. September, 19-22 Uhr.
  • Öffnungszeiten: Samstag 12 - 22 Uhr, Sonntag 12-17 Uhr.
  • Der Eintritt ist frei.
  • Christian Winkels Moving Bar ist wieder dabei, und am Samstag, 17 Uhr, hält Wolfgang Reuter von der Art Intelligence GmbH einen Vortrag über die Nutzung von KI .
  • Die acht ausstellenden Galerien sind Kim Behm, Döbele, Sebastian Fath, Kasten, Port25 und Peter Zimmermann aus Mannheim, aus Heidelberg sind Marianne Heller und Petra Kern dabei.

Bei Friedrich W. Kastens Online-Galerie „Signed Prints“ freut man sich wieder über die zärtliche Poesie des britischen Grafikers David Spiller (1942–2018), auf dessen „Love“- und Walt-Disney-Adaptionen so nette Krakelsätze auftauchen wie „Only to Be with YOU“ oder „I will keep you from the Dark“ – Liebeserklärungen, in denen man sich verheddern kann. Den Kontrast bildet das Mannheimer Grafikteam „Antighost“, das seit 2013 im Jungbusch in Old-School-Handarbeit Siebdrucke in die Welt setzt, die alles andere als altmodisch wirken – dieses Mal sind Astronauten das Thema. Und dann oben an der Wand ein Knüller: ein schwarzes Objekt des genialen Tüftlers und Formenforschers Gerhard Mantz (1950–2021), der sich zuletzt mit Avataren befasste.

Die 30. Galerientage im Mannheimer Kunstverein, David Spiller bei Galerie Kasten. © Manfred Rinderspacher

Steigt man die Treppe zur Galerie hoch, erhebt sich eine verfremdete Mona Lisa vor den Augen: Petra Kern aus Heidelberg hat drei Kunstpositionen zum Thema „Krieg und Frieden“ vereint, und die „kriegerischste“ stammt von dem Speyerer Maler und Streetart-Künstler Buja. Ausgehend von Adaptionen klassischer Malerei wie etwa den Raffael-Engelchen an der Unterkante der Sixtinischen Madonna macht er mit expressiven Farben, Schriftelementen und Alltagsmotiven die Gleichzeitigkeit von Hochkultur und täglichem Chaos sichtbar. Sogar ausgeschnittene Drohnenattrappen scheinen sich von der Wand herabzustürzen. Mit Schablonen und Verkehrszeichen arbeiten die österreichisch-französischen Künstlerinnen Jana & Js. Ihre Figuren, Porträts und Stadtmotive machen bewusst, wie Menschen heute in einer Umgebung alternder Strukturen leben und sich anpassen. Und schließlich restlos dem „Frieden“ zugewandt: Grisaillen von Joanna Jesse, weite Landschaft, Wasser, Frauen.

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Peter Zimmermann gibt einen Vorgeschmack auf die Jahresendschau zum Thema „Das kleine Format“. Mit radikalem Mut zur leeren Wand zeigt er jetzt nur drei Exponate von Thomas Ganter, die aber volle Konzentration verlangen – ein Porträt der Tierschützerin Jane Goodall, ein expressives Selbstporträt und eine altmeisterlich in Lasuren gemalte Liegende. Ganter, virtuoser Maler, Zeichner und Porträtist, ist seit einiger Zeit in einer neuen Entwicklungsphase, man darf gespannt sein.

Vertrackte Augenfallen, virtuos gemalt und gezeichnet

Und das darf man auch bei Sebastian Fath – aber hier muss man mehr als einmal hinsehen. Von Joachim Grommek gab es ja schon Beispiele in der Galerie. Und hier hängen jetzt etwas ungeschickt gefertigte Arbeiten mit farbigen Klebestreifen auf Spanplatten. Aber: es ist alles gemalt – die Klebestreifen, die Spanplatten, alles mit Pinsel und unterschiedlichen Farbtexturen in meisterhafter Virtuosität gemalt! Und Barbara Hindahl steht dem nicht nach. Plötzlich großformatige Aquarelle von ihr? Keine Spur – die subtile Transparenz, das Ineinanderlaufen von Farben, setzen Sie die Brille auf – es sind Farbstiftzeichnungen. Auf einem weißen Blatt Papier entstanden Kantenumrandungen mit Filzstift, die Farben drangen zur Rückseite durch. Barbara Hindahl zeichnete just diese Rückseite, in feinsten Strichen mit Farbstiften.

Zum Schluss noch Port25 mit zwei Künstlerinnen, einer sehr jungen, die demnächst im Port ausstellen wird – Katinka Eichhorn – und der etablierten mit den immer noch jungen, unerwarteten Einfällen – Doris Erbacher. Beide gehen von der Linie als Gestaltungselement aus, beide arbeiten überraschend auch mal mit Keramik. Aber wo Erbacher ihre Papierstreifen verflechtet und bei Holzobjekten auch die ausgesägten Reste wieder für Kunstobjekte nutzt – da sitzt Katinka Eichhorn an der Nähmaschine und zeichnet mit Nadel und Faden oder näht plastische Objekte zusammen. Fazit: die 30. Galerientage sind der reinste Muntermacher.

Freie Autorin MM Kulturredaktion 1974-2001, Fachgebiet Bildende Kunst

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