Mannheim. Die Welt verändern? Den bevorstehenden klimatischen Verwerfungen entgegenwirken? Man würde ja, bestimmt vielleicht jedenfalls. Wenn es etwas brächte. Aber der oder die einzelne kann ja ohnehin nichts ändern.
Für Helen, Protagonistin in Joshua Groß‘ neuem Roman „Plasmatropfen“, ist zu handeln oder nicht kein hypothetischer Charaktertest, keine weich in die Gesamtgesellschaft eingebettete Gedankenübung in Sachen Selbstwirksamkeit. Denn die Malerin verfügt über telekinetische Kräfte, mit denen sie etwa dem Auftauen des Permafrostbodens entgegenwirken kann.
„Bei ihr steht gar nicht zur Debatte, ob sie wirken kann oder nicht“, sagt Groß im Lesen.Hören-Gespräch mit der Programmleiterin des Mannheimer Literaturfestivals, Insa Wilke, und Autorenkollege Franz Friedrich. Für Helen laute die Frage vielmehr, ob es „eine ethische Verpflichtung ist, das gesamte Leben dann dem zu widmen, die Welt nicht schlechter werden zu lassen.“ „Oder ob man trotzdem ein Recht hat, als Individuum Kunst zu machen.“
Franz Friedrich stellt neues Buch „Die Passasgierin“ vor
„Behutsam kämpfen“ wurde der Abend im Studio der Alten Feuerwache Mannheim überschrieben, bei dem auch Franz Friedrich sein neuestes Buch „Die Passagierin“ vorstellt. In seinem bislang dritten Roman kehrt Protagonistin Heather nach Jahren nach Kolchis zurück, in ein inzwischen verfallenes Sanatorium, in das sie schon einmal gebracht worden war - im Zuge einer Zeitreise-Evakuierung aus einer lebensbedrohlichen Situation. Wie viele, die ihr Schicksal teilen, leidet sie seither unter „Phantomerinnerungen“ und dem Einsamkeitsschmerz, ein Leben und eine Zukunft zurückgelassen zu haben, die sie kaum kannte.
Wie gehe er in seinem Roman mit der Frage nach einem Eingreifen um, damit, Ohnmacht zu erfahren und mit den Konsequenzen umgehen müssen, will Wilke wissen. Friedrich sieht eine „kognitive Dissonanz“, die seine Figuren permanent aufzulösen versuchten: „Was wissen wir, welche Fakten haben wir zur Verfügung, was sind unsere Befürchtungen und wie verhalten wir uns? Und stimmt das überein oder stimmt das nicht überein?“
Der Versuch eines anderen literarischen Sprechens
Der Schriftsteller war schon 2014 mit „Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr“ auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis vertreten, was ihn nun 2024 mit „Die Passagierin“ erneut geglückt ist. Auch Joshua Groß wurde für seine über ein Dutzend Publikationen mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur. Lassen sich weitere Gemeinsamkeiten finden?
„Die Verbindung zwischen den beiden bin eigentlich ich als Leserin“, erläutert Wilke. Für die Literaturkritikerin setzten die Autoren der „rabiaten Zeit, in der wir leben, und dem rabiaten Sprechen“ ein „anderes Denken und den Versuch eines anderen literarischen Sprechens“ entgegen.
Vielleicht könnte man nach diesen 90 Minuten auch sagen, in denen die beiden je zwei einnehmend eindrückliche Passagen aus ihren Büchern vortragen und in so tief- wie weitgreifender Weise über sich, ihr Werk, dessen Entstehung und Hintergründe sprechen: In beiden Fällen scheint die Phantastik und das Magische Moment, in welche sie ihre Erzählungen eingebettet haben, den Blick für die Konturen der Realität und unsere Position darin zu schärfen. Und davon will man gern mehr wissen, lesen und hören.
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